Misshandelt und missbraucht
Kriminalstatistik: Gewalt gegen Kinder bleibt auf hohem Niveau
Viele Kinder und Jugendliche werden Opfer von Schlägen oder sexuellen Angriffen. Die Täter kommen meist aus dem Umfeld.
Berlin. In Deutschland sind im vergangenen Jahr weniger Kinder getötet worden als 2013. Insgesamt starben 108 Jungen und Mädchen 2014, weil sie Opfer von Gewalt oder Vernachlässigung wurden. Das waren fast 30 Prozent weniger als im Jahr zuvor (153). Fast drei Viertel der im Jahr 2014 getöteten Kinder waren jünger als sechs Jahre. Dazu kamen 81 Tötungsversuche. Die Zahlen gehen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor. Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Deutsche Kinderhilfe legten am Dienstag in Berlin eine Auswertung der Statistik zu Gewalt an Kindern vor. Demnach waren die Tötungen meist Folge von Fahrlässigkeit (45 Fälle). 29 Kinder kamen durch Totschlag, 26 durch Mord und 8 infolge von Körperverletzung ums Leben.
Die Zahl der Jungen und Mädchen, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, ging leicht zurück – allerdings blieb sie auf hohem Niveau: Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 14 395 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch. Das sind umgerechnet fast 40 Fälle pro Tag. Die Zahl der Betroffenen unter sechs Jahren stieg dabei im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent an. Oft kommen die Täter den Angaben zufolge aus der Familie oder dem näheren Umfeld der missbrauchten Jungen und Mädchen.
Im vergangenen Jahr waren neun Kinder unter 14 Jahren von Kinderhandel betroffen, 2006 waren es noch fünf Opfer. Den bisher höchsten Stand verzeichnete die Kriminalstatistik im Jahr 2009 mit 18 Kindern.
Die Zahl der misshandelten Jungen und Mädchen nahm zu. Gemeldet wurden 4233 Fälle und damit fast fünf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Fast jedes zweite betroffene Kind war unter sechs Jahre alt (44 Prozent). BKA-Präsident Holger Münch sagte: »Täglich wurden fast 50 Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht. Und das sind nur die bekannt gewordenen Fälle.« Experten gehen von einem großen Dunkelfeld aus.
Die Deutsche Kinderhilfe mahnte, auch wenn in einigen Bereichen die Opferzahl sinke, sei dies keineswegs ein Zeichen der Entwarnung. »Jedes betroffene Kind ist eines zu viel«, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kinderhilfe, Rainer Becker.
»Gewalttaten müssen zur Anzeige gebracht werden – wer schweigt, macht sich schuldig«, forderte der BKA-Präsident. Die erfassten Fälle des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischen Materials verringerten sich laut der Statistik im Vergleich zum Vorjahr 2014 »trotz massiver öffentlicher Aufmerksamkeit« nur geringfügig um knapp 1,5 Prozent auf 6594 Fälle.
Münch verwies zudem darauf, dass das Leid der Opfer durch die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet verschärft werde. »Hinter jedem Fall steht eine menschliche Tragödie, ein oftmals lebenslanges Trauma«, mahnte Münch. Angesichts des Massenphänomens Kinderpornografie würden automatisierte Verfahren entwickelt, um neue Bilder schneller erkennen zu können. In Deutschland gehostete Seiten würden inzwischen spätestens zwei Wochen nach deren Bekanntwerden vom Provider gelöscht.
Becker forderte mehr Prävention, aber auch Strafverschärfungen. Das Mindeststrafmaß für alle gegen Kinder gerichtete Vorsatzstraftaten müsse auf ein Jahr erhöht werden, erklärte Becker. Zudem müssten Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte regelmäßig zu Kinderrechten und Gewaltprävention ausund weitergebildet werden. Außerdem fordert er einen unabhängigen Kinderschutzbeauftragten bei der Bundesregierung sowie Kinderschutzhotlines in allen Bundesländern.
Kathinka Beckmann, Pädagogikprofessorin an der Hochschule Koblenz, forderte, dass die Finanzierung der Kinderhilfe vom Bund übernommen werden müsse. Die Kommunen seien damit meist überfordert. Als Beispiel nannte sie den Berliner Bezirk Mitte. Dort müsse ein Jugendamtsmitarbeiter rund 160 Familien betreuen, in Stuttgart dagegen nur 20.