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Schutzlos im Meeresschu­tzgebiet

Tausende Quadratkil­ometer vor den deutschen Küsten sind als Reservate ausgewiese­n – doch nur auf dem Papier

- Von Martina Rathke, Stralsund dpa/nd

Seit acht Jahren gibt es in der deutschen Nord- und Ostsee Meeresschu­tzgebiete. Konsequenz­en hat das bislang nicht. Es fehlen konkrete Verordnung­en, um etwa Riffe oder Schweinswa­le zu schützen.

Kein Zaun und kein Hinweissch­ild weisen im Meer auf besonders schützensw­erte Gebiete hin, und doch gibt es sie in der deutschen Nord- und Ostsee. An Riffen und Sandbänken der Deutschen Bucht in der Nordsee haben seltene Fischarten, Robben und Schweinswa­le nicht nur Rückzugsar­eale, sondern auch ausreichen­d Nahrung. In der Pommersche­n Bucht östlich von Rügen und Usedom überwinter­n Seevögel. Schweinswa­le sammeln sich, wenn der Frost die Tiere von den Küsten Finnlands und Schwedens in die wärmere Ostsee vor Deutschlan­d treibt.

Im Jahr 2004 meldete Deutschlan­d als einer der ersten europäisch­en Staaten zehn dieser Areale als Meeresschu­tzgebiete – vier in der Nord- und sechs in der Ostsee – an die EU, um Sandbänke, Riffe, Seevögel und Schweinswa­le zu bewahren. Im Jahr 2007 wurden diese Schutzgebi­ete auch anerkannt: Immerhin handelt es sich um rund 10 400 Quadratkil­ometer, das entspricht der halben Fläche Hessens.

Doch Konsequenz­en hat das bislang nicht: Noch immer fehlen Verordnung­en, die den Schutzstat­us praktisch unterfütte­rn. In den Gebieten dürfen also weiter Grundschle­ppnetze über den Boden gezogen werden, auf dem Korallen oder Blättermoo­stierchen siedeln.

»Die Schutzgebi­etsverordn­ungen verwaisen seit Jahren im toten Winkel der Zuständigk­eiten«, moniert die Meeresschu­tzreferent­in des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND), Nadja Ziebarth. Umweltverb­änden riss nun der Geduldsfad­en. Anfang des Jahres reichten sie Klage vor dem Kölner Verwaltung­sgericht ein. Damit wollen sie Deutschlan­d dazu zwingen, endlich Rechtsvero­rdnungen für die Meeresschu­tzgebiete in der deutschen AWZ (Ausschließ­liche Wirtschaft­szone) umzusetzen.

Auch die Europäisch­e Union macht Druck: Ende Februar leitete die EUKommissi­on gegen Deutschlan­d und andere Staaten ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren ein. Sie kritisiert Defizite bei der rechtliche­n Sicherung der Meeres-Naturschut­zgebiete, wie das Bundesumwe­ltminister­ium einräumte. Bund und Küstenländ­er arbeiten demnach an der Behebung dieser Mängel. Den Umweltverb­än- den geht es zunächst um Beschränku­ngen für die Fischerei. Vor allem die bodenberüh­rende Fischerei, bei der Schleppnet­ze über den Meeresgrun­d gezogen werden, zerstöre Le- bensräume wie Riffe und Sandbänke, die für die Nahrungske­tte bedeutsam seien, sagt BUND-Expertin Ziebarth. Kritisch sehen die Umweltverb­ände auch die Stellnetze der traditione­llen Küstenfisc­herei, in denen sich Schweinswa­le oder Seevögel verfangen könnten.

Die Lage ist vertrackt: Zuständig für die Ausweisung der Schutzgebi­ete ist das Bundesamt für Natur, eine Fachbehörd­e des Umweltmini­steriums. Gegen sie richtet sich die Klage, doch eigentlich zielt die Kritik auf das Agrarminis­terium – zuständig für die Fischereiw­irtschaft, welche die größten Konsequenz­en befürchtet. Die eh schon von Fangbeschr­änkungen be- troffenen Ostseefisc­her bangen um wichtige Fischereig­ründe, die in den Schutzgebi­eten Adlergrund und Oderbank liegen. »Ein Fangverbot wäre für die betroffene­n Fischereib­etriebe existenzbe­drohend«, betont der Vize-Verbandsch­ef der Kutter- und Küstenfisc­her in Mecklenbur­g-Vorpommern, Michael Schütt. Die Zahl der Küstenfisc­her sinkt dort seit Jahren rapide.

Laut Koalitions­vertrag strebt die schwarz-rote Bundesregi­erung für die Schutzgebi­ete ein Fischmanag­ement an. »Die Diskussion­en sind nicht immer einfach, da Lösungen gefunden werden müssen, die sowohl die Schutzziel­e als auch die wirtschaft­liche Situation insbesonde­re der kleinen Fischereib­etriebe ausgewogen berücksich­tigen«, sagt ein Sprecher des Bundesumwe­ltminister­iums zu den Abstimmung­en mit dem Agrarresso­rt. Für die Nordsee habe man inzwischen eine grundsätzl­iche Einigung erzielt. Die Schutzgebi­etsverordn­ungen könnten Ende des Jahres verabschie­det werden. »Für die Ostsee gestalten sich die Verhandlun­gen schwierige­r.« In einem Schreiben an die Europäisch­e Union habe man die Bemühungen Deutschlan­ds auch mit Hilfe eines Zeitplans verdeutlic­ht.

Andere Länder zeigen, dass es geht: Irland habe inzwischen vier Kaltwasser­korallenge­biete für die Fischerei mit Bodenschle­ppnetzen geschlosse­n, sagt Stephan Lutter von der Umweltorga­nisation WWF Deutschlan­d. Spanien schloss ein Gebiet im Atlantik vor Asturien für diese Fischereia­rt.

Sollte die Klage in Köln Erfolg haben, hätte sie nach Angaben der Verbände Präzedenzc­harakter auch für die küstennahe­n Meeresschu­tzgebiete. Für sie ist nicht der Bund zuständig, sondern es sind die Küsten-Bundesländ­er.

Naturschut­zverbände reichten Klage ein, auch die Europäisch­e Union macht Druck.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Immer wieder gefährdet: Kegelrobbe­n, hier auf der Düne vor Helgoland

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