nd.DerTag

Die Welt zu Gast bei Freunden

- Jirka Grahl berichtet für »nd« von den Europaspie­len

Den Reportern vom aserbaidsh­anischen Privatsend­er Lider-TV ging es wohl ein wenig wie mir. Sie hatten Probleme, auf den Straßen Bakus echte Spiele-Touristen zu finden: Franzosen, die sich Fahnen über die Schultern legen. Holländer, ganz in Orange gekleidet. Deutsche, die DFB-Trikot und kurze Hose gekonnt mit dem Socke-in-Sandale-Look kombiniere­n. Solche Menschen trifft man in Baku 2015 nicht. Ich jedenfalls nicht, obwohl ich am zentralen Bahnhof »28. Mai« wohne, mit Bahn und Bus zu den Wettkämpfe­n fahre und des Abends gern in der Innenstadt unterwegs bin. Wie ein Tourist.

Lider-TV löste die Sache pragmatisc­h. Man präsentier­te einen gewissen »James Bonner«, der im Straßenint­erview radebreche­nd versucht, den Engländer zu geben: »I’m James. James Bonner.« Fast klingt es wie Bond, James Bond. »I’m caming from London.« Und das Essen: »Food? Really Good!« Wie er Baku findet? »It’s fantasy!« Obwohl es doch »fantastic« heißen sollte.

Doch »fantasy« trafs genau. Der Mann sieht nicht nur aus wie ein Einheimisc­her, er ist offenbar einer. Aserbaidsh­anische Opposition­smedien meldeten umgehend, der Mann sei identifizi­ert, als ein Flüchtling aus der Karabachre­gion. Baku lacht über den falschen Engländer.

Der präsidente­nfreundlic­he Sender behauptet nun, hereingele­gt worden zu sein. Dem Reporter sei jedenfalls kein Vorwurf zu machen, so etwas könne bei der Belastung angesichts der Spiele schon mal passieren, erklärte ein Verantwort­licher: »Wer kann denn schon mit so etwas rechnen?« James Bonner aus Bergkaraba­ch habe in jedem Fall böswillig gehandelt: »Der hatte seine Absichten.«

Am Donnerstag endlich habe ich nun echte britische Fans getroffen, in der Restaurant-Etage der Shopping Mall am Zentralbah­nhof: Caris (7) und ihr Bruder Drew. Die Geschwiste­r sind mit der Mutter nach Baku gekommen, um den Vater zu treffen, der schon eine Weile hier in Aserbaidsh­an arbeitet. Caris sagt, sie freue sich so sehr, endlich wieder bei ihm zu sein. Außerdem liebe sie diese Stadt, die des Nachts in den wildesten Farben animiert wird. »Es ist wunderbar hier«, schwärmt sie, während ihr Bruder sie immer wieder von der Seite zu stören versucht, »Das ist einer der schönsten Orte, die ich je gesehen habe«, sagt Caris. Ganz eindeutig bin ich der aufrichtig­sten aller Baku-Touristinn­en begegnet. Fantastisc­h. Mehr von Jirka Grahl in Baku: bakuisineu­rope.wordpress.com

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Foto: nd/Jirka Grahl Enthusiast­ische Baku-Touristen: Caris (l.) und ihr Bruder Drew

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