Tödliches Spiel
Ägypten erklärt Fußballfans zu Terroristen – und behandelt sie ebenso.
Für ägyptische Ultragruppen geht es längst nicht mehr nur um den Sieg im nächsten Fußballspiel ihres Klubs. Sie kämpfen ums Überleben. Ihr Angstgegner: das Regime.
Sie singen vom Rauch, der plötzlich überall war. Vom »letzten Flüstern des Bruders«, von den »Märtyrern«, die nun im Paradies seien. Es ist eine ungewöhnliche Hymne für die Fans eines Fußballvereins, die die Anhänger des ägyptischen Klubs Zamalek dieser Tage singen. Es sind ungewöhnliche Zeiten für Fußballfans in Ägypten.
»Weiße Ritter« nennt sich die Ultragruppe, die den Song diese Woche veröffentlicht hat, nachdem ein ägyptisches Gericht sie am Samstag zu Terroristen erklärt hat. Und mit ihnen alle anderen Ultragruppen des Landes. »Es wird ihnen nicht möglich sein während Fußballspielen aufzutreten, noch werden sie eine Stimme gegenüber dem Regime haben. Jede Person, die in ihren Namen auftritt, wird verhaftet«, zitierte die ägyptische Tageszeitung »Daily News Egypt« am Samstag den Ankläger Ashraf Farhat. Attentatspläne, Vandalismus und die Nähe zur verbotenen Muslimbruder- schaft wirft das Gericht den Fußballfans vor. Noch am Samstag wurden die ersten Anhänger von Zamalek verhaftet, berichtete die staatliche Tageszeitung »Al-Ahram«.
Eingebracht hatte die Klage der Geschäftsführer von Zamalek, Mourtada Mansour. »Sie sind ein kriminelles Phänomen, das ausgerottet werden sollte«, sagte er am Samstag über die Fans seines eigenen Vereins. Er und das Gericht werfen den Fans vor, im Februar dieses Jahres nach einem Fußballspiel 20 Menschen getötet zu haben. Was das Gericht verschweigt: Alle Getöteten waren selbst ZamalekFans. Sie starben, als die ägyptische Polizei Menschen nach einem Spiel mit Tränengas und Schrot in eine schmale Sackgasse trieben, bis die sich in einer Massenpanik tot trampelten. So berichteten es verschiedene arabische Medien. Mansour – einst einer der letzten öffentlichen Unterstützer Hosni Mubaraks und heute Anhänger des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi – rühmte sich damals, den Polizeieinsatz selbst initiiert zu haben.
Es ist nicht das erste Mal, dass ägyptische Fußballfans ins Visier des Regimes geraten: Schon seit Jahren zählen die Ultragruppen des Landes zu den wichtigsten Protagonisten sozialer Proteste. Zehntausende Ägypter haben sich den Ultragruppen, die überall auf der Welt als besonders leidenschaftliche Vereinigungen von Fußballfans gelten, angeschlossen. Ähnlich wie bei den Protesten um den Gezi-Park in der Türkei, galten Ultras im Arabischen Frühling Anfang 2011 als Speerspitze der Revolution. Hoch organisiert, politisiert und erfahren im Straßenkampf trugen sie maßgeblich zum Sturz des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak bei. Die Rechnung zahlen sie bis heute.
Unter den Zehntausenden Oppositionellen und Aktivisten, die seit dem Putsch des Militärgenerals al-Sisi im Jahr 2013 in ägyptischen Gefängnisse verschwanden, befinden sich auch Tausende Fußballfans. Hunderte wurden vom Regime ermordet. Zu einem der größten Massaker kam es am 1. Februar 2012 während eines Spiels zwischen Al-Masry (Port Said) und Al-Ahly (Kairo). Was anfangs nach einer blutige Auseinandersetzung rivalisierender Ultragruppen aussah, stellte sich später als gezieltes Massaker Armee-loyaler Sicherheitskräfte heraus. Augenzeugen berichteten, wie sich bewaffnete Gruppen ohne jede Sicherheitskrontrolle unter die Fans von Al-Masry mischten. Als Sicherheitskräfte während des Spiels in Port Said die Tore zwischen den verfeindeten Fanblöcken öffneten und gleichzeitig die Ausgänge des Al-Ahly-Blocks verschlossen, wurden 72 Menschen zu Tode geprügelt oder erstochen und mehr als 500 Menschen wurden verletzt. Anhänger beider Vereine machten später den damals in Port Said herrschenden Militärrat für das Massaker verantwortlich. Anstatt die Gruppen zu trennen, hätten Polizisten die Auseinandersetzungen sogar noch angeheizt. Dessen damaliger Vorsitzender ist der heutige Präsident al-Sisi.
Seitdem hat das Regime Fußballfans nicht nur zu »Terroristen« erklärt, es behandelt die Anhänger auch so: Erstligaspiele wurden zeitweise abgeschafft und finden nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Februar 2014 wurden elf Fußballfans zum Tode verurteilt. Zuletzt starb am Samstag ein 21-jähriger Fan durch Polizeigewalt. »Lass uns unsere Ideale bis zum Ende weiterleben«, singen die »Weißen Ritter« von Zamalek in ihrer Hymne an einen verstorben Freund. Wann das Ende kommt, entscheidet sich in Ägypten nicht mehr auf dem Platz.