Keinesfalls »anti-russisch«
Beim vierten Ostpartnerschaftsgipfel steht mit Russland ein Land im Vordergrund, das nicht einmal Teilnehmer ist
Zum vierten Mal findet ab Donnerstag ein Gipfel der Länder der Östlichen Partnerschaft der EU statt. Im lettischen Riga werden neben 34 Staatenlenkern wenige Beschlüsse erwartet.
Für ein so großes politisches Treffen ist Riga in der Rolle des Gastgebers noch nie gewesen. Für die rund 600 000 Einwohner der Hauptstadt Lettlands bedeutet das Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft zwei Tage mit gesperrten Straßen und Brücken, langen Wartezeiten im Flughafen und ganztägigen Hubschraubereinsätzen über den Kopf. Vor allem trifft es den Stadtbezirk neben dem Fluss Düna, wo sich die lettische Nationalbibliothek befindet. In diesem Gebäude treffen sich an diesem Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs aus 34 Ländern samt mehrerer EU-Vertreter.
Seit die neue Nationalbibliothek eröffnet wurde, spiegelt dieser Stadtbezirk architektonisch die Komplexität der lettischen Gesellschaft ab. Ganz in der Nähe der Bibliothek, die in der lettischen Bevölkerung als ein Symbol des Nationalstolzes angesehen wird, befindet sich das in der Sowjetzeit gebaute Siegesdenkmal. Am 9. Mai sammelten sich dort rund 200 000 Menschen – die der russischsprachigen Minderheit Lettlands angehörenden Einwohner. Mit Singen, Essen, Trinken und Blumen feierten sie den Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland vor 70 Jahren. Hier waren nicht nur die russische Fahnen zu sehen, sondern sogar die Fahnen der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Die wurden zwar bald von der Polizei entfernt. Während der 9. Mai der russischen Bevölkerung als wichtigster Feiertag des Jahres gilt, wird er in der lettischen Bevölkerung als schmerzhaftes Datum wahrgenommen, an dem ihr Land 1945 der ehemaligen Sowjetunion einverleibt wurde. Der Ukraine-Konflikt hat nun in den letzten zwei Jahren die Gräben zwischen den zwei Lagern – einerseits das »anti-russische« und anderseits das »pro-russische« – noch weiter vertieft.
Gerade darum werde es auch beim Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in diesem Jahr in Riga gehen und der Gipfel sei offensichtlich »anti-russisch« ausgerichtet – solche Vor- würfe erhält der Gastgeber Lettland bereits seit Wochen aus Russland und Belarus. »Wir werden natürlich beachten, wie das Gipfeltreffen in Riga verläuft, aber es ist schon jetzt klar, dass unsere Reaktion hart und prinzipiell wird«, warnte vor einigen Wochen Alexander Lukaschewitsch, der Edgars Rinkevics, Außenminister Lettlands Vertreter des Außenministeriums Russlands. Jelena Kuptschina, Vizeministerin für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Belarus, kündigte kürzlich in einem Interview für die ungarische Zeitung »Magyar Hirlap« an: »Wenn beim Gipfeltreffen das antirussische Thema zum wichtigsten Thema gemacht wird, kann es leicht passieren, dass dieses Treffen der allerletzte Gipfel der Östlichen Partnerschaft werden wird.«
Das für die Aufstellung der Tagesordnung des Gipfeltreffens zuständige lettische Außenministerium wehrt die Vorwürfe ab. Beim Gipfel werde man bestimmt über Russland und die Ukraine reden. Der Konflikt in der Ukraine sei eine der wichtigsten Fragen. Laut Aussagen des lettisches Außenministers Edgars Rinkevics wird es »ein Gipfel der Kriegszeit«. Allerdings sei das Treffen keinesfalls »gegen jemandem gerichtet«.
Die Ukraine wird sicherlich Bestandteil der Abschlussdeklaration des Gipfels sein, aber sonst sind keine besonderen Entscheidungen zu erwarten. Es ist jedoch geplant, den Vertrag für einen vom EU-Parlament und dem EU-Rat bereits genehmigten Kredit an die Ukraine über 1,8 Milliarden Euro abzuschließen. Aber eine Entscheidung über die Visa-Freiheit für Ukrainer, die in die EU reisen, die die Regierung unter Präsident Petro Poroschenko fordert, wird nicht erwartet.
Auch über die Visa-Freiheit für Georgien wird keine Entscheidung gefällt. Die Republik Moldau wird das einzige der sechs Länder der Östlichen Partnerschaft bleiben, dessen Bürger ohne Visum in die EU reisen dürfen. Aserbaidschan liegt jedoch ein anderes Thema am Herzen, nämlich der Berg-Karabach-Konflikt mit Aserbaidschan und Armenien. Laut der lettischen Staatschefin Laimdota Straujuma soll er aber nicht diskutiert werden. »Es ist möglich, dass Aserbaidschan diese Frage stellen wird, aber wir haben dafür zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung«, sagte Straujuma einem Fernsehsender.
Das Land, über dessen Pläne und Erwartungen bisher am wenigsten bekannt ist, ist immer noch Belarus. Es wird wohl das einzige der Partnerländer sein, das nicht mit dem Staatschef, sondern mit niedrigeren Beamten vertreten sein wird. Präsident Alexander Lukaschenko hat seine Teilnahme bis zuletzt nicht bestätigt.
Auf die gravierenden Unterschiede in der Ausrichtung und in den Zielen der Partnerländer hat der lettische Außenminister Edgars Rinkevics mit einem Vorschlag reagiert. »Wir möchten eine schrittweise Entwicklung der Östlichen Partnerschaft sehen«, sagte Rinkevics. Er plädierte für einen »individuelleren Ansatz« für die sechs Partnerländer und »sehr spezifische Programme der Zusammenarbeit«. Die Einbindung Russlands in die Gespräche lehnte er ab.
»Wir möchten eine schrittweise Entwicklung der Östlichen Partnerschaft sehen.«