Lass den Regen ruhig ins Haus
Unter dem schlichten Titel »Album Nr. 6« veröffentlichte der Rocksänger und Liedermacher Christian Haase eine tolle Platte
Wenn ein erst 34 Jahre alter Künstler im heutigen Musikgeschäft auf zwei Jahrzehnte erfolgreiche Bühnenerfahrung zurückblicken und die sechste Platte auf dem eigenen Label veröffentlichen kann, dann kommt es schnell einmal zur Glorifizierung der erkämpften Selbstständigkeit. Christian Haase, aufgewachsen im Leipziger Neubau-Ghetto Grünau und heute in Berlin lebend, wollte denn ursprünglich auch seine Zufriedenheit verkünden; er erklärt: »2015 ist das Jahr meines 20-jährigen Bühnenjubiläums und ich wollte eine Art ›Best of Haase – Reloaded‹ herausbringen.«
Es kam anders, das Tonstudio bot keinen Platz für Eskapismus, Haase erläutert: »Die Aufnahmen waren un- ter anderem beschattet vom Krieg in der Ostukraine, den Pegida-Demos, der Pleite Griechenlands und einem wachsenden Strom von Flüchtlingen. Was soll ich da Liebeslieder aus meiner Spätpubertät singen?« Nur zwei ältere Songs schafften es auf »Album Nr. 6«.
Haase, interessiert am »Mehrwert für das Publikum«, hat sich für eine Platte entschieden, der man eine Schockstarre anmerkt. Obwohl oft leicht und verspielt, atmet sie einen Geist, der den Verhältnissen trotzen will. Ein Ringen um Haltung. Will noch der aufbrausende Jugendsong »Krach ist mir heilig« mit dem bleiernen Alltag all der Hinterhofwäscheleinen brechen, sucht das aktuelle Lied »Immer und immer wieder« nach einem gesamtgesellschaftlichen Blick: »Und immer und immer wieder wird einer sterben für das, was er will. Und immer und immer wieder war das, was er wollte, noch nicht mal viel.«
Haase präsentiert die Breite seines musikalischen Schaffens, es mischt sich Rock mit zarten Akustiknummern, lässiger Pop trifft auf poetische Liedermacherei. Selbstbewusst klingt es weiterhin, im Song »Jacke am Kap Horn« heißt es: »Ich habe keine blasse Ahnung, nicht den Hauch einer vernünftigen Idee, wieso bekommt das schönste Drehbuch immer kein Budget. Ich warte nicht auf gestern, ich warte nicht auf dich.«
Doch jetzt geht es auch um Alternativen zum Wahnsinn dieser Welt, im Song »Rom« klingt das so: »Lass den Regen ruhig ins Haus, lass die Finger von den Zaubermitteln, schalt den Fernseher mal aus.« Wer so grundlegend anfängt, muss vorab heftigst erschüttert gewesen sein, auch in »Werd dich vermissen« geht es um eine erkenntnisgesättigte Einstellung: »Es ist die Arbeit, nicht das Gehalt da. Es sind die Bäume und nicht der Wald da. Es ist die Sehnsucht und nicht die Liebe. Es sind die Schlachten, die du schlägst, und nicht die Kriege.«
Die Atmosphäre der neuen Platte wirkt wie ein gutes, inniges Gespräch unter Freunden, gestärkt geht man daraus hervor. Nicht mehr, nicht weniger. Die religiös anmutende Klavierballade »Geister am Bett« nuanciert den Bühnenjubiläumsstolz vor dem Fokus der Gegenwart: »Jeden Abend kommen die Geister und warten hier am Bett, aber ich hab viel mehr. Ich hab viel mehr – Geduld.«