Lehrer und Schüler fordern Unterrichtsgarantie
Volksbegehren »Bildet Berlin!« sammelt Unterschriften gegen Stundenausfall
Selbst Schülern geht die Ausfallquote zu weit: In zehn Jahren fehlt ein ganzes Schuljahr an Fachstunden.
Für Schüler ist der Vertretungsplan am Morgen der erste Anlaufpunkt. Vielleicht hat sich ein Lehrer in letzter Minute krank gemeldet und der Schultag endet schon zwei Stunden früher. Zwei Millionen Unterrichtsstunden werden an Berliner Schulen jährlich nicht regulär erteilt. Das sind knapp über zehn Prozent des gesamten Unterrichts. Zehn Prozent zu viel, findet »Bildet Berlin! Initiative für Schulqualität e.V.«. Der Verein fordert eine gesetzlich festgeschriebene Unterrichtsgarantie und zehn Prozent mehr Lehrer. Am Dienstag startete die Unterschriftensammlung für das »Volksbegehren Unterrichtsgarantie«.
Laut offizieller Statistik werden 80 Prozent des nicht regulär stattfindenden Unterrichts vertreten. »Man muss sich aber die Frage stellen, wie diese Vertretung organisiert und statistisch erfasst wird«, sagt Florian Bublys, Vorsitzender von »Bildet Berlin!«. Fast 60 Prozent des vertretenen Unterrichts würde auf eine Weise vertreten, die diesen Namen nicht verdient. Heißt im Klartext: Der Senat schummelt sich seine erfreuliche Statistik zusammen. Als vertreten gilt der Unterricht zum Beispiel, wenn Teilungsunterricht zusammengelegt wird oder die Schüler sich im Sekretariat Aufgaben abholen.
»Wir behaupten, das ist eine Verschleierungstaktik«, so Bublys. Dadurch würden die Abschlüsse und Lernerfolge der Schüler torpediert.
June Tomiak vom Landesschülerausschuss (LSA) bestätigt das. »Die Schüler sind die Leidtragendenden, denn sie wollen lernen.« Sie geht auf das Gottfried-Keller-Gymnasium in Charlottenburg. »Immer wenn ein Lehrer krank wird, gibt es Ausfall.« Die Koordinatoren müssten dann abwägen, was wichtiger sei: die Oberstufe, die kurz vorm Abitur steht oder die Unterstufe, die seit drei Monaten keinen Matheunterricht hatte.
Aber nicht alle Schüler finden den Unterrichtsausfall so dramatisch. Julius Gast, Sprecher des LSA sagt: »Für mich persönlich war es oft gut, dass Unterricht ausfiel.« Sonst werde der Stress für die Schüler einfach zu hoch. »Dass deswegen Abinoten schlechter werden, glaube ich nicht.«
Eltern machen sich diese Sorge. Denn im Zentralabitur oder den MSAPrüfungen interessiert sich niemand dafür, ob die Schüler in Vertretungsstunden statt Statistik zu pauken Filme geguckt haben. »Wir müssen den Unterrichtsausfall kompensieren und Nachhilfestunden organisieren«, sagt Norman Heise, Vor- sitzender des Landeselternausschusses.
Ziel des Volksbegehrens ist ein Gesetz, das vorschreibt, an jeder Schule zehn Prozent mehr Lehrer als Vertretungsreserve anzustellen. Sigrid Baumgardt, Vorsitzende der Gew Berlin, erklärt: »Es ist eine alte Forderung der Gew, die Berliner Schulen mit 110 Prozent Personal auszustatten. Das garantiert zwar nicht immer fachgerechten Vertretungsunterricht, kommt aber dem anfallenden Vertretungsbedarf in allen Bereichen nach und trägt maßgeblich zur Entlastung der Pädagoginnen bei.«
20 000 Unterschriften müssen die Initiatoren des Volksbegehren innerhalb von sechs Monaten sammeln. In einer zweiten Runde dann 170 000. Kostenpunkt: 110 Millionen Euro. Der Senat spricht von 158 Millionen. »Wenn wir das Geld nicht für Bildung ausgeben, wofür dann?«