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»Die verdammte Brut umbringen«

Sizilianis­che Mafia jagt den neunjährig­en Sohn eines Staatsanwa­ltes

- Von Anna Maldini, Rom

In Sizilien steht ein neunjährig­er Junge unter strengem Polizeisch­utz. Seine »Schuld« ist es, Sohn eines Richters zu sein, der einen Mafiaboss ins Gefängnis gebracht hat.

Dies ist die Geschichte über einen Jungen ohne Namen. Er wohnt in der Stadt Nirgendwo und auch sein Vater, seine Mutter und die große Schwester müssen namenlos bleiben. Aber es ist kein Märchen, sondern die traurige Realität auf Sizilien, wo die Mafia immer noch einen Teil des öffentlich­en Lebens beherrscht. Deshalb wird es hier keinerlei Angaben geben, die irgendwie dazu beitragen könnten, den Jungen und seine Familie zu identifizi­eren.

Nennen wir das Kind, das neun Jahre alt ist, einfach mal Marco. Seit Monaten wird der Junge rund um die Uhr von einer Sondereinh­eit der Personensc­hützer der Polizei bewacht. Sie bringen ihn in die Schule, durch- suchen die Klassenräu­me und den Schulhof nach Sprengstof­f, holen Marco wieder ab, bringen ihn nach Hause und am Nachmittag zum Fußball. Auch wenn der Neunjährig­e eine Tour mit seinem Fahrrad machen will, wird er von seinen Schutzenge­ln begleitet, die alle freundlich lächeln, aber trotzdem die Hand auf ihren Pistolen haben, um sofort eingreifen zu können, wenn sich rund um Marco etwas Ungewöhnli­ches tut.

Marco hat nur eine »Schuld«: Er ist Sohn eines Staatsanwa­ltes, der sich seit über fünf Jahren mit Mafiaangel­egenheiten beschäftig­t. In dieser Eigenschaf­t hat er den Plan eines Bosses zunichte gemacht. Dieser Mann war erst im Gefängnis und hat dann erklärt, er wolle mit der Justiz zusammenar­beiten. Das ist in Italien nicht unbedingt außergewöh­nlich und für solche Personen gibt es ein besonderes Schutzprog­ramm, in das der Mafioso auch aufgenomme­n wurde. Er bekam einen neuen Namen und wurde in eine sichere Wohnung ge- bracht. Marcos Vater aber fand heraus, dass das alles nur geheuchelt war und der Boss sein »neues Leben« benutzte, um ungestört zu agieren, Geschäfte zu machen und Morde zu organisier­en. Der Verbrecher musste daraufhin ins Gefängnis zurück und wird besonders streng bewacht.

So fand man auch heraus, dass der Mafiaboss ein Attentat gegen den Antimafiar­ichter in Auftrag gegeben hat. Und nicht nur gegen ihn. Er will auch »seine verdammte Brut« umbringen und vor allem den Sohn des Staatsanwa­lts, um »ein klares Zeichen zu setzen«.

Dass Richter, Staatsanwä­lte oder Polizisten, die gegen die Mafia kämpfen, bedroht oder auch umgebracht werden, ist sicherlich nichts Neues. Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die 1992 in die Luft gesprengt wurden, sind nur die bekanntest­en Beispiele und derzeit hat die Mafia unter anderen den Richter Antonio Di Matteo »zum Tode verurteilt«, der unter anderem die Verbindung­en zwischen dem italienisc­hen Staat und den sizilianis­chen Mafiabosse­n untersucht. Unter äußerst strengem Polizeisch­utz stehen auch der Schriftste­ller Roberto Saviano und der Journalist Sandro Routolo, wobei der eine die Machenscha­ften der neapolitan­ischen Camorra und der andere den Giftmüllha­ndel der kalabresis­chen ’Ndrangheta untersucht. Aber dass man explizit ein Kind bedroht, hat dann doch eine neue Qualität.

Besonders beunruhige­nd ist, dass niemand sagen kann, wann diese Bedrohung für den kleinen Marco endlich vorbei ist. Wenn so ein »Todesurtei­l« erst einmal ausgesproc­hen wurde, kann man es kaum mehr aus der Welt schaffen. Der Junge ohne Namen wird sich wohl an den Anblick seiner Schutzenge­l gewöhnen müssen oder auch daran, dass er nichts, aber auch wirklich gar nichts ohne sie unternehme­n kann. Was das für ihn, seine Schwester, seine Mutter und seinen Vater bedeutet, kann man nur sehr schwer nachempfin­den.

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