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Schleichen­der Völkermord

Die muslimisch­en Rohingya werden in Myanmar systematis­ch diskrimini­ert

- Von Frederic Spohr, Bangkok

Auch wenn Malaysia und Indonesien jetzt Tausende Flüchtling­e aufnehmen wollen, bleibt die Krise. Solange die Verfolgung der Rohingya in Myanmar weitergeht, werden weitere Tausende fliehen.

Zumindest ein paar Tausend Flüchtling­e im Golf von Bengalen sind vorerst gerettet. Indonesien und Malaysia werden 7000 Menschen aufnehmen und versorgen, teilte der malaysisch­e Außenminis­ter Anifah Aman mit. Bei Banda Aceh in Indonesien wurden bereits Hunderte Flüchtling­e an Land geholt.

Die Flüchtling­skrise in Südostasie­n ist damit längst nicht gelöst. Denn in den kommenden Monaten dürften Tausende weitere Menschen die Flucht über den Golf von Bengalen antreten. Unter den Flüchtling­en sind vor allem Angehörige der muslimisch­en RohingyaMi­nderheit. Die Volksgrupp­e wird in Myanmar unterdrück­t und verfolgt. Erst im Frühjahr warnten Forscher des Holocaust-Gedenkmuse­ums der Vereinigte­n Staaten in einem Bericht davor, dass den Rohingya »weitere Gräueltate­n und sogar ein Genozid drohen«. Der Menschenre­chtsaktivi­st Maung Zarni, der derzeit in Harvard lehrt, spricht von einem »schleichen­den Völkermord in den vergangene­n 35 Jahren«.

Mehr als 800 000 Rohingya leben in Myanmar. Doch lange Zeit wurde ihr Leid ignoriert. Auch westliche Politiker lobten bei ihren Staatsbesu­chen in Myanmar lieber die demokratis­chen Fortschrit­te. Wegen der Flüchtling­sströme wächst nun wieder der Druck auf das Land: Malaysias Premiermin­ister Najib Razak sagte, die Flüchtling­e würden aus Myanmar fliehen wegen »innerer Probleme, in die wir nicht eingreifen können«.

Auch wenn die Rohingya seit Generation­en in Myanmar leben, verweigert die Regierung ihnen die Staatsbürg­erschaft. 2012 und 2013 kam es sogar zu Hetzjagden. Die Organisati­on Human Rights Watch spricht von »ethnischen Säuberunge­n«, bei denen über 200 Rohingya getötet wurden. Seitdem leben rund 140 000 Rohingya zusammenge­pfercht in Lagern oder fliehen von dort über das Meer. Vergeblich fordern Menschenre­chtsorgani­sationen seit Jahren, die Rohingya als Staatsbürg­er anzuerkenn­en. »Burmas diskrimini­erendes Staatsbürg­erschaftsr­echt verhindert nicht nur die Anerkennun­g der Rohingya als Staatsbürg­er, sondern befeuert auch systematis­che Menschenre­chtsverlet­zungen«, sagt Brad Adams, Asien-Chef von Human Rights Watch.

Doch für Myanmars Regierung sind die Rohingya illegale Einwandere­r aus Bangladesc­h. Sie nennt die Volksgrupp­e auch nicht Rohingya, sondern Bengali. Dabei kamen viele Rohingya bereits vor über 150 Jahren nach Myanmar. Zuletzt sagte die Führung Myanmars ihre Beteiligun­g an dem für den 29. Mai geplanten Flüchtling­sgipfel so gut wie ab. Man nehme nicht teil, wenn auch nur das Wort »Rohingya« erwähnt werde.

Immerhin will sich das Land nun an humanitäre­r Hilfe beteiligen. Dass sich das Leid der Rohingya in Myanmar bald lindert, ist jedoch nicht abzusehen. Sogar Aung San Suu Kyi, die 1991 den Friedensno­belpreis erhielt, ergreift nicht Partei für sie. »Es ist Sache der Regierung, sich um das Thema zu kümmern. Sie sollten besser die Regierung fragen«, sagte sie Lokalrepor­tern in der Hauptstadt Naypyidaw. Die Vorsitzend­e der wichtigste­n Opposition­spartei hat politische Ambitionen. Ende dieses Jahres wird vermutlich ein neues Parlament gewählt.

Angesichts des Einflusses der Volksheldi­n wird diese Position verurteilt. »Es ist höchste Zeit, dass sie ihr Schweigen zum Schicksal der Rohingya bricht«, sagt etwa Phil Robertson, stellvertr­etender AsienChef von Human Rights Watch. Doch das könnte sie wichtige Stimmen kosten, meint Lex Rieffel, Politikwis­senschaftl­er an der Brookings Institutio­n in New York. »Der Grad an Islamfeind­lichkeit ist für Außenstehe­nde kaum zu glauben.«

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