Ein Gesetz, viele Widersprüche
Der Entwurf des Antidopinggesetzes wurde im Sportausschuss des Bundestages diskutiert
»Bis Ende des Jahres steht es im Bundesgesetzblatt«, sagt Dagmar Freitag. Bis dahin muss die Sportausschussvorsitzende aber noch viele Bedenken ausräumen.
Man lädt fünf Juristen ein – und erhält sechs Meinungen. Diese Erfahrung mussten am Mittwoch auch die Mitglieder des Sportausschusses des Bundestags machen, als sie zu einer Anhörung des Antidopinggesetzes einluden. Von kompletter Ablehnung des Entwurfs als »überflüssig, unklar und unausgereift« bis hin zu genereller Begrüßung bei Verbesserung einzelner Punkte reichte die Bandbreite der Standpunkte.
Dabei stellte sich als zusätzliche Schwierigkeit heraus, dass der Frankfurter Kriminalwissenschaftler Matthias Jahn, der den Gesetzentwurf als ungeeignet ablehnt, zumindest mit dem Deliktpunkt Besitzstrafbarkeit kein Problem hat. Jedenfalls dann, wenn es sich um »nicht geringe Mengen« an Dopingmitteln handelt. Sein Kollege Dieter Rössner, der den Entwurf grundsätzlich für sinnvoll hält, bezweifelt wiederum, dass der alleinige Besitz von Dopingmitteln durch Sportler schon zu Haftstrafen führen sollte. Als Anfangsverdacht für eine Ermittlung und als Verbot, das allerdings nicht automatisch zu einer Strafe führt, will Rössner den Besitz von Dopingmitteln aber im Gesetz erhalten wissen. Er führte eine interessante rechtsphilosophische Argumentation in die Debatte ein. Das Strafrecht räume einem Täter die Möglichkeit des Rücktritts von einer Tat ein, meinte er und verwies auf einen potenziellen Mörder, der es sich mit dem Messer in der Tasche auf dem Weg zu seinem Opfer doch noch anders überlege und den geplanten Mord nicht ausübe.
An der Besitzstrafbarkeit entzündete sich in der Anhörung auch die Hauptkritik einzelner Sportler und Sportlervertreter am Gesetzentwurf. Diskusolympiasieger Robert Harting malte das Gespenst von untergeschobenen Dopingmitteln in die Luft unter dem Bundesadler. Ihm schien dabei nicht klar, dass schon jetzt der Besitz von Dopingmitteln, heimlich zugesteckt oder bewusst erworben, eine Sperre bringen würde und das Antidopinggesetz den Athleten sogar noch bessere Chancen böte, in einem solchen Falle davon zu kommen. Denn während der Sportler beim Sportrecht beweisen muss, dass er keine Schuld daran habe, dass die Substanzen bei ihm gefunden wurden, kann er im Strafrecht zunächst von der Unschuldsvermutung profitieren.
Auch eine längere Erklärung der Rechtsexperten erschütterte Hartings Meinung nicht – er schwafelte weiter vom »erhöhten Angstindex der Sportler« als einziger relevanter Auswirkung des Gesetzentwurfs und beklagte zudem die Ungleichbehandlung gegenüber internationalen Kon- kurrenten. Dass zuvor andere Konkurrenten mit diesem »Nachteil« zum Wettkampf reisten, etwa Sportler aus Frankreich und Italien, wo es seit Jahren ein Antidopinggesetz gibt, kümmerte ihn nicht.
Relevant ist immerhin, dass Harting bei Einführung des Antidopinggesetzes strukturelle Verbesserungen für Sportler verlangt: »Wir brauchen eine Kennzeichnungspflicht für Medikamente, die als Dopingmittel genutzt werden können. Wir brauchen eine bessere Ausbildung der Sportmediziner, damit sie auch jüngere Sportler bei der Verschreibung von Medikamenten auf Dopingprobleme aufmerksam machen können.« Zudem fordert Harting die Entziehung der Approbation von Ärzten, die als Dopinghelfer auffielen. »Es sollen auch die Hintermänner bestraft werden«, argumentierte er zu Recht. Diese Standesbastion scheint aber in diesem Land nicht zu fallen. Kurios waren manch andere Einlassungen. So glaubt Harting, dass Sportler bei einem Freispruch im Strafverfahren auch nachträglich im Disziplinarverfahren freigesprochen werden sollten, wenn sie dort Opfer einer Sanktion geworden seien. Harting verkannte hier, dass Sport- und Strafjustiz nach anderen Kriterien urteilen.
Die Sorge, dass im Sportrecht verurteilte Sportler von der Strafjustiz freigesprochen werden könnten und dass dieser Widerspruch der Öffentlichkeit nicht vermittelbar sei, trieb auch den obersten Sportfunktionär Michel Vesper an. Der Vorstandsvorsitzende des DOSB befürchtet eine Delegitimierung der Sportjustiz bei späteren Freisprüchen der Sportler durch Strafrichter. »Wenn schon jemand wie Robert Harting in einem solchen Fall einen rückwirkenden Freispruch will, dann zeigt das, dass viele Menschen so denken werden und ein populärer Sportler versuchen wird, die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen«, meinte Vesper zu »nd«. Die Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken. »Das wäre eine grobe Unterschätzung der intellektuellen Kapazitäten der deutschen Öffentlichkeit und auch der Justiz, hier die Unterschiede nicht zu erkennen«, sagte sie. Sie, wie auch Frank Steffel vom Koalitionspartner CDU, will das Gesetz durchbringen. »Bis Ende des Jahres steht es im Bundesgesetzblatt«, sind beide überzeugt.
Dass das Gesetz notwendig ist, zeigte auch die Wortmeldung des NADA-Vorstands Lars Mortsiefer. 25 Anzeigen wegen Dopings habe die Nationale Anti Doping Agentur 2014 an Staatsanwaltschaften übergeben. »Aber wenn diese Anzeigen nicht ausgerechnet bei den Schwerpunktstaatsanwaltschaften in München oder Freiburg landen, dann werden die Verfahren so schnell eingestellt, wie wir die Anzeigen geschrieben haben«, meinte er. Ein Antidopinggesetz sollte auch den letzten unwilligen Strafverfolger in Bewegung versetzen.