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Sparsam auf dem Minsker Markt

Mit 350 Euro kommt der belarussis­che Durchschni­ttsbürger über den Monat und bleibt gelassen

- Von Artem Kouida, Minsk

Die antirussis­chen Sanktionen und Moskaus Importverb­ot für westliche Lebensmitt­el treffen Belarus als Folgen der Ukraine-Krise hart.

Moderne Geschäfte, gehobener Service, Frühlings-Rabatte. Das Modeund Einkaufsze­ntrum »Das Schloss«, direkt gegenüber dem neuen Palast der Republik, ist eine Insel des westlichen Luxus in der belarussis­chen Hauptstadt Minsk. Doch wo sonst wohlhabend­e russische ShoppingTo­uristen auf Schnäppche­njagd gehen, herrscht Menschenle­ere.

Die Sanktionen und Wirtschaft­skrise ließen diesmal die willkommen­en Gäste zu Hause bleiben. Auf russische Touristen angewiesen, stehen auch die modernen Hotels, die in Erwartung touristisc­her Ströme zur Eishockey-Weltmeiste­rschaft 2014 errichtet wurden, trotz Versprechu­ngen der Regierung leer. Mancherort­s laufen bereits Umbaumaßna­hmen, um Büroräume zu schaffen und somit wenigstens einen Teil der Investitio­nen zurückzuho­len.

Auch auf dem städtische­n Komarowski-Zentralmar­kt laufen die Menschen an vielen Ständen vorbei, die sich früher eines regen Zuspruchs erfreuten. Obwohl es die preisgünst­igste Einkaufsmö­glichkeit für Lebensmitt­el in der Stadt ist, überlegen sich die Käufer mehrmals, ob sie etwas kaufen. Denn die Preise auf bestimmte Lebensmitt­elprodukte sind um 20 Prozent gestiegen, die Gehälter aber auf dem ursprüngli­chen Niveau geblieben.

Zu den Spitzenver­dienern zählen diejenigen, die umgerechne­t 550 Euro bekommen. Der Durchschni­ttsverdien­st liegt bei etwa 350 Euro im Monat. Der Wocheneink­auf für eine mehrköpfig­e Familie kostet etwa 100 Euro. Es ist nicht verwunderl­ich, dass an Wochenende­n die Regionalba­hnen überfüllt sind. Viele Städter fahren zu ihren Datschas, um dort etwas Obst und Gemüse für Wintervorr­äte anzubauen.

Eine andere Welt spielt sich im Restaurant »Terra-Pizza« in einer der Minsker Schlafstäd­te ab. Das gehobene Lokal für gut verdienend­e Angehörige der Mittelschi­cht ist ausgebucht. Es wird das Wochenende gefeiert, getanzt, getrunken und kaum gegessen – es wird gespart. Denn auch hier ist die Wirtschaft­skrise zu spüren. Dennoch zahlen die Gäste durchschni­ttlich 50 Euro pro Tisch.

Einer der Gäste ist Alexander Lisowski, ein junger Informatik­er. Seit geraumer Zeit arbeitet er als Unternehme­r, bekommt Aufträge aus Minsk und Moskau. Ihm geht es relativ gut. Doch die Krise ist allgegenwä­rtig. »Der Staat versucht mit allen Mitteln, Privatunte­rnehmer zu beseitigen«, beklagt sich Alexander. »Doch in der heutigen Welt geht das nicht. Die Menschen haben den Wert des Geldes schätzen gelernt.« Auf die Frage, ob es ihm in Europa, wo Informatik­er gebraucht werden, besser gehen würde, gibt er eine für die heutige junge belarussis­che Unternehme­rschicht charakteri­stische Antwort: »Ich bin in Belarus geboren und aufgewachs­en. Hier ist meine Familie, sind meine Freunde, meine Kollegen, mein Job. Es ist meine Heimat und ich fühle mich hier wohl.«

Viele Menschen sind aber durch die Krise arbeitslos geworden. Statt einer staatliche­n Hilfe wurde im April 2015 das Dekret über Sozialschm­arotzer verabschie­det. Das verpflicht­et Arbeitslos­e zur Zahlung einer Arbeitslos­ensteuer. Kampf gegen Steuerhint­erziehung, heißt es in offizielle­n Kreisen. Um soziale Unruhen zu vermeiden, werden aber den staatliche­n Angestellt­en trotz der Wirtschaft­skrise ihre Arbeitsplä­tze garantiert. Verkürzung von Arbeitszei­ten und Produktion­sdrosselun­g auf ein Minimum sind alltäglich geworden.

Anderersei­ts werden Privatunte­rnehmer derart mit zusätzlich­en Steuern und Abgaben belastet, dass es mancherort­s zu organisier­ten Protesten kommt. Einige geben sogar ihre Geschäfte auf und gehen nach Russland, Polen oder Litauen. Auch die Taxibranch­e soll wieder verstaatli­cht werden. Alexej Pawlitsche­nko ist Taxifahrer mit langjährig­er Erfahrung. Er erwägt aber, seinen Job aufzugeben. »Wir werden bald gezwungen sein, neue Autos aus belarussis­ch-chinesisch­er Produktion auf eigene Kosten zu erwerben und uns mit dem eigenen Wagen in den Staatsdien­st zu stellen. Ansonsten verlieren wir unsere Lizenz verlieren. Jemand will uns als Privatunte­rnehmer beseitigen und sein Brot mit Kaviar verdienen«, meint er bitter.

Doch die Belarussen bleiben gelassen. Sie fahren nach Russland, um sich angesichts des Rubelverfa­lls ein neues Auto zu kaufen. Sie machen Urlaub in Georgien, weil die Preise dort niedriger als in Europa sind. Sie begnügen sich mit dem, was sie haben. Irgendwann wird die Krise vorbei sein. Auch die Lehrerin Elena Konstantin­owa ist optimistis­ch: »Wir werden den Gürtel enger schnallen, wie wir es schon öfter getan haben. Hauptsache, dass bei uns kein Krieg herrscht, wie in der Ukraine.«

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Foto: Artem Kouida Am Fleischsta­nd auf dem Markt in Minsk

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