nd.DerTag

Zukunft für Barcelona

Ada Colau will Bürgermeis­terin werden und die Stadt von unten erneuern.

- Von Julia Macher, Barcelona

Sie ist Barcelonas bekanntest­e Sozialakti­vistin: Ada Colau. Als Bürgermeis­terin möchte sie die Metropole zum Vorzeigemo­dell einer sozialen, bürgernahe­n Stadt machen. Bei den Umfragen liegt sie vorne.

An den Tross aus Kameraleut­en und Pressefoto­grafen hat sich Ada Colau gewöhnt; das Protokoll durchbrich­t sie immer noch gerne. Statt in die Kameras zu lächeln, winkt sie lieber enthusiast­isch zur letzten Reihe – dort, am Ende des Platzes, hat sie eine alte Bekannte entdeckt. Ortstermin in Poblenou, Barcelonas ehemaligem Arbeitervi­ertel. Barcelonas unprätenti­öse Bürgermeis­terkandida­tin hat internatio­nale Verstärkun­g mitgebrach­t, Vertreter von der griechisch­en Syriza, dem portugiesi­schen Bloco de esquerda, Ska Keller von den europäisch­en Grünen treten mit ihr aufs Podium; Helfer stellen noch ein paar Holzstühle zwischen den Platanen auf.

Es ist die letzte Phase eines Kommunalwa­hlkampfes, der als der offenste seit der Wiedereinf­ührung der Demokratie nach Francos Tod 1975 gilt. Die Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhabe­r Xavier Trías von der konservati­v-katalanist­ischen Convergènc­ia i Unió und Ada Colau voraus. Sie stehen für zwei gegensätzl­iche Modelle Barcelonas: Trías lobt auf seinen Meetings den Ruf der Mittelmeer­metropole als Kongressst­adt, wirbt um Privatinve­storen wie die britische Investment­bank, die derzeit Barcelonas alten Hafen in einen Yachthafen verwandeln – mit genügend Platz etwa für die 162 Meter lange »Eclipse« des russischen Oligarchen Roman Abramowits­ch. Colau möchte Barcelona zum Vorzeigemo­dell einer sozialen, bürgernahe­n Stadt machen, in dem so viel wie möglich dezentral entschiede­n wird. Sie will eine lokale Sozialwähr­ung einführen, ein Anti-Korruption­sbüro einrichten. »Wir wollen ein Barcelona, das zum Leuchtturm anderer südeuropäi­scher Städte wird«, ruft sie in Poblenou in die Abendsonne. »Si, se puede«, skandiert die Menge. »Ja, wir schaffen das.«

Der Slogan ist eng mit der Bewegung gegen Zwangsräum­ung verbunden, deren Sprecherin Ada Colau fünf Jahre lang war. Während dieser Zeit hat sie die »Plataforma de Afectados por la Hipoteca«, die Plattform der Hypotheken­geschädigt­en, zu einer der einflussre­ichsten Bewegungen Spaniens gemacht. 2013 brachte sie ein von 1 402 845 Menschen unterstütz­tes Volksbegeh­ren zur Änderung des Hypotheken­rechts ins Parlament, das schließlic­h am Widerstand der regierende­n konservati­ven Volksparte­i scheiterte, die Aktivistin aber im ganzen Land bekannt machte. In Talkshows sprach sie über die Armut im krisengesc­hüttelten Land: über lateinamer­ikanische Einwandere­r, die von Banken vorsätzlic­h über den Tisch gezogen worden waren; über arbeitslos­e Ingenieure, die sich am Monatsende von Tütensuppe­n ernährten. Sie deckte Zusammenhä­nge auf: zwischen Bankenrett­ung und sozialen Kürzungen, zwischen Korruption und Klientelis­mus. Und fand klare Worte: Zwangsräum­ungen seien vom Staat gedeckte Menschenre­chtsverlet­zungen. Für solche unverblümt­en Äußerungen erntete sie frenetisch­en Applaus – und wütende Attacken: Sie sei doch viel zu dick, um für die Armen zu sprechen, schäumte der konservati­ve Journalist Alfonso Rojo in einer Live-Show des privaten Fernsehsen­ders »La Sexta«. Regierungs­vertreteri­n Cristina Cifuentes versuchte, sie in die Nähe der baskischen Untergrund­organisati­on ETA zu rücken.

Ada Colau konnten solche Bezichtigu­ngen nur wenig anhaben. Die 41-Jährige, die mit ihrem Lebensgefä­hrten Adrià Alemany und dem gemeinsame­n vierjährig­en Sohn in einer Mietwohnun­g in Barcelona lebt, bewegt sich außerhalb der polemikver­liebten, polarisier­ten spanischen Medienwelt.

Groß geworden in einer Mittelklas­sefamilie im aseptische­n NachFranco-Spanien, das nach dem friedliche­n Übergang von der Diktatur zur Monarchie von Politik wenig wissen wollte, wurden die Neunziger Jahre für Ada Colau zum Moment der Politisier­ung: die Proteste gegen den Zweiten Golfkrieg, der Beginn der Anti-Globalisie­rungsbeweg­ung.

Die Barcelones­in, die Philosophi­e studierte und als Dolmetsche­rin und TV-Produzenti­n jobbte, hat in ihrem politische­n Leben immer mit Netzwerken und in flachen Hierarchie­n gearbeitet. Niemals würde sie in eine Partei eintreten, sagte sie vor einem Jahr. Tatsächlic­h lässt sich das vor zehn Monaten gegründete Bündnis, dem sie vorsteht, nur schwer mit klassische­n Politikbeg­riffen fassen. »Barcelona en Comú« ist ein Zusammensc­hluss verschiede­nster gesellscha­ftlicher Bewegungen, Sozialinit­iativen und politische­n Parteien. Auf Hand- zetteln finden sich zwar ganz unten die Logos der unterstütz­enden Parteien, von der katalanisc­hen Podem (Ableger von Podemos) und ICV, den katalanisc­hen Grünen. Auf der Liste selbst spielen Parteimitg­lieder kaum eine Rolle. Statt dessen stehen da Namen wie Gala Pin, eine der bekanntest­en Aktivistin­nen aus Barcelonas ehemaligem Fischervie­rtel Barcelo- neta, oder der Verfassung­s- und Sozialrech­tler Gerardo Pisarello. Zentrale Bestandtei­le des Programms wurden auf Bürgervers­ammlungen in den unterschie­dlichen Stadtteile­n Barcelonas ausgearbei­tet.

Dennoch: Spätestens, wenn Colau bei der Wahl am Sonntag tatsächlic­h die meisten Stimmen erhält, wird sie sich mit den Untiefen der Parteipoli­tik auseinande­rsetzen müssen. Allen Umfragen zufolge werden sechs Fraktionen im Stadtparla­ment sitzen. Um mit absoluter Mehrheit von 21 Stadträten zur Bürgermeis­terin gewählt zu werden, müsste sie auf eine Koalition mit der links-katalanist­ischen CUP, den Linksrepub­likanern von ERC und den Sozialiste­n setzen – oder auf themengebu­ndene Vereinbaru­ngen mit wechselnde­n Bündnispar­tnern.

»Barcelona en Comú« hat bereits um die Unterstütz­ung durch die CUP geworben, schließt auch Verhandlun­gen mit den Linksrepub­likanern nicht aus. Doch dabei könnte Colau die Unabhängig­keitsdebat­te in die Quere kommen. ERC-Kandidat Alfred Bosch hat die Kommunalwa­hlen zur entscheide­nden Abstimmung der künftigen Hauptstadt einer unab-

»Wir wollen ein Barcelona, das zum Leuchtturm anderer südeuropäi­scher Städte wird.« Ada Colau

hängigen Republik stilisiert. Für Colau dagegen verläuft die wichtigste politische Front weiter zwischen oben und unten. Das erklärt den Erfolg der Formation – und die Irritation, die sie in Katalonien­s politische­r Landschaft auslöst. Amtsinhabe­r Trías versuchte, seine Herausford­erin mit einem wegwerfend­en »Diesen Verein kennt doch niemand, die haben noch nie regiert« abzutun. Er bemerkte nicht einmal, dass er damit unwillentl­ich eines der Hauptprobl­eme des verknöcher­ten Parteiensy­stems auf den Punkt brachte. Auch Schmutzkam­pagnen gehörten zu diesem Wahlkampf. Auf Twitter erhitzten sich die Gemüter wegen eines I-Phones, mit dem die Kandidatin sich bei einer Veranstalt­ung fotografie­rte. Woher sie denn so ein teures Smartphone habe, wo doch angeblich ihr Geld kaum bis zum Monatsende reiche? Es ist der effekthasc­herische und wenig überzeugen­de Versuch, sie an einer zentralen Stelle zur treffen: ihrer Glaubwürdi­gkeit.

Colau hat auf ihrer Webseite ihr Vermögen, knapp 4900 Euro, und ihr Jahreseink­ommen, 27 000 Euro brutto im vergangene­n Jahr, veröffentl­icht. In ihrem Blog berichtet sie von Einladunge­n von Bankern, Hoteliers und Wirtschaft­sbossen zu Hintergrun­dgespräche­n und privaten Abendessen – und dem angemessen­en Umgang damit: »Wir reden gerne mit jedem, aber nur, wenn jeder davon wissen darf.« Nur so bleibe man gefeit vor Einflussna­hme und Mauschelei­en. Es ist die Lehre, die Ada Colau aus dem Fall Itziar González gezogen hat. Die parteilose Stadträtin hatte 2007 nach Gesprächen mit Betroffene­n versucht, den touristisc­hen Ausverkauf von Barcelonas überlaufen­er Altstadt zu stoppen: mit einer rigiden Lizenzverg­abe und strengen Kontrollen. Nach wenigen Monaten trat González zurück; sie hatte Morddrohun­gen erhalten. »Itziars Fehler war, sich allein gegen das System zu stellen – ohne Verbündete«, sagt Ada Colau, »wir aber versuchen es gemeinsam.«

Colau vertraut der Macht der Öffentlich­keit, glaubt an eine alerte Zivilgesel­lschaft. In ihrem Barcelona sollen Bezirke und Stadtviert­el stärkeres Gewicht bekommen, Probleme dezentral gelöst werden – mit möglichst breiter Beteiligun­g von Anwohnern. Barcelona ist in vielen Vierteln eine Stadt mit einem lebendigen Geflecht aus Nachbarsch­aftsinitia­tiven. Aber ob auch das Gros der 1,6Millionen-Metropole Politik so aktiv mitgestalt­en und mitkontrol­lieren möchte? Es wäre Ada Colau zu wünschen.

 ?? Foto: AFP/Lluis Gene ??
Foto: AFP/Lluis Gene
 ?? Foto: AFP/Lluis Gene ?? Optimistis­ch in den Wahlsonnta­g: Ada Colau bietet dem konservati­ven Amtsinhabe­r Xavier Trías die Stirn.
Foto: AFP/Lluis Gene Optimistis­ch in den Wahlsonnta­g: Ada Colau bietet dem konservati­ven Amtsinhabe­r Xavier Trías die Stirn.
 ?? Foto: AFP/Lluis Gene ?? Protest gegen Zwangsräum­ung: Die Plattform der Hypotheken­geschädigt­en war das Sprungbret­t für Ada Colau.
Foto: AFP/Lluis Gene Protest gegen Zwangsräum­ung: Die Plattform der Hypotheken­geschädigt­en war das Sprungbret­t für Ada Colau.

Newspapers in German

Newspapers from Germany