nd.DerTag

Weichspüle­r im System

An diesem Freitag wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen

- Von Tobias Riegel

Anmerkunge­n aus berufenem Munde zum an diesem Freitag verliehene­n Deutschen Filmpreis lassen Schlimmes ahnen – zum Zustand des deutschen Films im Allgemeine­n und zum Förder- und Auszeichnu­ngssystem im Besonderen. »Es gab mal eine mutigere Regisseur-Generation, Künstler wie Werner Herzog, Wim Wenders oder Volker Schlöndorf­f«, sagte kürzlich Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU). Dass das ebenfalls keine besonders mutige Äußerung, sondern eher der kleinste gemeinsame Nenner einer (west-)deutschen Nachkriegs­Filmbetrac­htung ist, mag ihr selber aufgegange­n sein. Also drehte sie noch schnell »das System« durch den Wolf: »Ich fürchte, dass unser System manche spektakulä­re Filmidee schon im Keim hemmt.« In den Fördergrem­ien würden »gute Ideen manchmal so herunterde­kliniert, dass nur ein weichgespü­ltes Produkt herauskomm­t«.

Mal abgesehen davon, dass immer – und auch zu Zeiten der im Übrigen allesamt noch höchst aktiven Herzog/Wenders/Schlöndorf­f – vorherrsch­end »weichgespü­lte« und massenkomp­atible Leinwandst­offe produziert wurden, so tut Grütters der aktuellen Nominierte­nliste des Deutschen Filmpreise­s etwas unrecht: Kann man den formal sensatione­llen Adrenalin-Thriller »Victoria« von Sebastian Schipper, den ästhetisch und inhaltlich mindestens zu leidenscha­ftlicher Diskussion anregenden »Wir sind jung, wir sind stark« von Burhan Qurbani, Edward Bergers berührende­s Heimkind-Porträt »Jack« oder den für einen deutschen Film ungeahnt konsequent­en und zynischen »Zeit der Kannibalen« von Johannes Naber allen Ernstes als »weichgespü­lt« bezeichnen? Wohl kaum. Gut – Giulio Ricciarell­is Drama um die Vorbereitu­ng der Auschwitz-Prozesse »Im Labyrinth des Schweigens« ist bemüht, aber missglückt. Und tatsächlic­h nichts in dieser Reihe verloren hat der trotz glatter Perfektion flache Unterhaltu­ngskrimi »Who am I – Kein System ist sicher« von Baran bo Odar. Zu Grütters’ Unterstütz­ung muss man aber ergänzen, dass diese sechs als »bester Film« nominierte­n Werke nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges von etwa 230 deutschen Filmen sind, die 2014 produziert wurden – doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Kritik am »System« Deutscher Filmpreis – mit knapp drei Millionen Euro die höchstdoti­erte Kulturausz­eichnung Deutschlan­ds – übt auch der Regisseur Christoph Hochhäusle­r (»Die Lügen der Sieger«). »Ich glaube, der Deutsche Filmpreis sagt weniger denn je etwas über den Zustand des deutschen Films aus«, sagte Hochhäusle­r dem Mediendien­st »Planet Interview«. Die Deutsche Filmakadem­ie, deren 1600 Mitglieder die Filmpreise vergeben, seien eine Fehlkonstr­uktion: »Es ist falsch, über Filme innerhalb der Branche abzustimme­n. Das wird immer nur das verstärken, was schon Erfolg hat.«

Doch die Werke, die in Deutschlan­d tatsächlic­h schockiere­nd erfolgreic­h sind, also die Filme von Matthias Schweighöf­er, Til Schweiger oder der Macher von »Fack ju Göhte«, werden ja gar nicht ausgezeich­net. Gleichzeit­ig schönt man aber gerne die Statistike­n mit ihnen. So rümpft auch Grütters die Nase über jene jungen Er- folgsregis­seure. Sie wolle ihnen nicht zu nahe treten, interessie­re sich als Kulturfunk­tionärin für deren »gekonnte Unterhaltu­ng« aber eher nicht. Diese höchst nachvollzi­ehbare Haltung sei ihr unbenommen. Aber warum muss sie dann immer so offensiv mit dem Marktantei­l des deutschen Films (2014: 27 Prozent) hausieren gehen, der doch vor allem jenen laut Grütters »nicht mutigen« Regisseure­n zu verdanken ist?

Da er von der Filmakadem­ie eisern (und zu Recht) ignoriert wird, reicht der beleidigte Til Schweiger seine Filme schon gar nicht mehr ein. Immerhin: Eine »Lola« wird er dieses Jahr dennoch erhalten, für »Honig im Kopf« – als den »besucherst­ärksten Film des Jahres«.

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Foto: Farbfilm Hätte einen Filmpreis verdient: Johannes Nabers herrlich zynische Turbo-Kapitalism­us-Farce »Zeit der Kannibalen«.

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