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Viel mehr als Fußball

Jeder israelisch­e Verein spiegelt durch seine politisch orientiert­en Ultragrupp­en die Geschichte seiner Stadt wider

- Von Martin Hoffmann, Tel Aviv

Auch in Israel ist Fußball die beliebtest­e Sportart. Jedoch hat jeder Spitzenver­ein eine eigene Identität, die mit Geschichte, Politik und Religion untrennbar verbunden ist.

Mindestens in einer Hinsicht unterschie­den sich die Heimspiele des israelisch­en Erstligist­en Maccabi Haifa bis vor kurzem von denen der Teams anderer europäisch­er Ligen. Nach dem Spiel fanden sich kaum leere Plastikbec­her auf den Zuschauert­ribünen, sondern die Schalen von Sonnenblum­enkernen. »Das liegt nicht nur an den zahlreiche­n arabischen Fans von Maccabi Haifa«, erklärt Anhänger Yonatan Trius. Auch die jüdischen Fans des Klubs kauen die Kerne – eine der levantinis­chen Traditione­n, die von den Israelis übernommen wurden.

Maccabi Haifa ist der mit Abstand beliebtest­e Fußballver­ein im Norden Israels, auch unter der arabischen Bevölkerun­g, die dort fast die Hälfte der Gesamtbevö­lkerung ausmacht. Der spektakulä­re 3:0-Sieg gegen Manchester United im UEFA-Pokal 2002 verlieh der Popularitä­t des Vereins noch einmal zusätzlich­en Auftrieb. In der Ligat ha’Al, der ersten israelisch­en Spielklass­e, hinkt Maccabi Haifa derzeit zwar hinter dem großen Konkurrent­en Maccabi Tel Aviv hinterher – dennoch sind die Heimspiele in Haifa die am besten besuchten im ganzen Land.

In Sachen Zuschauerz­ahl kann allenfalls der Jerusaleme­r Traditions­verein Beitar mit Haifa mithalten. Doch die Heimspiele Beitars haben nichts mit der lässigen Koexistenz zwischen Arabern und Juden zu tun, welche die Fankultur bei Maccabi Haifa prägt. Beitar Jerusalem ist bekannt für seine rechte Fanbasis. Teile der Ultras machen immer wieder durch rassistisc­he Ausfälle gegenüber Arabern Schlagzeil­en. Ein Spiel im Teddy-Kollek Stadion, welches im Süden der Stadt gleich an der Grünen Linie zu Ostjerusal­em liegt, ist selten nur ein Fußballspi­el. Gerade wenn der arabische Verein Bnei Sakhnin zu Gast in der Hauptstadt ist, fliegen wüste Beschimpfu­ngen hin und her. »Mohamed war schwul« skandieren Beitar-Ultras, »Allahu akbar« schreien Sakhnins Fans zurück.

Als einziger Verein der israelisch­en Liga hatte Beitar Jerusalem noch nie einen arabischen Spieler in seinem Team, auch wenn israelisch­e Araber 20 Prozent der Gesamtbevö­lkerung des Landes ausmachen. Als der ehemalige Präsident Arkady Gaydamak im Jahr 2013 zwei muslimisch­e Spieler aus Tschetsche­nien anheuerte, gingen Teile der Ultras auf die Barrikaden. Drei junge Fans gin-

Aviv Cohen, Haifa-Ultra gen schließlic­h soweit, einen Brand im Vereinsbür­o zu legen. Die Tat brachte auch Teile des Fan-Establishm­ents gegen die rechtsradi­kalen Ultras auf. Der Beitar-Fan und israelisch­e Premiermin­ister Benjamin Netanjahu nannte die rassistisc­hen Ausfälle inakzeptab­el. »Die Attacken sind eine Schande für uns. Das jüdische Volk soll ein Licht unter den Nationen sein«, mahnte der Premier.

Die israelisch­e Fankultur ist selten ohne politische Assoziatio­nen zu verstehen und nirgendwo ist diese so ausgeprägt wie in den Ultraszene­n. Auf der Beitar Jerusalem entgegenge­setzten Seite des Fanspektru­ms steht Hapoel Tel Aviv, der zweite Verein der größten Küstenstad­t Israels.

Sportlich hinkt Hapoel zwar hinter dem Lokalrival­en Maccabi Tel Aviv hinterher, doch für viele israelisch­e Linke ist der Verein die erste Adresse. Hapoel kommt aus der Tradition der hiesigen Arbeiterve­reine. Der Name »Hapoel« steht für »der Arbeiter« – eine Referenz an die ersten Jahrzehnte des Landes, als das sozialisti­sche Gedankengu­t der zionistisc­hen Gründergen­eration noch allerorten anzutreffe­n war.

Der historisch­e Gegenpol der »Hapoel«-Vereine sind die »Maccabi«Klubs, die sich in ihrer Gründungsp­hase meist aus nationalis­tisch gesinnten Jugendgrup­pen zusammense­tzten. Im heutigen Israel sind diese Namen in den meisten Fällen nur noch eine blasse Reminiszen­z an die Vergangenh­eit, doch bei den Ultras von Hapoel Tel Aviv wird die sozialisti­sche Tradition zumindest visuell noch aufrecht erhalten. Bei den Heimspiele­n werden Banner mit den Konterfeis von Che Guevara und Karl Marx ausgerollt. Außerdem pflegen die Ultras eine Fanfreunds­chaft mit den Anhängern des FC. St. Pauli und von Celtic Glasgow.

Bei den Ultras des eingangs erwähnten Klubs Maccabi Haifa wird das politische Element weniger betont. »Ganz egal wo du politisch stehst, wenn du im Fanblock stehst, wird nur eine Fahne geschwenkt – die von Maccabi Haifa«, erklärt Aviv Cohen von der Ultragrupp­e »Green Apes«. Im Gegensatz zu Beitar Jerusalem waren arabische Spieler und Fans immer Teil des Vereins. Der Spitzentor­schütze der Vereinsges­chichte, Zahi Armeli, ist arabischer Israeli. Das wirkt sich auch auf die Fankultur bei Maccabi Haifa aus. »Einer meiner Freunde bei den Green Apes ist ein Siedler, ein anderer ist Araber – und die beiden sind miteinande­r befreundet. Das gibt’s nur bei Maccabi«, sagt Cohen. »Für Araber, Schwule und welche Art von Mensch auch immer, ist der Ultra-Fanblock bei Maccabi einer der entspannte­sten Orte im israelisch­en Fußball«, so der Haifa-Fan.

In vielerlei Hinsicht sind die israelisch­en Vereine ein Spiegel ihrer Stadt. Die rechte Fanbasis bei Beitar Jerusalem reflektier­t die angespann- te Situation der Stadt selbst und die Projektion­en, die auf ihr lasten – als umstritten­er Zankapfel zwischen israelisch­em und palästinen­sischem Nationalis­mus, welcher in beiden Fällen religiös aufgeladen ist.

Der säkular geprägten Hafenstadt Haifa mit ihrer Arbeitertr­adition und dem großen arabischen und russischen Bevölkerun­gsanteil geht es in dieser Hinsicht deutlich besser. »Leute der unterschie­dlichsten Herkunft und Religion haben hier immer miteinande­r gearbeitet und Tür an Tür gelebt. Das macht auch die Fankultur bei Maccabi aus«, erklärt Cohen.

Nur die Schalen der Sonnenblum­enkerne finden sich seit Beginn dieser Saison nicht mehr auf den Zuschauerr­ängen in Haifa. Am Anfang der Saison zog der Verein ins erst 2014 fertiggest­ellte Sammy-OferStadio­n in unmittelba­rerer Strandnähe um, welches mit einer Kapazität von 31 000 Zuschauern das zweitgrößt­e des gesamten Landes ist. Die meisten Fans begrüßen den Umzug ins neue Stadion, auch wenn zwei Dinge, die in der alten Sportstätt­e dazugehört­en im neuen Stadion untersagt sind: Pyrotechni­k und Sonnenblum­enkerne.

»Einer meiner Freunde ist ein Siedler, ein anderer ist Araber. Das gibt’s nur bei Maccabi.«

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Foto: imago/David Vaaknin 1. Juli 2013: Zwei Muslime stehen seit diesem Tag nicht mehr im Kader von Beitar Jerusalem. Rechte Fans des Klubs feiern dies, überfallen zunächst einen arabischen Kellner, brechen dann ins Trainingsg­elände von Beitar ein und zwingen Spieler Ofir...

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