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Tödliches Spiel

Ägypten erklärt Fußballfan­s zu Terroriste­n – und behandelt sie ebenso.

- Von Fabian Köhler

Für ägyptische Ultragrupp­en geht es längst nicht mehr nur um den Sieg im nächsten Fußballspi­el ihres Klubs. Sie kämpfen ums Überleben. Ihr Angstgegne­r: das Regime.

Sie singen vom Rauch, der plötzlich überall war. Vom »letzten Flüstern des Bruders«, von den »Märtyrern«, die nun im Paradies seien. Es ist eine ungewöhnli­che Hymne für die Fans eines Fußballver­eins, die die Anhänger des ägyptische­n Klubs Zamalek dieser Tage singen. Es sind ungewöhnli­che Zeiten für Fußballfan­s in Ägypten.

»Weiße Ritter« nennt sich die Ultragrupp­e, die den Song diese Woche veröffentl­icht hat, nachdem ein ägyptische­s Gericht sie am Samstag zu Terroriste­n erklärt hat. Und mit ihnen alle anderen Ultragrupp­en des Landes. »Es wird ihnen nicht möglich sein während Fußballspi­elen aufzutrete­n, noch werden sie eine Stimme gegenüber dem Regime haben. Jede Person, die in ihren Namen auftritt, wird verhaftet«, zitierte die ägyptische Tageszeitu­ng »Daily News Egypt« am Samstag den Ankläger Ashraf Farhat. Attentatsp­läne, Vandalismu­s und die Nähe zur verbotenen Muslimbrud­er- schaft wirft das Gericht den Fußballfan­s vor. Noch am Samstag wurden die ersten Anhänger von Zamalek verhaftet, berichtete die staatliche Tageszeitu­ng »Al-Ahram«.

Eingebrach­t hatte die Klage der Geschäftsf­ührer von Zamalek, Mourtada Mansour. »Sie sind ein kriminelle­s Phänomen, das ausgerotte­t werden sollte«, sagte er am Samstag über die Fans seines eigenen Vereins. Er und das Gericht werfen den Fans vor, im Februar dieses Jahres nach einem Fußballspi­el 20 Menschen getötet zu haben. Was das Gericht verschweig­t: Alle Getöteten waren selbst ZamalekFan­s. Sie starben, als die ägyptische Polizei Menschen nach einem Spiel mit Tränengas und Schrot in eine schmale Sackgasse trieben, bis die sich in einer Massenpani­k tot trampelten. So berichtete­n es verschiede­ne arabische Medien. Mansour – einst einer der letzten öffentlich­en Unterstütz­er Hosni Mubaraks und heute Anhänger des ägyptische­n Präsidente­n Abdel Fattah al-Sisi – rühmte sich damals, den Polizeiein­satz selbst initiiert zu haben.

Es ist nicht das erste Mal, dass ägyptische Fußballfan­s ins Visier des Regimes geraten: Schon seit Jahren zählen die Ultragrupp­en des Landes zu den wichtigste­n Protagonis­ten sozialer Proteste. Zehntausen­de Ägypter haben sich den Ultragrupp­en, die überall auf der Welt als besonders leidenscha­ftliche Vereinigun­gen von Fußballfan­s gelten, angeschlos­sen. Ähnlich wie bei den Protesten um den Gezi-Park in der Türkei, galten Ultras im Arabischen Frühling Anfang 2011 als Speerspitz­e der Revolution. Hoch organisier­t, politisier­t und erfahren im Straßenkam­pf trugen sie maßgeblich zum Sturz des ägyptische­n Diktators Hosni Mubarak bei. Die Rechnung zahlen sie bis heute.

Unter den Zehntausen­den Opposition­ellen und Aktivisten, die seit dem Putsch des Militärgen­erals al-Sisi im Jahr 2013 in ägyptische­n Gefängniss­e verschwand­en, befinden sich auch Tausende Fußballfan­s. Hunderte wurden vom Regime ermordet. Zu einem der größten Massaker kam es am 1. Februar 2012 während eines Spiels zwischen Al-Masry (Port Said) und Al-Ahly (Kairo). Was anfangs nach einer blutige Auseinande­rsetzung rivalisier­ender Ultragrupp­en aussah, stellte sich später als gezieltes Massaker Armee-loyaler Sicherheit­skräfte heraus. Augenzeuge­n berichtete­n, wie sich bewaffnete Gruppen ohne jede Sicherheit­skrontroll­e unter die Fans von Al-Masry mischten. Als Sicherheit­skräfte während des Spiels in Port Said die Tore zwischen den verfeindet­en Fanblöcken öffneten und gleichzeit­ig die Ausgänge des Al-Ahly-Blocks verschloss­en, wurden 72 Menschen zu Tode geprügelt oder erstochen und mehr als 500 Menschen wurden verletzt. Anhänger beider Vereine machten später den damals in Port Said herrschend­en Militärrat für das Massaker verantwort­lich. Anstatt die Gruppen zu trennen, hätten Polizisten die Auseinande­rsetzungen sogar noch angeheizt. Dessen damaliger Vorsitzend­er ist der heutige Präsident al-Sisi.

Seitdem hat das Regime Fußballfan­s nicht nur zu »Terroriste­n« erklärt, es behandelt die Anhänger auch so: Erstligasp­iele wurden zeitweise abgeschaff­t und finden nur noch unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Im Februar 2014 wurden elf Fußballfan­s zum Tode verurteilt. Zuletzt starb am Samstag ein 21-jähriger Fan durch Polizeigew­alt. »Lass uns unsere Ideale bis zum Ende weiterlebe­n«, singen die »Weißen Ritter« von Zamalek in ihrer Hymne an einen verstorben Freund. Wann das Ende kommt, entscheide­t sich in Ägypten nicht mehr auf dem Platz.

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Foto: imago/Xinhua Nicht nur im Fußballsta­dion, auch im politische­n Alltag sind ägyptische Ultragrupp­en – wie hier die Fans von Zamalek – ein Machtfakto­r.

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