Europas Flüchtlinge
Solidarisch – oder gar nicht
Sogar die begrenzten Vorschläge stoßen auf ein kategorisches Nein der osteuropäischen Mitgliedstaaten und große Skepsis anderswo, außer in Deutschland. Ja, Italiens Nachbarländer, allen voran Frankreich, schließen sogar wieder die Grenzen, um die unwillkommenen Gäste abzuwehren. Menschenunwürdige Szenen wie in Ventimiglia oder Calais sind die Folge. Und dies alles in dem reichsten Länder-Club dieser Erde. Das geht nicht an. Die EU ist nach Ansicht ihrer Gründer das Schiff der europäischen Schicksalsverbundenheit. Doch je stärker die Stürme, die auf die EU zurasen, desto größer die Neigung einiger Matrosen, jeweils ein eigenes Rettungsboot zu Wasser zu lassen und das Weite zu suchen. Denn wer weiß, vielleicht werden die anderen ja eher durch die Wellen verschlungen, bevor wir an der Reihe sind. Diese Haltung ist kurzsichtig und dumm und wird die Probleme nicht lösen. Europa muss solidarisch sein, oder Europa wird gar nichts sein.
Libération, Frankreich Politik des Ertrinkens
Wie lange wird diese Politik des Ertrinkens noch andauern? Anders kann man die Haltung der europäischen Länder den Flüchtlingen gegenüber, die aus Kriegsgebieten oder afrikanischen Diktaturen oder dem Nahen Osten herbeiströmen, nicht nennen. Geht es darum, die Grenzen unkontrolliert zu öffnen? Nein: Es geht darum, eine menschliche und realistische Lösung für eine in der Migrationsgeschichte des Alten Kontinents bisher nicht dagewesene Krise, die sich verschärfen könnte, zu erarbeiten.
Guardian, Großbritannien Camerons Blockade
Großbritannien lehnt jede Zusammenarbeit mit der EU-Kommission ab, um die Flüchtlingskrise zu lösen. Innenministerin Theresa May behält die Innenpolitik immer genau im Blick. Der Grund: Könnte die EU Großbritannien dazu bringen, eine Flüchtlingsquote zu akzeptieren, würde dies sofort den Zorn von Europagegnern im Parlament und in der Presse auslösen. Wenn die Regierung in EU-Fragen nach rechts abwandert, erschwert sie die Arbeit der gemäßigten oder linksgerichteten Konservativen, die für die EU eintreten. Das Problem ist, dass die Tory-Partei die EU nur als einen europäischen Binnenmarkt betrachtet. Premierminister David Cameron sagt, dass Europa für Großbritannien wichtig sei. Doch seine Handlungen weisen eher in die entgegengesetzte Richtung.
Nepszabadsag, Ungarn Neuer eiserner Vorhang
An der Grenze Ungarns wird es einen neuen Eisernen Vorhang geben. Damals hatten wir ihn als erste abgerissen, jetzt ziehen wir den neuen hoch. Der Vorhang von vor 26 Jahren schnitt uns vom Westen ab, mit dem neuen werden wir andere vom Westen abschneiden. Schon nach dem Angriff auf die französische Satire-Zeitung »Charlie Hebdo« hatte Ministerpräsident Viktor Orban die Migration als Europas wichtigstes Problem bezeichnet. Es ist, als ob Orban Europas dunkle, aber organisch dazugehörige Seite wäre: Er spricht offen aus, was andere denken, aber nicht auszusprechen wagen. Sperrgitter lassen sich leichter hochziehen als abreißen. Und sie können einen auch ganz umschließen.
Neue Zürcher Zeitung, Schweiz Asylsuchende unerwünscht
Erst vor einer Woche kritisierte der Ausschuss gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (Ecri) den Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn in einem Bericht scharf. Fast ein Viertel der Asylsuchenden würden in Ungarn in geschlossenen Lagern untergebracht und damit unrechtmäßig der Freiheit beraubt. Auch von Beschimpfungen und Misshandlungen ist die Rede. Die Regierung in Budapest wirft Ecri vor, mit falschen Zahlen zu operieren. Lediglich elf Prozent der Flüchtlinge seien 2014 im Schnitt für wenige Tage festgehalten worden. Sie lässt dennoch keinen Zweifel daran, dass Asylsuchende nicht erwünscht sind. Zur Verschärfung des Einwanderungsrechts wird derzeit eine überaus fragwürdige Volksbefragung durchgeführt. Zudem ist ein Gesetz geplant, das EUBeitrittskandidaten wie Serbien zu «sicheren Drittländern» erklären will, womit Rückschaffungen möglich werden sollen.