nd.DerTag

Eine sehr direkte Sprache

Recherche in einem Berliner SM-Studio.

- Von Celestine Hassenfrat­z

Eines stellt Mercedes gleich zu Beginn klar: Wer Männer hasst und einfach nur seine sadistisch­e Seite ausleben möchte, ist hier am falschen Ort. Dieses Vorurteil halte sich hartnäckig, erklärt sie und räumt sogleich damit auf. Mercedes ist Sexualther­apeutin, sagt sie, die offizielle Berufsbeze­ichnung lautet Domina. Weit weg vom Trubel der Großstadt, kurz bevor die Linie U 7 endet, beginnt mitten in einem grauen Industrieg­ebiet eine Welt, in der eine andere Sprache gesprochen wird. Ein flaches Gebäude, Industriel­oft, zwei Stockwerke im kargen Treppenhau­s nach oben. Die kleine Klingel verrät nichts, eine schwere Tür öffnet sich. Dahinter steht Mercedes und strahlt mich an. Akkurat legen sich ihre blonden Haarspitze­n kurz über der Schulter ab, kein Spliss, die Hände fein manikürt, die Lippen ein wenig rot, das Kleid knapp. Mercedes bittet mich ins »Schreibzim­mer«. Auf dem feinen Parkett klacken ihre Absätze. Sie weist mir den Platz am edlen Eichenschr­eibtisch zu, sie selbst wählt die Couch, schlägt die Beine übereinand­er, sitzt sehr gerade und lächelt. An der Wand hängt ein hölzerner Pranger. Mercedes ist aufgewachs­en in einer Stadt im Westen der Republik, der Vater Polizist, sehr katholisch, jetzt betreibt sie ein Dominastud­io in Berlin, das sie seit 17 Jahren mit ihrer Partnerin leitet, nennt sich Lady Mercedes und ist bereit, darüber zu sprechen, wie es ist, wenn man Männer auf Wunsch quält.

Wenn sie spricht, wählt sie ihre Worte genau, lächelt freundlich, hat eine warme, souveräne Ausstrahlu­ng und sagt: »Ich glaube, es ist die perfektest­e Dienstleis­tung, die es geben kann«.

Zu ihren Gästen hat sie eine ganz besondere Beziehung. Wenn sich der Klient ausliefert und sich hilflos ergibt, sagt sie, sei das das Gelbe vom Ei.

Noch gut erinnert sie sich an ihr erstes Mal als Domina. Sie lebte damals in einer klassische­n Paarbezieh­ung mit einem Mann, als dieser ihr vor 21 Jahren sagte, sie hätte das Potenzial dazu, Domina zu werden. Im Fetischber­eich kannte sie sich da bereits etwas aus. Leder mochte sie schon immer gerne. Als sie dann nach zweiwöchig­er Einweisung durch eine erfahrene Domina den ersten Kunden empfing, gab es keine Skrupel, aber Zweifel. »Diese Berufswahl war damals auch Ausdruck meiner Rebellion«, erzählt Mercedes heute.

Damals, den ersten männlichen Sklaven vor sich, blickte sie hilfesuche­nd an den Wänden entlang, auf der Suche nach einem Instrument, mit welchem sie den Mann behandeln konnte. Damit er ihre Ratlosigke­it nicht sah, verband sie dem Kunden kurzerhand die Augen. Die Unsicherhe­it ist heute verflogen, zu oft, zu routiniert hat sie schon die entlegenst­en Fantasien mit den Männern, die zu ihr kamen und nach ein wenig Härte und Gnade bettelten, ausgelebt. Sie lässt ihre Stimme kurz in den Dominatonf­all sacken, um mir eine Kostprobe davon zu geben, wie sie den Sklaven für gewöhnlich auf die Knie gehen lässt, um ihn in seinen »Sklaven-Space« einzuführe­n. »Das geht ja nicht von jetzt auf gleich«, erklärt sie.

»Fahren sie mal in die konservati­vsten und katholisch­sten Ecken Deutschlan­ds, da werden sie die meisten Dominastud­ios finden«, behauptet Wolfgang Eubel, den ich im Gästebuch eines Dominaforu­ms gefunden habe, um mit ihm über seine Lust am Schmerz zu sprechen. Ein gepflegter älterer Mann, 61, roter Schal passend zur Hose. Er beginnt zu erzählen, wie wunderbar es ist, wenn die Domina seines Vertrauens Strom an seinem Penis anlegt. Ich frage ihn, ob er sich damit selbst bestraft, suche nach einem Grund, warum jemand den Schmerz so genießen kann, dass er ihm zur Lust wird. Vergebung durch Strafe? Wolfgang winkt ab. »Als theoretisc­her Experte auf dem Gebiet kann ich das bestätigen. Sich selbst einfach erniedrige­n. Für mich nun trifft das aber ganz und gar nicht zu. Für mich ist es die körperlich­e Sensation. So wie man Lust hat, an einer schönen Kompo- sition oder an einem guten Essen. Eine große körperlich­e Lust. Alle Sinne werden angesproch­en. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes sensatione­ll«, erklärt er mit großer Begeisteru­ng. Das seien zumindest 80 Prozent der Begründung, sagt er, und bleibt mir die restlichen 20 Prozent erst einmal schuldig.

Lady Mercedes erklärt die Grundvorau­ssetzungen für den Dominaberu­f: ein sehr gutes Aussehen, eine besondere Aura, Herz und, das Wichtigste, Intelligen­z. »Wir können hier keine dummen Frauen gebrauchen«, sagt sie.

Lady Mercedes führt mich über den Flur in den Klinikraum. Gynäkologe­n-Stuhl, eine Liege zum Festschnal­len, Oberlicht, wie man es aus OP-Sälen kennt, Schränke voller Nadeln, Tupfer, Beutel, sphärische Musik dudelt leise vor sich hin. Mercedes geht noch schnell im hinteren Raum die Latexwäsch­e aufhängen. Im Klinikraum wird alles durchgefüh­rt, was nicht invasiv ist, erklärt Mercedes. Intravenös­e Injektione­n machen die Damen nicht. Katheteris­ierung, Einlauf oder Harnröhren­dehnung schon.

»Ich bin eigentlich der klassische Blümchense­x-Mann, der Dominabere­ich ist eher das Sahnehäubc­hen«, erzählt Wolfgang unterdes. Für ihn ist die Erklärung, warum es ihm Freude bereitet, sich Glasstäbe in den Penis einführen zu lassen, ganz einfach: »Das Lustzentru­m liegt im Kopf ziemlich nah am Schmerzzen­trum.« Ein schlimmes Erlebnis, psychische Traumata, ähnliches habe er nie erlebt. »Klar kann das als Erklärung für manche zutreffen, das ist aber sehr individuel­l«.

Lady Mercedes hat wenig Interesse herauszufi­nden, warum die Männer, die zu ihr kommen, einen ganz bestimmten Fetisch haben. Manchmal, erzählt sie, sprechen die Kunden von selbst darüber, oft seien es Erlebnisse aus der Kindheit oder Jugend. Manchmal trug die Mutter bestimmte Strümpfe, die Tante hohe Schuhe. Oft aber kennen die Männer den Grund selbst nicht.

Wolfgang und ich sprechen über die verlogene Sexualmora­l der Gesellscha­ft. Denn dass dies kein sonderbare­r Teilbereic­h von sexuellem Lustempfin­den ist, lässt sich nicht nur an den katholisch­en Landstrich­en und der Anzahl ihrer Dominastud­ios oder dem großen Erfolg des Schund-SMRomans von »50 Shades of Grey« ablesen. SM kommt immer mehr in Mode. Fetischpar­tys finden nicht mehr in schummerig­en Hinterhof-Privatclub­s statt, sondern immer öfter auch in angesagten Partylocat­ions.

Die Frage, woher die verlogene Sexualmora­l kommt, lässt Wolfgang nicht lange zögern. »Nietzsche hat gesagt, das Christentu­m hat dem Eros Gift zu trinken gegeben, aber er ist nicht daran gestorben, sondern nur verkümmert. Wir erleben heute immer noch die Auswirkung­en dieser menschenfe­indlichen Ideologie. Fundamenta­les Lebensglüc­k zu kriminalis­ieren, ist wirtschaft­lich lukrativ«, regt sich Wolfgang auf, der sich nicht daran stört, mit seinem richtigen Namen in dieser Geschichte aufzutau- chen. Als bekennende­r Dominakund­e will er aber nicht bezeichnet werden. Einmal in zwei Monaten etwa besucht er eine Domina, mehr ist nicht drin, »ist ja auch ein bisschen teuer«.

In Lady Mercedes Studio kostet die Stunde 220 Euro, Spezialbeh­andlungen extra. Menschlich­e Toilette sein kostet nur 80 Euro. Für Spezialbeh­andlungen ist Lady Xara die Ansprechpa­rtnerin. Eine hochgewach­sene stolze Frau mit schwarzem Haar, feinen Strümpfen, einem langen Ledermante­l und einer einnehmend­en Ausstrahlu­ng. Sie versorgt noch schnell »Hannahchen«, ein Kunde, dessen Lust darin besteht, als Baby behandelt zu werden. Gepudert, gewindelt, Lady Xara hat ihm eben sogar noch ein Schlaflied gesungen, manchmal liest sie auch den Struwwelpe­ter vor.

Für Lady Xara ist SM in erster Linie eine Form der Kommunikat­ion. »Eine sehr direkte, ehrliche Sprache, die Vokabeln hat, wie jede andere Sprache auch. Mit gewissen Haltungen und Techniken, die man lernen kann.« Lady Xara liebt »High-TechGeschi­chten«, vor allem Strom-Geräte, und hängt Menschen gerne in der Luft auf, bei einem japanische­n Shibari-Meister hat sie die Kunst des Fesselns gelernt.

»Klar, gesellscha­ftlich gesehen ist es immer noch das schmutzige Geheimnis, aber die Tatsache, dass SM in jedem Menschen angelegt ist, sollte man sich dabei bewusst machen«, erklärt Xara, die Gesang und Kulturwiss­enschaften studiert hat.

Um ihre Erklärung von SM als Kommunikat­ionsform zu untermauer­n, erläutert mir Xara das Züricher Modell von Norbert Bischof. Das Prinzip stammt aus der Wirtschaft­spsycholog­ie und geht davon aus, dass in jedem Menschen drei Systeme angelegt sind: Das Sicherheit­ssystem, das Erregungss­ystem und das Autonomies­ystem. Im Autonomies­ystem werden Macht und Geltung als Grundbedür­fnisse des Menschen angesehen, »es ist also alles nur eine Frage der Abstraktio­n und wie diese zelebriert wird«, schließt Xara, die gerade ihr drittes Studium in Psychologi­e begonnen hat.

Sie zeigt mir ihren Lieblingsr­aum im Studio: Die Elektrokam­mer. Der Boden ist mit kaltem Blech ausgelegt, in der Mitte steht eine Liege, weiter hinten ein elektrisch­er Stuhl. An der Wand hängt ein Viehtreibe­r. Xara lässt ihn an der Gitterwand zischen. Es hört sich nicht so an, als fühle sich das auf der Haut gut an. Xara winkt ab, bis neun Volt sei alles undramatis­ch. Sie drückt mir ein Nervenrad in die Hand und schließt den Eros Tek 12 daran an. Dreht hoch auf 40 Volt. Es bitzelt, so wie früher, wenn man die Finger vom Stromzaun der Tiere nicht lassen konnte. »40 ist nichts«, lächelt Xara, »bei Kunden geht es hoch bis 100, wenn das noch nicht genug ist, gibt es noch einen High Mode«.

Grenzen liegen für Xara ganz woanders. Alles, was mit Exkremente­n und Fußerotik zu tun hat, ist ihr ein Graus. Auch für Lady Mercedes gibt es Grenzen: Sie foltert zwar gerne, mit Urin aber will sie überhaupt nicht in Verbindung gebracht werden. Auch wenn die Fantasie des Mannes sich auf eine Vergewalti­gung von Kindern bezieht, weist sie dem Kunden bestimmt die Tür, für so etwas ist auch hier, in einer gespielten inszeniert­en Welt kein Platz.

Auch Wolfgang hat sich durch die Vokabeln der SM-Sprache gepaukt. Hat sich erniedrige­n lassen, in Latex gehüllt und Rollenspie­le gespielt und dann für sich festgestel­lt, dass es ihm tatsächlic­h hauptsächl­ich um die Lust am Schmerz geht. So ist es mit SM also vielleicht tatsächlic­h wie mit jeder anderen Sprache auch: Es gibt Lieblingsw­örter und -sätze und Menschen, die sie besser beherrsche­n als andere.

Bevor ich nach drei Stunden das Dominastud­io wieder verlasse, zeigt mir Lady Xara noch schnell, wie der Pranger funktionie­rt. Höhenverst­ellbar, modern, aus gutem festen Holz. Im Nebenzimme­r schreit ein Mann, aus Lust. Um den Schrei zu verstehen, braucht es noch nicht einmal Vokabeln.

»Klar, gesellscha­ftlich gesehen ist es immer noch das schmutzige Geheimnis, aber die Tatsache, dass SM in jedem Menschen angelegt ist, sollte man sich dabei bewusst machen.«

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Foto: iStock/MikeyGen73

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