Tupfer im Patientenbauch
Medizinischer Dienst der Krankenkassen veröffentlichte Behandlungsfehlerstatistik
Bei 19 Millionen Krankenhausbehandlungen im Jahr geht bis zu 700 000 Mal etwas schief, schätzen Experten. Am Mittwoch veröffentlichten die Krankenkassen, welche Fehler ihnen zur Kenntnis kamen.
Die vergessene Klemme im Bauch des Operierten, die Amputation eines gesunden Beins oder gar der Eingriff beim falschen Patienten – all das ist auch 2014 vorgekommen. Jedes Jahr analysiert der Medizinische Dienst des Spitzenverbands der Krankenkassen (MDS) die Behandlungsfehlerstatistik, wohl wissend, dass es sich dabei um die Spitze des Eisberges handelt, wie MDS-Geschäftsführer Stefan Gronemeyer in Berlin sagte.
14 663 Fälle untersuchten die Krankenkassengutachter im vergan- genen Jahr, 78 mehr als im Vorjahreszeitraum. 3796 Mal bestätigte sich der Verdacht auf einen Fehler, das war also in jedem vierten Fall. Beanstandet von den Patienten oder ihren Angehörigen wurden vermeintlich fehlerhafte Behandlungen in Orthopädie und Chirurgie, innerer und Zahnmedizin. 155 Mal führte ein Behandlungsfehler sogar zum Tod des Patienten. 1294 Mal erlitt der betroffene Mensch einen dauerhaften Schaden.
Mit einem Drittel passieren die meisten der anerkannten Fehler während eines operativen Eingriffs – besonders beim Zahnarzt –, ein Viertel geschieht bereits bei der Erhebung des Befundes, an dritter Stelle folgen Pflegefehler. Die Gutachter zählten 67 Fälle, in denen beim Patienten während eines Krankenhausaufenthaltes ein Druckgeschwür entstand, das eindeutig auf eine falsche Risikoeinschätzung zurückzuführen war. Bei entsprechenden Vorbeugemaßnahmen hätte es verhindert werden können. 34 Mal verblieben nach einem Eingriff Dinge wie Tupfer, Kompressen oder Klemmen im Körper. Dies hätte sich nach Ansicht der Experten durch eine einfache Zählkontrolle der benutzten Instrumente verhindern lassen.
Wie bereits im vergangenen Jahr mahnten die Vertreter der Krankenkassen eine größere Aufmerksamkeit für das Problem an. Es gehe nicht um die Frage, wer den Fehler verursacht habe, erklärte MDS-Chef Gronemeyer. sondern vielmehr darum, wo und warum er geschehen ist und welcher Art er war. Nur so könne eine Analyse erfolgen und vermieden werden, dass immer wieder die gleichen Fehler gemacht würden. Zu den Ver- meidungsstrategien zählt der Medizinische Dienst der Krankenkassen Checklisten bei Eingriffen, Trainings von Operationsteams, die kritische Kontrolle von Medikamentenkombinationen und ein bundesweites Fehlerregister.
Doch von einem Fehlerbewusstsein, das diese Maßnahmen als notwendig erachten würde, ist man hierzulande weit entfernt, meinen Fachleute. Patientensicherheitsexperte Max Skorning nannte als Beispiel die »Never Events« – Dinge, die niemals vorkommen sollten. Sie bezeichnen immer wieder auftretende folgenschwere Ereignisse wie Verwechslung des Patienten, der Gliedmaßen oder des Medikamentes. In den USA oder Großbritannien würden solche Vorkommnisse landesweit aufgelistet. Sie seien in der Regel nicht der Fehler eines Einzelnen, sondern Fol- ge eines Problems im System, so Skorning. Transparenz sei die einzige Möglichkeit, Patienten und das Personal vor solchen Fehlern zu schützen.
Will man unter den medizinischen Eisberg schauen, muss man die bei den Gutachterstellen der Ärzteschaft geltend gemachten Behandlungsfehler zu denen der Kassen hinzuzählen und kommt dann auf rund 6000 bestätigte Fehler im vergangenen Jahr. Doch auch das ist noch nicht alles. Keine Statistik zählt die direkt bei Gericht vorgebrachten Fälle. »Die wahre Zahl der Behandlungsfehler liegt leider bedeutend höher als das, was Ärzte zugeben und Krankenkassen offiziell erheben«, sagt die LINKEN-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler. Aus ihrer Sicht dürfe die Beweislast für einen Fehler nicht länger bei den Patienten liegen.