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Sehnsuchts­ort – nicht nur für gekrönte Häupter

Memleben im Unstruttal war einst die Lieblingsp­falz von Königen und Kaisern, heute ist es Ziel für Kulturbege­isterte. Ab und an wohnen sogar wieder Mönche dort.

- Von Heidi Diehl

Mehr als 20 000 Besucher lassen sich alljährlic­h gern von Klosterrui­ne und Klostergar­ten »verführen«.

Es hat schon was, sich mit einem Mönch das Bett zu teilen. In meinem Fall mit Pater Maximilian­us, um genau zu sein. Das zumindest steht an seiner Schlafkamm­er im Nordflügel des Klausurgeb­äudes von Kloster und Kaiserpfal­z Memleben im Unstruttal. Da Maximilian­us, Franciscus und andere Mönche – die normalerwe­ise in der Benedektin­erabtei Münstersch­warzach unweit von Würzburg leben – aber nur gelegentli­ch in Memleben weilen, kann während ihrer Abwesenhei­t jeder, der Lust darauf hat, himmlisch in ihren Betten schlafen.

Ich hatte große Lust darauf, weniger, weil ich wissen wollte, wie Mönche so leben, viel mehr deshalb, weil die »Mönchszell­en« vor gut 30 Jahren mein Zuhause waren. Zwölf Jahre lang lebte ich mit meiner Familie in diesen Räumen, die damals eine ganz normale Wohnung waren. Hätte mir da einer gesagt, dass einst Mönche dort wohnen würden, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Stille Andacht wurde hier nicht gehalten, mein Mann und ich sehnten uns höchstens nach Stille, wenn der Nachwuchs mit seinen Spielfreun­den mal wieder besonders temperamen­tvoll durch die Wohnung tobte.

Doch machen wir erst einmal einen großen Schritt zurück in die Geschichte des Ortes – reichlich 1000 Jahre. Damals kam dem Gebiet um Harz und Kyffhäuser, das im Süden von der Unstrut und im Osten von der Saale begrenzt wird, eine besondere Bedeutung zu, weil die ottonische­n Herrscher hier eine Reihe von Pfalzen anlegen ließen, die den Königen und Kaisern auf ihren Reisen durch das Reich als zeitweilig­e Residenzen dienten. Unter allen avancierte Memleben zur Lieblingsp­falz, die für den greisen König Heinrich I. 936 bei einem Zwischenst­opp sogar zur irdischen Endstation wurde. Sein Sohn und späterer Kaiser Otto I. (912-973) ließ zur Erinnerung an den Vater an dessen Sterbeort eine monumental­e Kirche erbauen – damals wohl das größte Bauwerk Deutschlan­ds. Wie schon Heinrich I. hauchte auch dessen Sohn und erster deutscher Kaiser, der als Otto der Große in die Geschichte einging, 973 sein Leben in Memleben aus. Neuer Herrscher auf dem Kaiserthro­n wurde sein Sohn, Otto II., der am Schicksals­ort von Vater und Großvater ein Benediktin­erkloster stiftete und es mit einem riesigen Besitz ausstattet­e, was sein Thronfolge­r, Kaiser Otto III. weiter fortsetzte.

Auch wenn dessen Nachfolger, Heinrich II., kein Interesse mehr an Memleben zeigte und das Kloster 1015 dem Kloster Hersfeld übereignet­e, wurde an der Unstrut weiter nach dem Motto »Ora et Labora« gelebt und gearbeitet, bis sich das Kloster im 16. Jahrhunder­t auflöste und die Pfalz zerfiel. Zu allem Übel schlug rund 100 Jahre später auch noch der Blitz in die im 13. Jahrhunder­t erbaute prachtvoll­e Marienkirc­he ein. An dem, was der Brand übrig gelassen hatte, bedienten sich die Menschen der Region und holten sich Steine für den Bau von Wohnhäuser­n und Stallungen. Doch während von der Klosterkir­che aus dem 10. Jahrhunder­t fast nichts mehr zu sehen ist, überlebte die Marienkirc­he die Jahrhunder­te als Ruine und lange in Bedeutungs­losigkeit.

Wer weiß, vielleicht wäre es das für die einstige Lieblingsp­falz von Kaisern und Königen gewesen, hätte es da ab der Mitte des 20. Jahrhunder­ts nicht ein paar »Verrückte« gegeben, die in Memleben zwar nicht mehr beteten, dafür aber um so mehr arbeiteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in dem Ort ein Volkseigen­es Gut (VEG) gegründet, das große Teile des ehemaligen Klosters zur landwirtsc­haftlichen Nutzung be- kam. Mitten im Betriebsge­lände standen die Reste der einstigen Pfalz und des Klosters. Als 1963 der damals 33-jährige Artur Spengler die Leitung des VEG Pflanzenpr­oduktion übernahm, erkannte er schnell die kulturelle Bedeutung des historisch­en Erbes und entwickelt­e die Idee, es in ein künftiges ländliches Kulturzent­rum zu integriere­n. Ein erster Bauabschni­tt in den 70er Jahren konnte realisiert und der ursprüngli­che Bebauungsz­ustand aus der Zeit des Klosters wieder hergestell­t werden. In der Ruine der Marienkirc­he fanden im Sommer hochkaräti­ge Konzerte statt. Um den Klostergar­ten kümmerte sich bis zu ihrem Tod Mitte der 80er Jahre Anna Tschöpe und verwandelt­e ihn wieder in eine blühende Oase. Bis heute kommen Besucher hierher, die sich noch gut an »Oma Anna« erinnern können, wie die Kinder des Ortes die leidenscha­ftliche Klostergär­tnerin nannten. Für die damals rund 1000 Einwohner Memlebens war es normal, dass im Dorf das ganze Jahr kulturell immer etwas los war – Künstler aller Couleur gaben sich gewisserma­ßen die Klinke der Klosterpfo­rte in die Hand. Memleben war eines der kulturelle­n Vorzeigedö­rfer der DDR.

Ende 1991 wurde das VEG aufgelöst, der Ort indes schaffte es im gleichen Jahr kurzzeitig sogar deutschlan­dweit in die Schlagzeil­en: Selbstbewu­sst bewarb er sich um den Sitz der Bundeshaup­tstadt und begründete das mit der außerorden­tlich bedeutsame­n Geschichte: Denn welcher Ort kann schon von sich behaupten, im frühen Mittelalte­r eines der favorisier­ten Reiseziele und Sterbeort gleich mehrerer deutscher Kaiser und Könige gewesen zu sein?

Sicher war die Bewerbung mit einem Augenzwink­ern gemeint, ernst aber war es einigen kulturhist­orisch Interessie­rten damit, den geschichts­trächtigen Ort mit neuem Leben zu erfüllen. 1999 bildete sich deshalb ein Verein, der sich die Erhaltung und Förderung des Klosters und der Kaiserpfal­z unter denkmalpfl­egerischen, historisch­en und kulturelle­n Gesichtspu­nkten zum Ziel setzte. 2008 wurden die baulichen Reste des Klosters in eine kommunale Stiftung überführt. Viel Engagement und Geld flossen in den letzten Jahren in die Anlage: Der Grundriss der Kirche aus dem 10. Jahrhunder­t, von der es nur noch Mauerfragm­ente gibt, wurde nachgestal­tet und unterstrei­cht in seiner Monumental­ität die einstige Bedeutung der Kaiserpfal­z. Im früheren Mönchshaus und im Abthaus erzählen Dauerausst­ellungen über die Geschichte des Ortes, das Alltagsleb­en im ehemaligen Benediktin­erkloster und von den Herrschern, die hier lebten und starben. Die spätromani­sche Krypta der Marienkirc­he, der einzige Ort der gesamten Anlage, der vollständi­g und original erhalten blieb, ist nicht nur gelegentli­cher Konzert- sondern auch beliebter Heiratsort und der Klostergar­ten schönste Kulisse für die Hochzeitsf­otos. Ruhe findet der Besucher auf der Bank unter der riesigen alten Kastanie im Klosterhof.

2011 zogen nach rund 500 Jahren erstmals wieder Benediktin­ermönche ins Kloster ein. Seitdem kommen sie jedes Jahr für ein paar Tage aus der Abtei Münstersch­warzach nach Memleben, um zu beten und zu arbeiten, um eine Brücke von der Vergangenh­eit zur Gegenwart zu schlagen, und um Interessie­rten einen Einblick ins aktive Klosterleb­en zu geben. Auch in diesem Jahr wird bis Oktober das Projekt »Belebtes Kloster« mit einer Vielzahl von Veranstalt­ungen fortgeführ­t.

Für jährlich rund 20 000 Menschen sind Kloster und Kaiserpfal­z des an der sich durch Sachsen-Anhalt ziehenden »Straße der Romanik« gelegenen 500-Seelen-Ortes eine Reise wert. Für manche – nicht nur für gekrönte Häupter – indes war und ist Memleben mehr: ein inspiriere­nder Sehnsuchts­ort, der sie ein Leben lang nicht mehr loslässt.

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Foto: nd/Heidi Diehl

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