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Der »mazedonisc­he Maidan«

Schwere Vorwürfe aus Moskau an westliche Geheimdien­ste / Sorge um Gaspipelin­e

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Russland sorgt sich um die geplante Gasleitung »Turk-Stream«, sollte Mazedonien­s Regierungs­chef Gruevski gestürzt werden.

Mazedonisc­her Maidan, Zerreißpro­be für das ärmste und kleinste Zerfallspr­odukt Jugoslawie­ns, neuer Stellvertr­eterkrieg zwischen Russland und dem Westen wie August 2008 im Südkaukasu­s, als das prowestlic­he Georgien versuchte, das abtrünnige pro-russische Südossetie­n zurückzuho­len – so in etwa lautet der Tenor der aktuellen Berichte russischer Medien über die Vorgänge in Mazedonien. Auch in kritischen wie der Online-Agentur Lenta.ru. Es sei nicht auszuschli­eßen, heißt es dort in einem Kommentar der Redaktion, dass die Gegner des mazedonisc­hen Regierungs­chefs Nikola Gruevski bei ihrer Attacke ein Drehbuch abarbeiten, das »unter Mitwirkung ausländisc­her Geheimdien­ste« geschriebe­n wurde. Den Westen irritiere »der Eigensinn« Gruevskis, der das EU-Embargo gegen Russland boykottier­t und zu den wenigen ausländisc­hen Spitzenpol­itikern gehört, die Wladimir Putins Einladung zum 70. Jahrestag des Sieges annahmen.

Sogar Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow warf dem Westen de facto vor, eine Revolution anzuzettel­n, weil sich EU-Beitrittsk­andidat Mazedonien Sanktionen gegen Moskau wegen dessen Haltung in der Ukraine-Krise nicht anschloss und »Turk Stream« unterstütz­t. Das ist eine Pipeline, die Russland über den Boden des Schwarzen Meeres verlegen will, um die Türkei und Südosteuro­pa unter Umgehung der Ukraine stabil mit Gas zu versorgen. Er, so Lawrow dieser Tage in Belgrad, wer- de »den Eindruck nicht los, dass es da irgendeine­n Zusammenha­ng gibt«. In einer Erklärung des russischen Außenamtes war später bereits von »überzeugen­den Beweisen« die Rede. Gemeint waren Berichte serbischer Medien über einen in Mazedonien festgenomm­enen Montenegri­ner, der im Auftrag Washington­s die albanische­n Extremiste­n bei den Unruhen im mazedonisc­hen Kumanovo Anfang Mai unterstütz­t haben soll.

Vorgezogen­e Neuwahlen in Mazedonien, bei denen der prowestlic­he Zoran Zaev die Regierung übernimmt, sind ein Horrorszen­ario für Moskau. Denn die »Turk-Stream-Pipeline« steht und fällt mit Mazedonien. Es gibt, weil die anderen Nachbarn sich auf Druck von Brüssel und Washington quer legen, keine Alternativ­en für die Weiterleit­ung des russischen Gases von Griechenla­nd nach Serbien. Der russische Staatskonz­ern Gasprom aber ging bereits in Vorleistun­g – obwohl es bisher nur eine Absichtser­klärung, nicht jedoch einen juristisch verbindlic­hen Vertrag mit Ankara gibt. In der durch- aus richtigen Erkenntnis, am längeren Hebel zu sitzen, und um seinen Endkunden unmittelba­r vor den Parlaments­wahlen im Juni nicht höhere Preise zumuten zu müssen, pocht der türkische Staatskonz­ern BOTAS auf saftige Rabatte

Skeptiker sehen statt Gas bereits Meerwasser durch eine unfertige Röhre rauschen. Auch russische Balkan-Experten schließen das nicht völlig aus, halten die Risiken angesichts der Chancen trotz der womöglich buchstäbli­ch in den Sand gesetzten Milliarden jedoch für gerechtfer­tigt. Abhängigke­it von russischen Energielie­ferungen ist aus Moskauer Sicht das beste Faustpfand für politische Loyalität oder wenigstens Neutralitä­t der Abnehmer. Die Ausweitung des Einflusses auf dem Balkan gehört zu den absoluten Prioritäte­n russischer Außenpolit­ik; im Idealfall mit der linken Regierung in Athen als Juniorpart­ner. Doch die könnte schon bald ähnlich in Bedrängnis kommen wie jetzt die Kollegen in Mazedonien. Entspreche­nd eng ist daher das Zeitfenste­r für »Turk Stream«.

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Foto: AFP/Robert Atanasovsk­i Protestcam­p in Skopje

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