Trauma des Zusammenpralls
»Blasphemische Gedanken«: Slavoj Žižek analysiert den Islamismus – und die Rolle der Linken
Warum töten islamische Fundamentalisten? Wer Linke fragt, wird meist mit der einfachsten aller Antworten abgespeist: Mit dem Islam hat das alles überhaupt gar nichts zu tun! Der Westen ist an allem schuld! Den sich auf den Islam berufenden Fanatismus von AlQaida bis IS erklären sich viele deutsche Linke gerne als Folge des westlichen Imperialismus, der den Nahen Osten militärisch angreift, ökonomisch ausbeutet und moralisch demütigt. Wie es in die Moschee hineinbombt, so ruft der Imam zurück. So berechtigt imperialismuskritische Perspektiven auch sein mögen, in Bezug auf den Islamismus greifen sie zu kurz. Das sagt zumindest Slavoj Žižek. Menschen aus muslimisch geprägten Staaten, so der slowenische Philosoph, sind nicht die Einzigen, die durch den westlichen Kapitalismus systematisch benachteiligt werden: »Schwarze Amerikaner sind all das in viel stärkerem Maße und begehen trotzdem keine Attentate und Morde.«
Wer so etwas schreibt, muss sich hierzulande darauf gefasst machen, von radikal Linken aller Strömungen als »islamophob« abgestempelt zu werden – selbst wenn er so integer sein mag wie Žižek. Das dürfte dem 66-jährigen Stardenker selbst auch klar gewesen sein; betitelte er seinen jüngsten Essay über »Islam und Moderne« doch süffisant »Blasphemische Gedanken«. Vielen westlichen Linken attestiert er darin eine »pathologische Angst davor, sich der Islamphobie schuldig zu machen. Diese falschen Linken brandmarken jede Kritik am Islam als Ausdruck westlicher Islamophobie.« Werden Künstler wie Salman Rushdie oder zuletzt die französischen Satiriker von »Charlie Hebdo« durch islamische Fundamentalisten bedroht oder gar ermordet, dann werde den Opfern von links oft noch hinterhergerufen, selbst (mit-) verantwortlich zu sein, weil Religionskritik nun einmal bestimmte »Gefühle verletze«.
Diese harsche Abwehr von Kritik beschränke sich nicht nur auf den Islam. Vielmehr stellt Žižek fest, dass die radikale Linke generell nicht mehr gegen die politisch vereinnahmte religiöse Ideologie kämpfe; sei sie nun christlich, muslimisch oder orthodox jüdisch. Weil die Linke speziell keine Antwort auf die Gleichzeitigkeit von Diskriminierung des Islam und Fundamentalismus im Namen des Islam finde, vergeude sie ihre Kraft lieber in exegetischer Rechtfertigung dieser Religion. Darum versucht sich Žižek in seiner kleinen Abhandlung selbst an einer Erklärung für die brutal gewaltsamen Tendenzen, die den er- warteten psychoanalytisch-marxistischen Zugang bietet und die zum Klügsten gehört, was es derzeit in deutscher Sprache zum Islam zu lesen gibt.
Seine Kernthese: Islamische Fundamentalisten handeln nicht aus dem Gefühl der Überlegenheit, sondern aus einem tief sitzenden Unterlegenheitsempfinden. Nicht der westliche Imperialismus, sondern der westliche Liberalismus bringe den religiösen Fundamentalismus notwendig hervor: »Je mehr Toleranz es gibt, desto stärker wird die repressive Homogenität.« Entgegen landläufiger Interpretationen sei Fundamentalismus kein Rückschritt in vormoderne Zeiten, sondern logischer Effekt der liberalkapitalistischen Gegenwart.
Denn Žižek stellt den sich erst jüngst nach den Anschlägen von Paris wieder in beispielloser Heuchelei selbst feiernden westlichen Machthabern genau die richtige Frage: »Wa- rum ziehen Muslime, die zweifellos Opfer von Ausbeutung, Fremdherrschaft und erniedrigenden Aspekten des Kolonialismus waren, in ihrem Gegenschlag gerade auf das, was den besten Teil des westlichen Erbes ausmacht: unsere persönlichen Freiheiten, einschließlich einer gesunden Dosis von Ironie und Spott gegenüber allen Autoritäten?«
Letztlich sei es die liberale Haltung selbst, die zum Bumerang avanciere. In den Debatten um verschleierte Frauen zeigt sich für Žižek die Grenze des Liberalismus: »Sie können sich verschleiern, wenn es ihre freie Entscheidung ist. In dem Moment jedoch, in dem Frauen aufgrund ihrer individuellen Wahl einen Schleier tragen, verändert sich dessen Bedeutung.« Er sei dann kein Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinschaft mehr, sondern »ein Ausdruck ihrer idiosynkratischen Individualität, ihrer spirituellen Suche und ihres Protests gegen die Vulgarität des heutigen sexuellen Umgangs, oder eine politische Geste des Protests gegen den Westen.« Ein in laizistischen Staaten wie Frankreich durchgesetztes Schleierverbot sei keinesfalls die Lösung. Denn das, was damit verboten werde, sei ja gerade das, was das Verbot selbst als erektile Zurschaustellung beschreibe: »Dieses Verbot ist das repressivste überhaupt, weil es verbietet, was für die Identität des anderen so grundlegend ist.«
Der Islam beruhe eben ganz wesentlich auf der Idee, dass der Gipfel allen menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. Nach der abrupten Konfrontation mit der westlichen Modernisierung sei dem Islam keine Zeit geblieben, »das Trauma dieses Zusammenpralls durchzuarbeiten«. Wären die Eiferer wirklich überzeugt davon, den Weg zur Wahrheit gefunden zu haben, müssten sie sich demnach nicht durch Nichtgläubige bedroht fühlen. So sei es eben nicht nur Hass, der diese Menschen treibe, sondern vor allem ein tief sitzender Neid: »Sie glauben gewissermaßen mehr an uns, als wir an uns selbst glauben.« Ein Glaube, der inmitten der nie eingelösten Freiheitsversprechen des Kapitalismus notwendig enttäuscht werden müsse.
Dementsprechend formuliert Žižek seinen Appell: Der liberaldemokratische Kapitalismus ist nicht stark genug, um sich vor den fundamentalistischen Angriffen zu schützen. Wichtiger erscheint es ihm, dass sich radikal linke Kräfte zusammentun und an einer Alternative arbeiten, die nicht durch das nur scheinbar menschenfreundliche Element der Toleranz und durch soziale Ungleichheit hasserfüllte und neidische Subjekte erzeugt, sondern die durch Gerechtigkeit und Humanität überzeugt. Slavoj Žižek: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Ullstein Verlag, 2015, 64 S., br., 4,99 €.
Der Islam beruhe auf der Idee, dass der Gipfel allen menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht.