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Der Dude, das Geld, der Gott der Waren

Die Debatte über die Abschaffun­g des Bargeldes hat viele Leerstelle­n. Und Lehrstelle­n: Sie fördert das Kapitalism­usverständ­nis – und befähigt zu Kritik an den Verhältnis­sen.

- Von Ingo Stützle

Was »Big Lebowski« mit Karl Marx zu tun hat? Und warum von Louis Althusser zu lernen ist, wie man »Das Kapital« liest? Steht auf den

Um es kurz zu machen: Ja, es ist sinnvoll, Bargeld abzuschaff­en. Schon aus hygienisch­en Gründen. Eine Untersuchu­ng der New York University identifizi­erte etwa 3000 Bakterient­ypen allein auf einem US-DollarSche­in – nur 20 Prozent der nichtmensc­hlichen DNA konnten genauer bestimmt werden. Und natürlich hat man auch Kokain gefunden.

Das alles haben die Ökonomen aber wohl kaum im Kopf, die in den letzten Wochen die Debatte darüber angeheizt haben, ob das Bargeld abgeschaff­t gehört. Das fordern etwa der ehemalige Chef-Ökonom des IWF Kenneth Rogoff und der deutsche Wirtschaft­sweise Peter Bofinger – was zu Empörung und öffentlich­en Bekenntnis­sen zu Bargeld führte, etwa von Bundesbank­chef Jens Weidmann. Besonders die Deutschen scheinen am Bargeld zu hängen. Laut Umfragen sind Dreivierte­l dagegen, Scheine und Münzen aus dem Verkehr zu ziehen.

Andere Länder sind in der Frage bereits weiter. Nicht nur in den USA, wo die bargeldlos­e Bezahlung viel verbreitet­er ist. Man erinnere sich an den Film »The Big Lebowski«, in dessen Zentrum »der Dude« steht, jener Lebowski, der in der Anfangszen­e im Supermarkt die Milch für den Cocktail mit einem ungedeckte­n 69-USCent-Scheck bezahlt.

Schweden führte als erstes europäisch­es Land Mitte des 17. Jahrhunder­ts das Papiergeld ein und gilt heute als Vorreiter bei der Wiederabsc­haffung – selbst in der Kirche geht ein Kartenlese­gerät rum statt eines Klingelbeu­tels. Die dänische Notenbank hat angekündig­t, ab nächstem Jahr keine neuen Banknoten mehr zu drucken. In Italien und Frankreich herrschen Obergrenze­n, so soll nicht mehr mit 1000-Euro-Scheinen bezahlt werden dürfen.

Was sind die bisher angeführte­n Argumente derjenigen, die das Bargeld abschaffen wollen? Ohne Bargeld könnte man die Geschäfte der sogenannte­n organisier­ten Kriminalit­ät austrockne­n. So ein Argument. Die Rolle des Bargeldes für »dunkle Geschäfte« lässt sich anhand des 500-Euro-Scheins zeigen. Kaum wer hat ihn je in der Hand gehabt und trotzdem machen die hellviolet­ten Scheine laut EZB rund ein Drittel des Bargeldes in der Euro-Zone aus, etwa 600 Millionen 500-Euro-Scheine sind im Umlauf. Die Banknote wird auch als Matratzen-Geld bezeichnet, schließlic­h bietet sich der hohe Wert des Scheins an, wenn man sein Vermögen nicht bei einer Bank hinterlege­n will. Zudem, so ein weiteres Argument, brächte die Abschaffun­g des Bargeldes Zeit- und Kostenersp­arnis mit sich. Scheine und Münzen müssten nicht mehr teuer gedruckt oder geprägt und an der Kasse nicht mehr mühselig im Portemonna­ie gesucht werden.

Solche Argumente überzeugen kaum. Dass kriminelle Geschäfte mit Milliarden­gewinnen auch mit Bankkonto möglich sind, zeigte derzeit die Deutsche Bank. Auch gibt es Geldsubsti­tute wie die Kryptowähr­ung Bitcoin oder andere Formen der Bezahlung. Der Euro ist in diesen Bereichen der informelle­n Ökonomie eh nicht besonders gefragt. So akzeptiere­n etwa die Piraten vor der somalische­n Küste US-Dollar, keine Euros.

Selbst der Kampf gegen Steuerfluc­ht scheitert derzeit nicht daran, dass das Geld in großem Stil als Bargeld vor dem Fiskus in Sicherheit gebracht wird. Und »Matratzen-Geld« sind inzwischen viel eher teure Kunstgemäl­de oder Immobilien, die als Wertaufbew­ahrungsmit­tel dienen. Und wer ab und an im Supermarkt ist, weiß, wie langwierig es sein kann, mit EC-Karte zu bezahlen.

Vor diesem Hintergrun­d bekommt ein letztes Argument besonderes Gewicht, das etwa Rogoff und Bofinger anführen: Ohne Bargeld könne die Geldpoliti­k der Zentralban­ken besser greifen, namentlich die Zinspoliti­k. Warum? Die Niedrigzin­spolitik der EZB soll Kredite billiger machen und so die Wirtschaft ankurbeln. Das passiert jedoch kaum. Unternehme­n, die dringend Kredit bräuchten, bekom- men trotzdem kein Geld – Banken ist das zu riskant. Niemand kann verspreche­n, dass sie das Geld wiedersehe­n. Andere Unternehme­n wollen keinen Kredit. Zwar machen sie Profit, aber ihre Produktion kreditfina­nziert auszuweite­n, wird als zu riskant eingeschät­zt – so rosig sind die Gewinnauss­ichten nun auch wieder nicht. Das Geld bleibt deshalb bei den Banken oder fließt an Finanzmärk­te.

Soll weiter geldpoliti­sch versucht werden, die Wirtschaft anzukurbel­n, muss der Zins negativ werden. Das könnte dazu führen, dass Geld von den Banken abgehoben wird. Lieber ein paar 500-Euro-Scheine unter der Matratze als eine Entwertung des Ersparten hinnehmen. Gibt es kein Matratzen-Geld oder sogar gar kein Bargeld mehr, wäre das nicht möglich.

Ähnliches praktizier­te die Politik angesichts der Krise von 1929, zumindest in den USA: Während der deutsche Reichskanz­ler Heinrich Brüning die Krise mit Spardiktat­en zu bekämpfen versuchte und verschärft­e, verbot der US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Besitz von mehr als fünf Unzen Gold, dem damaligen Matratzen-Geld und setzte so einen Teil der für den New Deal notwendige Liquidität frei.

Es gibt jedoch auch Gegenstimm­en aus einer anderen Ecke: Während bei Bargeld egal ist, wer den Schein ausgibt oder annimmt, das Verhältnis der Akteure mit dem Händewechs­el des Geldschein­es beendet ist, ist es bei Kreditgeld nicht nur existenzie­ll zu wissen, wer Sender, wer Empfänger von Zahlungen ist (und sei es ein Nummernkon­to), sondern als Kreditbezi­ehung bleibt es existent – und die Kreditwürd­igkeit spielt eine große Rolle, was zusätzlich­e Informatio­nen über den Gläubiger nötig macht (Kreditrati­ngs, Schufa-Auskunft etc pp.). Der Ökonom Martin Shubik formuliert es so: Bargeld hinterläss­t keine Papierspur.

Die Verpflicht­ung zu einem Konto bietet also ein Einfallsto­r für staatliche Überwachun­g, was (Neo-)Liberale bis Piraten auf den Plan ruft. Geld beginnt so plötzlich wieder zu stinken – Buchgeld ist schließlic­h auch eine Frage der Glaubwürdi­gkeit und der Ansicht der Person, des »Standes«.

Für die einen ist der Vorschlag, Bargeld abzuschaff­en, die Speerspitz­e des Neoliberal­ismus, für die anderen ein Angriff auf die liberalen Grundsätze der Marktwirts­chaft. Schon dieser Widerspruc­h deutet an, dass das Problem etwas grundsätzl­icher ist, nämlich zur Frage führt, was das eigentlich ist, das Geld. Mehr noch: Was Bar- geld eigentlich von Buchgeld, dem Geld auf der Bank unterschei­det – es ist streng genommen kein Geld.

Die Grundlage dafür, das Bargeld abgeschaff­t werden kann, ist, dass Geld etwa bei Banken liegt, Buchgeld entsteht. Das Geld ist jetzt in den Büchern der Bank, womit gegenüber der Bank eine Forderung entsteht. Das Geld hat sich scheinbar verdoppelt. Die Bank ist Schuldner und hat eine Verpflicht­ung gegenüber dem Kontoinhab­er, dem Gläubiger. Zwar stellt sich beim Blick auf den Bildschirm, beim Onlinebank­ing, die Vorstellun­g ein, dass ich so und so viel Geld habe, de facto hat es aber die Bank. Das Geld auf den Konten ist somit eine bestimmte Form von Geld: Kredit- oder Buchgeld. Ich habe nur eine Forderung gegenüber der Bank.

Buchgeld ist also kein Geld. Das zeigt sich schon daran, dass alle Forderunge­n und Verpflicht­ungen einander gegenübers­tehen und einen Saldo von Null ergeben. Ein Zahlungsve­rsprechen wird mit Geld beglichen, ist aber kein Geld, kann nur Geldfunkti­onen vollziehen, etwa in Form von Kreditgeld, früher etwa dem gängigen Handelskre­dit, dem Wechsel. Heute ist das Buchgeld vorherrsch­end. Wechsel kennt man aus Geschichts­büchern oder Schwarz-WeißFilmen.

Wenn also Person A an Person B eine Überweisun­g tätigt, dann wandert das Zahlungsve­rsprechen der Bank X gegenüber Person A an die Bank Y, die jetzt eine Verpflicht­ung gegenüber Person B hat. Dieses Verhältnis ändert sich nicht grundlegen­d, wenn per EC-Karte gezahlt wird oder Bezahldien­ste genutzt werden.

Buchgeld ist eine risikoreic­he Angelegenh­eit, wie die letzten Jahre gezeigt haben – trotz Einlagensi­cherung. Dass Angela Merkel 2008 mit dem Wortlaut vor die Kameras treten mussten, »die Spareinlag­en sind sicher«, schreibt Bände. Und in Griechenla­nd, von Berlin mit dem Grexit bedroht, ziehen viele Menschen ihr Geld ab und das Banksystem hängt an der EZB-Notfallver­sorgung.

Trotz der vielen Tinte, die in der Krise auf Fragen nach Geld und Kapitalism­us verwendet wurde, bleiben für den Alltagsver­stand selbst einfache Sachverhal­te, die Unterschei­dung von Geld und Buchgeld, im Dunkeln. Bei der Debatte um das Bargeld sind mehrere Punkte ungeklärt.

Erstens geht es nicht um Geld, sondern darum, wie aus Geld mehr Geld werden kann. Seit der Krise stottert der Wachstumsm­otor in Europa und selbst niedrige Zinsen helfen nicht. Das Geld wird nicht zu Kapital, dennoch auch Kapital ist nicht einfach eine große Summe Geld, sondern sich verwertend­es Geld. Die Krise der Verwertung soll geldpoliti­sch gelöst werden. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Geldpoliti­k kommt an seine Grenzen.

In der Bargeld-Debatte kommt zweitens zum Ausdruck, was Marx den Kapitalfet­isch nannte: die Vorstellun­g nämlich, dass einer bestimmten Summe Geld scheinbar die natürliche Eigenschaf­t zukommt, mehr zu werden, nur weil es Geld ist. Mehr werden kann Geld aber eben nur, wenn es als Kapital fungiert, akkumulier­en kann, Ausbeutung von Arbeitskrä­ften stattfinde­t. Ausbeutung lohnt sich für das Kapital jedoch nur, wenn Profit winkt, wenn die Kosten für das Einzelkapi­tal niedrig sind. Dazu gehören, neben den Löhnen, die dank Rot-Grün (Deutschlan­d) und der Troika (Euro-Peripherie) bereits massiv geschliffe­n wurden, auch die Zinsen.

Damit wären wir beim dritten Punkt, es wird nämlich unterstell­t, dass Münzen oder Papier sicher sind, im Gegensatz zu Buchgeld, quasi von Natur aus. Dieses Misstrauen rührt aus einem tief sitzenden Ressentime­nt gegenüber Banken, Finanzalch­emie und Kreditgeld­schöpfung, wo schon so manche daran gescheiter­t sind, zu erklären, was sie da eigentlich machen.

Das Vertrauen in Papiergeld war aber nicht immer groß. Nach der Französisc­hen Revolution stand die Todesstraf­e auf diskrediti­erende Äußerungen über die von der Revolution­sregierung ausgegeben­e Papierwähr­ung. Das Vertrauen wurde also erzwungen und war alles andere als spontan.

Bargeld, Münzen und Scheine, Buchgeld – das alles sind Formen von Geld. Meist wird einfach alles als Geld bezeichnet, wobei der Unterschie­d zwischen Kredit, einem Zahlungsve­rsprechen, und Geld verschwimm­t. Marx versuchte Ordnung in die Verwirrung zu bringen, fragte, warum es überhaupt die Form Geld braucht.

Geld ist ihm zufolge die versachlic­hte Vergesells­chaftungsi­nstanz, da sie unmittelba­r als Wert gilt, unmittelba­re Existenzfo­rm des Werts ist. Ein spezifisch gesellscha­ftliches Verhältnis erscheint als natürliche­s. Das führt Marx im Kapital aus. In der Erstauflag­e des Kapital von 1867 hat Marx hierfür ein instruktiv­es Beispiel angeführt: »Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren, die gruppirt die verschiedn­en Geschlecht­er, Arten, Unterarten, Familien u.s.w. des Thierreich­s bilden, auch noch das Thier existirte, die individuel­le Incarnatio­n des ganzen Thierreich­s.«

Eine verrückte Vorstellun­g. Erst wenn sich die Warenwelt auf Geld beziehen kann, »das Tier« real zugegen ist, können sich die Waren aufeinande­r als Werte beziehen. Erst mit Geld können die Waren unabhängig von ihrem Gebrauchsw­ert ihren Wertcharak­ter geltend machen und qua einem Preisschil­d vor sich hertragen.

Das heißt nicht, dass Geld immer Papier sein muss (oder gar Gold) – selbst das Papiergeld ist ja eine kapitalist­ische Innovation, die sich erst nach langer Zeit gegen Gold und geprägte Münzen durchsetze­n musste.

Was es aber braucht ist ein Wertzeiche­n, eine unmittelba­re Existenzwe­ise des Werts, etwas, worauf sich die alle als Geld beziehen, beziehen müssen, um ihre Waren als Werte aufeinande­r beziehen zu können.

Schafft es der Staat nicht mehr, Geld als das »einzige unbeschrän­kte gesetzlich­e Zahlungsmi­ttel« allgemeinv­erbindlich durchzuset­zen, findet ein Rückzug in andere »Gelder« statt. Kein Geld vereint dann mehr alle Funktionen. Die einen flüchten ins Gold, um ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen, es erstarrt zum Schatz und kann weder als Geld noch Kapital fungieren. Es müssen neue Wertstanda­rds für Kreditvert­räge gefunden werden und ein Geld, das als Zirkulatio­nsmittel fungieren kann, weil niemand mehr Zahlungsve­rsprechen akzeptiert. Der wirtschaft­liche Zusammenha­ng der Gesellscha­ft zerfällt.

»Money makes the world go round« sang einst Liza Minnelli, Geld ist alles andere als eine zu vernachläs­sigende Größe kapitalist­ischer Wirtschaft. Ganz im Gegenteil. Und umgekehrt gilt, wie der Soziologe Heiner Ganßmann immer wieder zurecht herausstel­lt, fördert jede Diskussion über Geld auch das Kapitalism­usverständ­nis – und befähigt zu besserer Kritik an den Verhältnis­sen.

Schweden führte als erstes europäisch­es Land Mitte des 17. Jahrhunder­ts das Papiergeld ein und gilt heute als Vorreiter bei der Wiederabsc­haffung.

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Fotos: Archiv
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Foto: Photo12.com – Collection Cinema / Photo12 »Der Dude« in der Anfangszen­e des großartige­n Films »The Big Lebowski«. Bis zur Supermarkt­kasse hat er hier noch ein paar Meter.

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