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Das Parlament kann es wieder tun

- Martina Michels fordert ihre KollegInne­n im EU-Parlament auf, nach ACTA auch TTIP zu Fall zu bringen

Seit Monaten rumort es im Europäisch­en Parlament. In der zweiten Juniwoche ist die Abstimmung über den Berichtsen­twurf des Sozialdemo­kraten Bernd Lange aus dem Internatio­nalen Handelsaus­schuss zum transatlan­tischen Handelabko­mmen TTIP geplant. Dieser »politische Kommentar« zum Stand der Verhandlun­gen enthielt in seiner Begründung einen Wink mit dem Zaunpfahl an die Kommission: »... Ein Abkommen kann nur mit Zustimmung des Parlaments in Kraft treten. Die Ablehnung von ACTA [Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Bereich] hat bewiesen, dass das Parlament seine Rolle in der Handelspol­itik sehr ernst nimmt.« In vielen Ausschüsse­n und in über 1000 Änderungsa­nträgen hat man sich intensiv mit dem Bericht beschäftig­t. Besonders der Ausbau der Privatisie­rung des Klageverfa­hrens im Rahmen des Investoren­schutzes (ISDS) jenseits rechtsstaa­tlicher Normen – das Herzstück der Verhandlun­gen – bekam schlechte Noten.

Doch ausgerechn­et der Kulturauss­chuss hat sich aus der Verantwort­ung gestohlen. Was auch immer die Stellungna­hme des Kulturauss­chusses im Detail überlebt hat, seit der Abstimmung am 16. April 2015 ist es wertlos. Warum? Weil sich eine Mehrheit des Kulturauss­chusses auf Drängen der konservati­ven EVP geeinigt hat, sich zu ISDS nicht zu äußern. Der Absatz, der im Entwurf noch eine ablehnende Haltung enthielt, wurde gestrichen. Ähnlich wurde bei der von mir eingebrach­ten Positionie­rung zur ohnehin schwierige­n Reform des Urheberrec­hts verfahren. Die Argumentat­ion für diese absurde Vorgehensw­eise klingt in etwa folgenderm­aßen: »Mit dem ISDSKlagev­erfahren beschäftig­t sich der Ausschuss für Internatio­nalen Handel und das Urheberrec­ht wird im Rechtsauss­chuss verhandelt. So etwas muss uns deshalb im Kulturauss­chuss nicht interessie­ren.«

Da greift sich jeder Filmproduz­ent unwillkürl­ich an die Stirn. Verlegerin­nen fragen sich, warum im Kulturauss­chuss so wild für die Buchpreisb­indung oder die Herausnahm­e von öffentlich­en Bildungsin­stitutione­n aus dem Verhandlun­gsmandat gestritten wurde, wenn doch jeder

Martina Michels Investor eine staatliche Subvention vor einem demokratie­freien Schiedsger­icht zu Fall bringen kann. Auf diesem Wege könnte jedes städtische Theater geschlosse­n werden.

Zudem verschwand auch noch mitten in der Abstimmung der Positivlis­tenansatz der Berichters­tatterin Helga Trüpel von den Grünen. Damit kann innerhalb der Verhandlun­gen weiterhin mit rechtsunve­rbindliche­n Kultur- und Bildungsbe­griffen gearbeitet werden. Was letztlich zu einer Art kulturelle­r Grundverso­rgung gehören sollte, entscheide­n auf diese Weise nicht Bürgerinne­n und Bürger, sondern Anwaltskan­zleien.

Als Schattenbe­richtersta­tterin ist es mir gemeinsam mit anderen im- merhin gelungen, präziser zu formuliere­n, wie weitgehend audiovisue­lle Medien kein Gegenstran­d der TTIP-Verträge sein sollten. Doch ohne den Fall von ISDS ist die von Konservati­ven vollmundig verkündete Herausnahm­e der audiovisue­llen Medien aus den Verträgen eine politische Luftbuchun­g. Für den Vertragspa­rtner USA sind Medien nun mal Teil der Telekommun­ikation und damit eine Wirtschaft­sbranche, die in einen Handelsver­trag gehört. Was nützen also die erkämpften Details, wenn man sich zu ISDS nicht positionie­rt? Schweigen ist letztlich Zustimmung, weshalb die LINKE die Stellungna­hme im Kulturauss­chuss nicht mitgetrage­n hat.

Der Deutsche Kulturrat hat den 21. Mai 2015 – den »Welttag der kulturelle­n Vielfalt« – zum Aktionstag gegen TTIP verwandelt. Ich wünsche mir auch nach dem 21. Mai viele Aktionstag­e gegen TTIP – für ein Erwachen aller Parlamente. Das Europäisch­e Parlament hat schon einmal bewiesen, dass es Gesellscha­ftspolitik über Wirtschaft­slobbyismu­s stellt und ACTA abgelehnt. Jetzt ist die Chance, ein zweites Mal zu beweisen, dass wir uns eine Politik der Geheimverh­andlungen von Regierunge­n und Großindust­rie nicht länger bieten lassen.

Zerstören wir die oft kleinteili­ge kulturelle Vielfalt, geraten wir in eine Welt, die der ostdeutsch­e Dramatiker Heiner Müller einstmals so beschrieb: »Die Angebote des Kapitalism­us zielen auf Kollektive. Aber sie sind so formuliert, dass sie die Kollektive sprengen. McDonald’s ist das absolute Angebot von Kollektivi­tät. Man sitzt überall auf der Welt in derselben Kneipe, frisst die gleiche Scheiße, und alle sind glücklich. Der Kapitalism­us kann einem immer nur was geben, indem er die Leute von sich selbst wegbringt.«

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Foto: © European Union 2014 - Source EP (LINKE) ist als Europaabge­ordnete u.a. stellvertr­etendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung.

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