Köln steht Kopf
Rot-Grün verliert nach Neuauszählung hauchdünne Mehrheit in der Stadt – CDU triumphiert
Nach der Wahl 2014 regierte im Kölner Rathaus Rot-Grün – mit nur einer Stimme Mehrheit. Doch die CDU bezweifelte, dass korrekt ausgezählt wurde, was sich nun bestätigte. Das hat große Folgen.
Köln. Es ist ein bundesweit bisher beispielloser Vorgang: In einem einzigen Kölner Stimmbezirk wird ein Jahr nach der Kommunalwahl und nach zähem Streit noch einmal nachgezählt. Binnen gut einer Stunde sind die gerade mal rund 700 Stimmen am Dienstag sorgfältig und unter größtem öffentlichen Interesse ausgezählt. Das Ergebnis wirbelt die politischen Verhältnisse in der größten Kommune Nordhein-Westfalens durcheinander. Rot-Grün verliert seine Ein-StimmenMehrheit im Rat, die Karten müssen neu gemischt werden.
Die CDU, die eine fehlerhafte Ergebnis-Übertragung im Mai 2014 moniert und die Neuauszählung erkämpft hatte, kann triumphieren. Sie hat als Folge des korrigierten Ergebnisses einen Ratssitz mehr – und muss in der viertgrößten deutschen Stadt womöglich bald nicht mehr auf der Oppositionsbank sitzen. »Wir haben unser Wahlziel aus dem letzten Jahr, die rot-grüne Mehrheit im Rathaus zu knacken, nun doch erreicht«, freut sich CDU-Parteichef Bernd Petelkau.
Der »Kölner Stadtanzeiger« scheibt zu dem Vorgang: »Dass ehrenamtliche Helfer am Abend eines Wahlsonntags Zahlen vertauschen, ist weder skandalös noch böse Absicht. Es ist menschlich.« Was dem Fall aber einen unguten Beigeschmack gebe, »ist der Umgang einer politischen Mehrheit mit Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Wahlergebnisses – und damit an der Sitzverteilung im Kölner Rat.« Denn SPD, Grüne und LINKE hätten sich »hartnäckig gegen die Neuauszählung eines einzelnen Stimmbezirks ausgesprochen«.
Die Spekulationen über neue Bündnisse sind bereits in Gang gekommen. Eine klare Mehrheit gibt es nicht mehr, ein politisches Patt droht die Millionenstadt zu lähmen. Kommt es zu einer großen Koalition von SPD und CDU? Oder bekommt Rot-Grün einen Dritten ins Boot?
SPD-Fraktionschef Martin Börschel sieht die Grünen – trotz einiger heftiger Reibereien – weiter als »erste Ansprechpartner«, mit denen Gespräche auch über eine Dreier-Konstellation geführt werden sollten. Einem rot-grünen Minderheitsbündnis mit wech- selnden Mehrheiten können die Grünen nicht viel abgewinnen, macht Geschäftsführer Jörg Frank deutlich – mit Blick auf die Finanzkrise und den Haushalt, der schnell verabschiedet werden muss.
Der Politikwissenschaftler Klaus Schubert glaubt nicht an schnelle Verhandlungen. »Es wird zunächst punk- tuelle Bündnisse geben, um dringende Entscheidungen treffen zu können. Reguläre Koalitionsverhandlungen sind erst nach der Oberbürgermeisterwahl zu erwarten.« Die OBWahl im September macht alles noch komplizierter.
Im Kölner Rat kam Rot-Grün auf die nun verlorene Mehrheit nur dank der SPD-Stimme von OB Jürgen Roters. Nachfolger als OB will der Kölner SPDParteichef Jochen Ott werden. Doch ausgerechnet Ott hat nun sein Mandat im Zuge der Neuauszählung verloren. Keine entspannte Ausgangslage für einen OB-Wahlkampf. Zumal fast alle anderen Fraktionen, sogar ausdrücklich die Grünen, die parteilose Konkurrentin Henriette Reker auf dem Chefsessel der Metropole sehen wollen und sie entsprechend unterstützen.
Experte Schubert glaubt: »Falls Reker gewinnen sollte, wäre ein schwarz-grünes Bündnis wahrscheinlich. Das passt auch zum Konzept von CDU-Landesparteichef Ar- min Laschet, der für Schwarz-Grün ist.« Die Entwicklungen in Köln werden also in mehrfacher Hinsicht genau beäugt.
Die Vorgänge am Dienstag werden jedenfalls in die Geschichte eingehen. »Das ist spektakulär. Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt«, sagt der Düsseldorfer Politologe Professor Stefan Marschall. Neuauszählungen von Wahlen seien ohnehin selten. »Es gibt schon mal Anzweiflungen, aber die Neuauszählung führt dann meistens zu einer Bestätigung des Ergebnisses.« Marschalls Kollege Schubert resümiert: »Köln ist immer spannend und eine besondere Beobachtung wert. Köln ist eben ein ganz eigenes Biotop.«
Nach der Neu-Auszählung kritisierte CDU-Chef Laschet die SPD scharf. »Wenn es um die eigene Macht geht, ist der SPD in Nordrhein-Westfalen nichts heilig«, sagte er »Rheinischen Post«. »Bis hinauf zum SPD-Innenminister hat man alles getan, um Aufklärung zu verhindern.«