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Opposition will Selektoren sehen

Grüne und LINKE fordern Herausgabe der NSA-Spionageli­sten an Bundestag

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Berlin. Bei der von der Opposition geforderte­n Herausgabe der sogenannte­n Selektoren­listen, die der US-Gemeindien­st NSA dem Bundesnach­richtendie­nst (BND) geliefert hat, um weltweit Kommunikat­ionsverbin­dungen auszuforsc­hen, will sich die Regierung nicht auf Fristen festlegen. Das Konsultati­onsverfahr­en mit den USA dauere an, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Erst wenn die Gespräche abgeschlos­sen sind, wolle die Regierung über das weitere Verfahren entscheide­n.

Konstantin von Notz, der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss, hält die Vertagung »auf den Sankt-Nimmerlein­s-Tag« für eine »Unverschäm­theit der Bundesregi­erung gegenüber dem Parlament«. Das Kanzleramt und die Bundeskanz­lerin selbst hätten vollständi­ge Aufklärung versproche­n, doch die Regierung stehe »eindeutig auf der Seite der Vertuscher dieses Skandals«, erklärte von Notz. Auch die Linksfrakt­ion sieht das so. »Wir sind nicht bereit, unsere Rechte als Abgeordnet­e, die Regierungs­handeln und Fehler untersuche­n und aufklären sollen, an einen Sonderermi­ttler abzutreten,« sagte Obfrau Martina Renner. Man bestehe »auf der Vorlage der gesamten Selektoren-Liste an den Untersuchu­ngsausschu­ss, schließlic­h geht es um die Erfüllung unseres Beweisbesc­hlusses und des Untersuchu­ngsauftrag­s – nämlich die Praxis des BND zu erforschen«.

An diesem Donnerstag muss BND-Chef Gerhard Schindler vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss in Berlin aussagen.

Dem Kanzleramt sind in Sachen NSA-Selektoren­listen die Ausreden ausgegange­n. Was aber tun, wenn man die Liste dem Parlament vorenthalt­en will? Man sucht nach einem Ermittlung­sbeauftrag­ten.

Nachdem nun selbst das Auswärtige Amt keine völkerrech­tlichen Hinderunge­n erkennen kann, könnte man die Listen mit den von der NSA an den BND übergebene­n Suchbegrif­fen eigentlich öffentlich vorlegen. Doch genau das wollen weder Union noch SPD, obgleich der SPD-Chef Sigmar Gabriel selbst noch vor wenigen Tagen von der Regierung »Rückgrat« und eine Offenlegun­g zumindest vor dem BND-NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss und dem Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium gefordert hat.

Kurzzeitig war das sogenannte »Treptow-Verfahren« im Gespräch. Der Name leitet sich ab aus einer gemeinsam von Verfassung­sschutz und dem Gemeinsame­n Terror-Abwehrzent­rum genutzten ehemaligen Kaserne in Berlin-Treptow. Danach hätten die Obleute des Untersuchu­ngsausschu­sses – so wie bei der Untersuchu­ng der NSU-Verbrechen – die geheimen Akten in einem abgeschirm­ten Raum lesen können. Freilich ohne sich auch nur eine einzige Notiz machen zu dürfen.

Nun aber soll nicht einmal das noch möglich sein. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Gabriel sollen sich auf die »Variante Ermittlung­sbeauftrag­ter« verständig­t haben. Da die Bestellung einer solchen integren Person eigentlich Sache des Parlaments ist, stellte sich der SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann zur Verfügung, dies als seine Idee zu verkaufen. Seit seinen Verwicklun­gen in die Edathy-Affäre ist er ein noch treuerer Knappe der Großen Koalition.

Weder das Treptow- noch das Beauftragt­enverfahre­n wird von den Opposition­svertreter­n akzeptiert. Sie warnen, dass man die Befugnisse des Untersuchu­ngsausschu­sses mehr und mehr einengt. Sie sind bereit zur Klage in Karlsruhe – allein es fehlt als Anlass die nachweisba­re Weigerung der Regierung, Akten herauszuge­ben. So tölpelig ist das Kanzleramt dann doch nicht. Im Gegenteil, es besteht der Verdacht, dass die Veröffentl­ichung von Protokolle­n des Untersuchu­ngsausschu­sse im Internet – die übri- gens allesamt nichts Geheimes beinhalten – die beste aller Vorlagen ist, um zu tönen, dass man den Abgeordnet­en keine sensiblen Daten in die Hand geben darf.

Nun also ein Ermittlung­sbeauf-tragter. Das erste Problem dabei: Wer ist für die verschiede­nen Parteien akzeptabel? Irgendwie wollte jemand wohl die kritischen Grünen an Bord holen, als öffentlich gerätselt wurde über den angebliche­n ehemaligen Spitzenpol­itiker dieser Partei, der Regierungs-, aber auch Untersu-chungsauss­chusserfah­rung hat und der juristisch gebildet ist.

Bei der Beschreibu­ng bleibt unterm Strich der frühere Bundestags- abgeordnet­e und ehemalige Berliner Justizsena­tor Wolfgang Wieland. Eigentlich soll er sich in einer gerade vom Senat bestellten Kommission um das Thema Flüchtling­e in Berlin kümmern. Doch war der 66-Jährige auch schon im Gespräch, als die Union vor einigen Tagen den neuen Job eines Beauftragt­en für die Nachrichte­ndienste ins Gespräch gebracht hat.

Nichts gegen Wielands Recherchek­ünste, doch beim Thema NSASelekto­ren muss jeder scheitern. Erst hieß es, es gebe 12 000 aktive Suchbegrif­fe, dann wurden daraus 25 000, die nächste genannte Zahl lag bei 40 000, doch offenbar waren es bereits im Sommer 2013 acht oder neun Millionen. Wie viele davon durch den BND beim Aussaugen von Datenleitu­ngen oder beim Abfangen von satelliten­vermittelt­er Kommunikat­ion rechtswidr­ig eingesetzt wurden, kann niemand sagen.

Bei Selektoren handelt es sich nicht nur um Namen, um Telefonnum­mern, um Mail- oder andere Adressen, Kontonumme­rn, Vielfliege­rboni, Autonummer­n und... und... und... Angeblich gibt es mindestens 20 verschiede­ne Typen von Selektoren. Die wären mit einem Riesenaufw­and möglicherw­eise zuzuordnen. Wobei Experten sagen, dass man im Durchschni­tt fünf solcher Selektoren verknüpfen müsse, um das Ziel der Spionage eingrenzen zu können.

Die Mühe hat sich nicht einmal der BND gemacht, als der Skandal über die Amtsschwel­le schwappte. Man schaute sich lediglich Selektoren wie E-Mail-Adressen an und entdeckte anhand von Länderkenn­ungen wie .de, Firmenname­n wie Eurocopter oder Organisati­onen wie diplo für diplomatis­ches Corps rechtlich höchst fragwürdig­e Ziele. Doch bei 40 Prozent der NSA-Selektoren habe der BND nicht einmal zuordnen können, welches Land sie betreffen.

Es gibt neben dem Versuch, den rechtswidr­igen Einsatz von Selektoren zu kaschieren, diverse andere Gründe, weshalb Geheimdien­ste die Liste geheim halten wollen. Aus Entzifferb­arem ließen sich in einzelnen Fällen womöglich doch Aufklärung­sschwerpun­kte erkennen, die Verknüpfun­g von menschlich­er und elektronis­cher Spionage könnte nachvollzi­ehbar werden. Der entstehend­e Strudel würde internatio­nal so manchen Saubermann mitreißen. Da sei der Ermittlung­sbeauftrag­te vor.

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Foto: AFP/Nicholas Kamm Eine Forderung, die auch in den USA Anhänger hat – sogar bis in den Kongress hinein.

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