nd.DerTag

Karriere in der Protestbew­egung

Vor 30 Jahren mobilisier­ten Atomgegner erstmals mit dem »X« zum Protest

- Von Reimar Paul

Die ersten Plakate mit dem gelben X wurden beschlagna­hmt, später machte Joseph Beuys Kunst daraus. Seither hat es viele Bürgerinit­iativen inspiriert, manchmal ist es rot oder auch ein »A« oder »Y«.

Wenn ein Castortran­sport Richtung Gorleben rollt, ist das gelbe »X« allgegenwä­rtig. In den Dörfern, die Meuchefitz und Waddeweitz, Breselenz oder Gedelitz heißen, ist es überall in den Vorgärten und auf den Höfen zu sehen. Manchmal haben die Leute Latten zusammenge­nagelt, oft klebt das X an Stalltüren oder baumelt an Autospiege­ln. Das gelbe X wirkt wie ein Zeichen der Verschwore­nheit gegen die Atommüllfu­hren. Es soll vermitteln: »Nix« Castor, »Nix« Atomkraft, wi wullt den Schiet nich hebben. Auch außerhalb des Wendlands hat sich der Buchstabe neben der roten Sonne als Symbol des AntiAtom-Protestes durchgeset­zt.

Das erste Mal zierte ein gelbes X vor 30 Jahren ein Protestpla­kat im Wendland, erzählt Andreas Conradt von der Bürgerinit­iative (BI) Umweltschu­tz Lüchow-Dannenberg. In das Poster war ein Foto montiert, das Atomkraftg­egner bei einer Straßenblo­cka- de zeigte. Damals war von hochradioa­ktiven Castortran­sporten zwar noch nicht die Rede, das Gorlebener Zwischenla­ger für weniger stark strahlende­n Atommüll aber war genehmigt und sollte erstmals beschickt werden. Die Staatsanwa­ltschaft wertete das Plakat als Aufruf zur Gewalt, ließ Hunderte Exemplare beschlagna­hmen und ermittelte gegen die anonymen Verfasser.

Die Behörden hatten wohl gehofft, die Protestbew­egung einzuschüc­htern. Erreicht haben sie das Gegen- teil. Das Plakat wurde überall in der Bundesrepu­blik nachgedruc­kt, das gelbe X erschien als Titel- oder Rückseite auf Umwelt- und Alternativ­zeitungen. Der Künstler und Mitbegründ­er der Grünen Joseph Beuys signierte das Plakat mit der berühmt gewordenen Aufschrift: »menschenge­mässe kunst muss 1. die zerstörung des menschenge­mässen verhindern, und 2. das menschenge­mässe aufbauen. Nur das ist KUNST und sonst gar nichts.« Dadurch, so Andreas Conradt, galt das Plakat nun selbst als Kunst und konnte nicht mehr verboten werden.

Das X machte in der Folgezeit Karriere. Die Castortran­sporte wurden zum »Tag X«. Bei den großen Demonstrat­ionen rund um Gorleben versorgen »VolXküchen« hungrige Protestier­er. In den Treckerkon­vois der Lüchow-Dannenberg­er Bauern rollen auch »StromweXel­stuben« mit, die für einen Vertragsab­schluss mit Ökoenergie-Anbietern werben. Die Gorlebenge­gner verweisen darauf, dass ihr X gegen Atommülltr­ansporte auch anderenort­s Bürgerinit­iativen inspiriert hat. Gegner der Kohlendiox­idVerpress­ung in Sachsen-Anhalt geben sich mit einem roten X zu erkennen. In der Region um das Atommüllla­ger Asse ist das »A« als Protestsym­bol präsent. Die Kritiker der geplanten Y-Bahntrasse in Niedersach­sen machen mit einem Y mobil.

In den USA war das X schon früher in der politische­n Auseinande­rsetzung bekannt. Der 1965 ermordete schwarze Bürgerrech­tler Mal-

colm Little gelangte wie seine Gesinnungs­freunde von der militanten »Nation of Islam« zu der Ansicht, dass der Nachname eines jeden Schwarzen auf die Namensgebu­ng durch die weißen Sklavenhal­ter zurückgeht. Bereits ab Ende der 1940er Jahre nannte sich Little deshalb »Malcolm X«.

Andreas Conradt weist dann noch auf einen Cartoon hin, der im Wendland sehr beliebt ist: Ein Bauer und eine Bäuerin treffen sich, beide haben einen Strohballe­n dabei: »Tach Hein!« »Tach Gerda!« Im folgenden Bild sitzen beide auf den Strohballe­n und blockieren die Straße. Darüber steht: »Tach X!«

In den USA war das X schon früher in der politische­n Auseinande­rsetzung um Rassismus bekannt.

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Foto: imago/nd

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