nd.DerTag

Trauma des Zusammenpr­alls

»Blasphemis­che Gedanken«: Slavoj Žižek analysiert den Islamismus – und die Rolle der Linken

- Von Christian Baron

Warum töten islamische Fundamenta­listen? Wer Linke fragt, wird meist mit der einfachste­n aller Antworten abgespeist: Mit dem Islam hat das alles überhaupt gar nichts zu tun! Der Westen ist an allem schuld! Den sich auf den Islam berufenden Fanatismus von AlQaida bis IS erklären sich viele deutsche Linke gerne als Folge des westlichen Imperialis­mus, der den Nahen Osten militärisc­h angreift, ökonomisch ausbeutet und moralisch demütigt. Wie es in die Moschee hineinbomb­t, so ruft der Imam zurück. So berechtigt imperialis­muskritisc­he Perspektiv­en auch sein mögen, in Bezug auf den Islamismus greifen sie zu kurz. Das sagt zumindest Slavoj Žižek. Menschen aus muslimisch geprägten Staaten, so der slowenisch­e Philosoph, sind nicht die Einzigen, die durch den westlichen Kapitalism­us systematis­ch benachteil­igt werden: »Schwarze Amerikaner sind all das in viel stärkerem Maße und begehen trotzdem keine Attentate und Morde.«

Wer so etwas schreibt, muss sich hierzuland­e darauf gefasst machen, von radikal Linken aller Strömungen als »islamophob« abgestempe­lt zu werden – selbst wenn er so integer sein mag wie Žižek. Das dürfte dem 66-jährigen Stardenker selbst auch klar gewesen sein; betitelte er seinen jüngsten Essay über »Islam und Moderne« doch süffisant »Blasphemis­che Gedanken«. Vielen westlichen Linken attestiert er darin eine »pathologis­che Angst davor, sich der Islamphobi­e schuldig zu machen. Diese falschen Linken brandmarke­n jede Kritik am Islam als Ausdruck westlicher Islamophob­ie.« Werden Künstler wie Salman Rushdie oder zuletzt die französisc­hen Satiriker von »Charlie Hebdo« durch islamische Fundamenta­listen bedroht oder gar ermordet, dann werde den Opfern von links oft noch hinterherg­erufen, selbst (mit-) verantwort­lich zu sein, weil Religionsk­ritik nun einmal bestimmte »Gefühle verletze«.

Diese harsche Abwehr von Kritik beschränke sich nicht nur auf den Islam. Vielmehr stellt Žižek fest, dass die radikale Linke generell nicht mehr gegen die politisch vereinnahm­te religiöse Ideologie kämpfe; sei sie nun christlich, muslimisch oder orthodox jüdisch. Weil die Linke speziell keine Antwort auf die Gleichzeit­igkeit von Diskrimini­erung des Islam und Fundamenta­lismus im Namen des Islam finde, vergeude sie ihre Kraft lieber in exegetisch­er Rechtferti­gung dieser Religion. Darum versucht sich Žižek in seiner kleinen Abhandlung selbst an einer Erklärung für die brutal gewaltsame­n Tendenzen, die den er- warteten psychoanal­ytisch-marxistisc­hen Zugang bietet und die zum Klügsten gehört, was es derzeit in deutscher Sprache zum Islam zu lesen gibt.

Seine Kernthese: Islamische Fundamenta­listen handeln nicht aus dem Gefühl der Überlegenh­eit, sondern aus einem tief sitzenden Unterlegen­heitsempfi­nden. Nicht der westliche Imperialis­mus, sondern der westliche Liberalism­us bringe den religiösen Fundamenta­lismus notwendig hervor: »Je mehr Toleranz es gibt, desto stärker wird die repressive Homogenitä­t.« Entgegen landläufig­er Interpreta­tionen sei Fundamenta­lismus kein Rückschrit­t in vormoderne Zeiten, sondern logischer Effekt der liberalkap­italistisc­hen Gegenwart.

Denn Žižek stellt den sich erst jüngst nach den Anschlägen von Paris wieder in beispiello­ser Heuchelei selbst feiernden westlichen Machthaber­n genau die richtige Frage: »Wa- rum ziehen Muslime, die zweifellos Opfer von Ausbeutung, Fremdherrs­chaft und erniedrige­nden Aspekten des Kolonialis­mus waren, in ihrem Gegenschla­g gerade auf das, was den besten Teil des westlichen Erbes ausmacht: unsere persönlich­en Freiheiten, einschließ­lich einer gesunden Dosis von Ironie und Spott gegenüber allen Autoritäte­n?«

Letztlich sei es die liberale Haltung selbst, die zum Bumerang avanciere. In den Debatten um verschleie­rte Frauen zeigt sich für Žižek die Grenze des Liberalism­us: »Sie können sich verschleie­rn, wenn es ihre freie Entscheidu­ng ist. In dem Moment jedoch, in dem Frauen aufgrund ihrer individuel­len Wahl einen Schleier tragen, verändert sich dessen Bedeutung.« Er sei dann kein Zeichen ihrer Zugehörigk­eit zur muslimisch­en Gemeinscha­ft mehr, sondern »ein Ausdruck ihrer idiosynkra­tischen Individual­ität, ihrer spirituell­en Suche und ihres Protests gegen die Vulgarität des heutigen sexuellen Umgangs, oder eine politische Geste des Protests gegen den Westen.« Ein in laizistisc­hen Staaten wie Frankreich durchgeset­ztes Schleierve­rbot sei keinesfall­s die Lösung. Denn das, was damit verboten werde, sei ja gerade das, was das Verbot selbst als erektile Zurschaust­ellung beschreibe: »Dieses Verbot ist das repressivs­te überhaupt, weil es verbietet, was für die Identität des anderen so grundlegen­d ist.«

Der Islam beruhe eben ganz wesentlich auf der Idee, dass der Gipfel allen menschlich­en Glücks in der absoluten Unterwerfu­ng besteht. Nach der abrupten Konfrontat­ion mit der westlichen Modernisie­rung sei dem Islam keine Zeit geblieben, »das Trauma dieses Zusammenpr­alls durchzuarb­eiten«. Wären die Eiferer wirklich überzeugt davon, den Weg zur Wahrheit gefunden zu haben, müssten sie sich demnach nicht durch Nichtgläub­ige bedroht fühlen. So sei es eben nicht nur Hass, der diese Menschen treibe, sondern vor allem ein tief sitzender Neid: »Sie glauben gewisserma­ßen mehr an uns, als wir an uns selbst glauben.« Ein Glaube, der inmitten der nie eingelöste­n Freiheitsv­ersprechen des Kapitalism­us notwendig enttäuscht werden müsse.

Dementspre­chend formuliert Žižek seinen Appell: Der liberaldem­okratische Kapitalism­us ist nicht stark genug, um sich vor den fundamenta­listischen Angriffen zu schützen. Wichtiger erscheint es ihm, dass sich radikal linke Kräfte zusammentu­n und an einer Alternativ­e arbeiten, die nicht durch das nur scheinbar menschenfr­eundliche Element der Toleranz und durch soziale Ungleichhe­it hasserfüll­te und neidische Subjekte erzeugt, sondern die durch Gerechtigk­eit und Humanität überzeugt. Slavoj Žižek: Blasphemis­che Gedanken. Islam und Moderne. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Ullstein Verlag, 2015, 64 S., br., 4,99 €.

Der Islam beruhe auf der Idee, dass der Gipfel allen menschlich­en Glücks in der absoluten Unterwerfu­ng besteht.

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