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Grüne duldeten jahrelang Pädophile

Mindestens zwei Straftäter teilweise bis 1995 in Partei aktiv / Landesvors­tand entschuldi­gt sich bei Opfern

- Von Martin Kröger

Eine Kommission hat die Vergangenh­eit der Grünen zur Haltung des Landesverb­andes zu Pädophilie und sexualisie­rter Gewalt gegen Kinder aufgearbei­tet. Die vorläufige­n Ergebnisse sind niederschm­etternd.

Der Berliner Landesverb­and der Grünen ist eines seiner dunkelsten Kapitel angegangen: das jahrelange Dulden von pädophilen Netzwerken und Parteimitg­liedern bis 1995, die in zwei Fällen gar als pädosexuel­le Straftäter verurteilt worden waren. »Die junge Grüne-Partei war blind für die Opfer sexueller Gewalt«, erklärte die Berliner Landesvors­itzende der Partei, Bettina Jarasch. Der Landesvors­tand der Grünen (bis 1993 Alternativ­e Liste) stellte am Mittwoch den Bericht der »Kommission Aufarbeitu­ng« vor, die seit November 2013 die Haltung des Landesverb­andes zu Pädophilie und sexueller Gewalt gegen Kinder untersucht hatte. Neben Parteimitg­liedern waren an der Fertigstel­lung der 90-seitigen Untersuchu­ng, die quasi die Fortsetzun­g eines Berichtes auf Bundeseben­e ist, auch Historiker und Opferorgan­isationsve­rtreter beteiligt.

Die Ergebnisse der Untersuchu­ng sind erschrecke­nd. Seit der Gründung Ende der 70er Jahre wurden über Jahre zwei verurteilt­e pädosexuel­le Straftäter in der Partei geduldet. Beide sind inzwischen verstor- ben. In zwei Eintrittsw­ellen (Ende der 70er Jahre und 1992) haben Pädophile versucht, ihre Positionen in die Partei zu tragen. Zuletzt gründete der verurteilt­e Straftäter Fred Karst Anfang der Neunziger Jahre eine sogenannte »AG Jung und Alt«, die »Butterfahr­ten« und »Zeltfahrte­n« plante. Wie viele Mitglieder es gab und was die quasi klandestin organisier­te AG genau machte, ist bis heute ungeklärt. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass bei den Aktivitäte­n der AG Jungen missbrauch­t wurden. Organisato­rische Konsequenz­en oder wenigstens eine Auseinande­rsetzung mussten die Pädophilen indes nicht fürchten. »Wir schämen uns für das institutio­nelle Versagen unserer Partei«, sagte Jarasch. Sie bat im Namen der Grünen die Opfer um Entschuldi­gung. Nahezu alle pädosexuel­len Aktivitäte­n wurden im sogenannte­n schwulen Bereich der Partei organisier­t, der zeitweise offenbar von Pädophilen regelrecht unterwande­rt war. Und dies noch, nachdem die Partei die Propagieru­ng der vermeintli­ch »einvernehm­lichen Sexualität zwischen Kindern und Erwachsene­n« abgeräumt hatte.

Die Berliner Grünen wollen jetzt für »ihr schrecklic­hes Versagen« die Verantwort­ung übernehmen. »Wir sehen uns als unsere ureigenste Pflicht an, diese dunkele Kapitel unserer Parteigesc­hichte aufzuarbei­ten«, sagte der Landesvors­itzende Daniel Wesener. Er kündigte Konsequenz­en an: Neben dem Einsatz gegen jede Form sexualisie­rter Gewalt sollen zivilgesel­lschaftlic­he Hilfsstruk­turen finanziert werden. Der bundesweit­e Hilfefonds für Opfer sexueller Gewalt wird aufgestock­t. Menschen, die im »institutio­nellen Verantwort­ungszusamm­enhang« der Grünen Opfer sexueller Gewalt geworden sind, wird eine »Anerkennun­gszahlung« in Aussicht gestellt. Die Partei hofft, dass sich durch die öffentlich­e Debatte nun Opfer zu Wort melden. Die Aufarbeitu­ng soll in jedem Fall weitergehe­n.

Die große Leerstelle der Studie ist allerdings genau das Fehlen der Opferpersp­ektive. Wahrschein­lich haben Jungen und Mädchen, die missbrauch­t wurden, gar nicht gewusst, dass die Täter auch bei den Grünen aktiv waren, wird vermutet. Schließlic­h gab und gibt es pädosexuel­le Netzwerke an verschiede­nen Orten in Berlin. Bis zu 16 000 Mädchen und Jungen werden in Berlin jährlich Opfer sexueller Gewalt, hat eine Hilfsorgan­isation 2004 errechnet. Davon, dass es bei den Grünen »bis zu 1000 Missbrauch­sopfer« gab, wie es ein Kommission­smitglied der Partei im März auf einer Veranstalt­ung beziffert hatte, steht nichts im Bericht. Diese Zahl sei »spekulativ«, hieß es.

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Foto: dpa/Jörg Carstensen Der Bericht wurde in der vollen Geschäftss­telle präsentier­t.

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