Politisch korrekte Straßenkämpfer
In der MMA-Szene von Mexiko-Stadt haben sich die Bonebreakers etabliert – ein von Punks gegründeter Sportklub
In den 80er Jahren wurden Mexikos Punks oft angegriffen. Also übten sie sich in Selbstverteidigung und gründeten einen erfolgreichen Kampfsportverein.
Es scheint ein ganz normales Kampfturnier in einer Sporthalle im Süden der mexikanischen Hauptstadt zu sein. Doch irgendwas ist hier anders. Vor knapp 400 Zuschauern treten gerade die Bonebreakers aus MexikoStadt gegen einen Sportklub aus Chihuahua an. Mixed Martial Arts (MMA) werden präsentiert – ein für Nichtkenner recht brutal wirkender Sport, bei dem sich die Kämpfer meist so lange schlagen, treten oder festhalten, bis einer von ihnen aufgibt. Es gibt einen Moderator, Ringrichter, ein Kamerateam und Nummerngirls. So weit, so üblich. Doch unter den Fans, den Organisatoren und den Helfern sind viele Anarchisten zu sehen, Nietenpunks und Feministinnen. Sogar im Ring steht ein rothaariger Punk mit Iro, auf seinem schwarzen T-Shirt prangt »Faltan los 43«, eine Anklage gegen die mutmaßliche Ermordung von 43 Studenten in Mexiko.
Die Initiatoren der Bonebreakers waren Punks, die in den 1980er Jahren damit begonnen hatten, Selbstverteidigung zu trainieren: »In Mexiko-Stadt war es damals sehr schwer, wenn man bunte Haare hatte oder kaputte Hosen« erinnert sich Fer, der über seine Brüder Ende der 80er zu den Punks stieß. »Ein Punkstil oder einfach nur anders zu sein war schwierig. Die mexikanische Kultur ist sehr vom Machismo geprägt und von religiösen Traditionen. Wer anders auf der Straße rumlief, hat richtig Stress bekommen. Auch ich brauchte etwas Anlaufzeit, um mich gegen die Angriffe auf der Straße wehren zu können. Die waren manchmal nicht nur verbal. Also war es nötig zu wissen, wie man sich verteidigt, zu wissen, wie man kämpft.«
Heute steht Fernando Salas, kurz Fer, außerhalb des Maschendrahts rund um den achteckigen Ring und brüllt als Trainer seinem Schützling Tipps zu. Fer hat lange schwarze Haare. Er ist Gründungsmitglied der Bonebreakers. »Wir sind ein Sportklub, der auch international schon viele gute Ergebnisse erzielt«, betont er den sportlichen Wert des Vereins. Doch der ist mehr als ein reiner Sportklub. Sie würden sich zwar nicht politisch engagieren, doch für Rassismus und Ausgrenzung sei hier kein Platz. »Wir sind gegen Machtmissbrauch, gegen Machismo, gegen jeden Sexismus, gegen alles, was sich gegen die körperlichen, geistigen und spirituellen Fähigkeiten eines Menschen richtet«, sagt Fer. »Das ist unsere Politik und die vermitteln wir in jedem Kampf, in jedem Unter- richt, an jedem Ort, an dem wir auftauchen.«
Die auf der Straße bedrohten Punks hatten sich in den 90ern zusammengeschlossen und begonnen, verschiedene Stile zu trainieren: Muay Thai, Jiu Jitsu, später Kung Fu. »Auf der Straße gibt es keine Regeln«, sagt Fer, also kämpften sie zunächst »Vale Todo« (»Alles zählt«); jeder kämpfte den Stil, den er bevorzugte, bis der Gegner aufgab oder ausgeknockt war.
Fers älterer Bruder Raul Senk trainierte eine Zeit lang in den USA bei Jess Galvan. Dieser brachte ihm Techniken bei, die die mexikanischen Punks dann zu einem eigenen Stil weiterentwickelten. Sie nennen ihn »Galvan Combat Systems«. Er basiert auf Muay Thai, Jiu Jitsu, Boxen und Catchen. Schließlich gründeten sie ihren eigenen Sportverein; Fers jüngerer Bruder Dani erfand den Namen Bonebreakers (eine Anspielung auf die britische Punkband Broken Bones), Augusto »Dodger« Montana zeichnete das Logo. Beide sind heute professionelle Kämpfer, »Dodger« wurde sogar von der Ultimate Fighting Championship (UFC), dem weltweit größten MMA-Veranstalter aus den USA, unter Vertrag genommen.
Vor der Gründung der Bonebreakers hatten Fer und seine Brüder Demos und Konzerte organisiert, Häuser besetzt und in Punkbands gespielt. Die Erfahrungen damit, sich selbst zu organisieren und im Kollektiv zu arbeiten, erleichterte ihnen nun die Arbeit. Als die Bonebreakers auftauchten, waren die Reaktionen zunächst alles andere als freundlich. »Die Kampfsportschulen, die auf Ba- Fernando »Fer« Salas, Gründer der Bonebreakers sis von Muay Thai kämpften, sagten über uns: Die können doch gar kein Muay Thai. Und die, die Jiu Jitsu als Grundlage hatten, sagten: Die können doch gar kein Jiu Jitsu«, erinnert sich Fer. »Aber dann haben wir beide besiegt! Und schon haben die Leute begonnen, bei uns mitzumachen.«
Jeder ist im Klub willkommen, denn wie in der Punkszene würden auch bei den Bonebreakers die Prinzipien von Gleichheit, Zusammenhalt und Solidarität gelten. Im Studio im Zentrum der Hauptstadt trainieren Männer und Frauen, Anfänger und Fortgeschrittene. Es riecht nach Schweiß, und aus den Boxen tönt Musik von den Dead Kennedys und Exploited. Einige Frauen haben mit »Comando Colibrí« ihre eigene Abteilung aufgemacht.
Einige Kämpfer stellen ihre politischen und anarchistischen Ansichten auch in den Kämpfen zur Schau. Allein schon, wenn sich etwa »Dodger« und die Kämpferin Monce »Conejo« Ruiz die Haare färben – selbstredend nicht nur für die Kämpfe. Für Fernando Salas bilden Punk und die brutalen MMA-Kämpfe keinen Widerspruch: Jeder Mensch müsse seinen Körper und seinen Geist entwickeln, sagt er. »Und das, was uns als Kampfdisziplin überzeugt und was uns zudem dabei hilft, den Kopf frei zu kriegen und sich auf der Straße zu verteidigen, das ist MMA.«
Fer ist heute nur noch Trainer. Wenn er doch noch mal in den Ring steigen sollte, »dann laufe ich geschminkt ein, mit Musik die mir gefällt.« Wahrscheinlich wäre es die eigene, denn Fer ist auch DJ. Er wuchs unter Punks auf, bezeichnet sich heute aber als Gothic. Und als solcher ist er eine feste Größe in der Megametropole. Er gründete den Club El Under, einen Freiraum in einer Stadt, die seiner Meinung nach nicht frei ist. »Bei den Problemen, die wir im Land haben, versuchen wir, unseren eigenen Lebensentwurf zu leben, so wie wir es wollen, so wie’s uns gefällt.«
Gerade feiert der Club im Ausgehviertel Roma sein elftes Jubiläum – drei Tage lang. Fernando Salas ist hier »Lord Fer«. Seine Trainingsklamotten hat er gegen lange schwarze Gewänder eingetauscht, die Haare sind hoch toupiert, das Gesicht weiß geschminkt. »Ich wollte immer Musiker sein, wollte Gedichte schreiben und malen. 1989 hab ich dann die alternative Kultur kennengelernt, dank meiner großen Brüder, die hier die ersten Punks und Gothics waren.« Das erste Mal aufgelegt hat er 1994. »Und bis heute hab ich nicht mehr aufhören können.« An diesem Wochenende steht er jeden Abend an den Decks und wird von den Leuten gefeiert. Spät nachts kommen auch noch einige Bonebreakers nach dem Turnier vorbei und feiern ihre Siege – oder ihre Niederlagen. Auf alle Fälle stilecht mit Pogo und Bier.
»Wir versuchen, unseren eigenen Lebensentwurf zu leben, so wie’s uns gefällt.«