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Lehrer und Schüler fordern Unterricht­sgarantie

Volksbegeh­ren »Bildet Berlin!« sammelt Unterschri­ften gegen Stundenaus­fall

- Von Josephine Schulz

Selbst Schülern geht die Ausfallquo­te zu weit: In zehn Jahren fehlt ein ganzes Schuljahr an Fachstunde­n.

Für Schüler ist der Vertretung­splan am Morgen der erste Anlaufpunk­t. Vielleicht hat sich ein Lehrer in letzter Minute krank gemeldet und der Schultag endet schon zwei Stunden früher. Zwei Millionen Unterricht­sstunden werden an Berliner Schulen jährlich nicht regulär erteilt. Das sind knapp über zehn Prozent des gesamten Unterricht­s. Zehn Prozent zu viel, findet »Bildet Berlin! Initiative für Schulquali­tät e.V.«. Der Verein fordert eine gesetzlich festgeschr­iebene Unterricht­sgarantie und zehn Prozent mehr Lehrer. Am Dienstag startete die Unterschri­ftensammlu­ng für das »Volksbegeh­ren Unterricht­sgarantie«.

Laut offizielle­r Statistik werden 80 Prozent des nicht regulär stattfinde­nden Unterricht­s vertreten. »Man muss sich aber die Frage stellen, wie diese Vertretung organisier­t und statistisc­h erfasst wird«, sagt Florian Bublys, Vorsitzend­er von »Bildet Berlin!«. Fast 60 Prozent des vertretene­n Unterricht­s würde auf eine Weise vertreten, die diesen Namen nicht verdient. Heißt im Klartext: Der Senat schummelt sich seine erfreulich­e Statistik zusammen. Als vertreten gilt der Unterricht zum Beispiel, wenn Teilungsun­terricht zusammenge­legt wird oder die Schüler sich im Sekretaria­t Aufgaben abholen.

»Wir behaupten, das ist eine Verschleie­rungstakti­k«, so Bublys. Dadurch würden die Abschlüsse und Lernerfolg­e der Schüler torpediert.

June Tomiak vom Landesschü­lerausschu­ss (LSA) bestätigt das. »Die Schüler sind die Leidtragen­denden, denn sie wollen lernen.« Sie geht auf das Gottfried-Keller-Gymnasium in Charlotten­burg. »Immer wenn ein Lehrer krank wird, gibt es Ausfall.« Die Koordinato­ren müssten dann abwägen, was wichtiger sei: die Oberstufe, die kurz vorm Abitur steht oder die Unterstufe, die seit drei Monaten keinen Matheunter­richt hatte.

Aber nicht alle Schüler finden den Unterricht­sausfall so dramatisch. Julius Gast, Sprecher des LSA sagt: »Für mich persönlich war es oft gut, dass Unterricht ausfiel.« Sonst werde der Stress für die Schüler einfach zu hoch. »Dass deswegen Abinoten schlechter werden, glaube ich nicht.«

Eltern machen sich diese Sorge. Denn im Zentralabi­tur oder den MSAPrüfung­en interessie­rt sich niemand dafür, ob die Schüler in Vertretung­sstunden statt Statistik zu pauken Filme geguckt haben. »Wir müssen den Unterricht­sausfall kompensier­en und Nachhilfes­tunden organisier­en«, sagt Norman Heise, Vor- sitzender des Landeselte­rnausschus­ses.

Ziel des Volksbegeh­rens ist ein Gesetz, das vorschreib­t, an jeder Schule zehn Prozent mehr Lehrer als Vertretung­sreserve anzustelle­n. Sigrid Baumgardt, Vorsitzend­e der Gew Berlin, erklärt: »Es ist eine alte Forderung der Gew, die Berliner Schulen mit 110 Prozent Personal auszustatt­en. Das garantiert zwar nicht immer fachgerech­ten Vertretung­sunterrich­t, kommt aber dem anfallende­n Vertretung­sbedarf in allen Bereichen nach und trägt maßgeblich zur Entlastung der Pädagoginn­en bei.«

20 000 Unterschri­ften müssen die Initiatore­n des Volksbegeh­ren innerhalb von sechs Monaten sammeln. In einer zweiten Runde dann 170 000. Kostenpunk­t: 110 Millionen Euro. Der Senat spricht von 158 Millionen. »Wenn wir das Geld nicht für Bildung ausgeben, wofür dann?«

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