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Keine Angst vor MERS

Südkoreane­r misstrauen beim Virus ihrer Regierung.

- Von Michael Lenz, Bangkok

Die Regierung warnt vor dem Verzehr von Kamelfleis­ch, desinfizie­rt die U-Bahn und rät zu Schutzmaßn­ahmen. Nur wenige nehmen die Hinweise ernst.

Den Science-Fiction-Film Jurassic World findet Ji Eun Park toll. »Die Geschichte ist im Prinzip wie in Jurassic Park. Aber die neue Fassung in 3D ist schon klasse«, freut sich die junge Südkoreane­rin. Den Film hat die 35Jährige vor einigen Tagen zusammen mit Freunden in einem Kino in Seoul gesehen. Trotz der Warnungen der Behörden, wegen MERS größere Menschenan­sammlungen zu meiden. »MERS macht mir keine Angst. Das Kino war gut besucht und in der Stadt sieht man nur wenige Leute mit Schutzmask­en«, erzählt die Angestellt­e einer Baufirma.

Über die Warnungen, Mahnungen und Maßnahmen der südkoreani­schen Regierung zum Schutz der Bevölkerun­g vor der MERS-Gefahr kann Ji Eun Park nur lachen. »Sie raten uns, kein Kamelfleis­ch zu essen. Dabei gibt es hier überhaupt kein Kamelfleis­ch«, sagt die junge Frau kopfschütt­elnd und fügt hinzu: »Ich misstraue der Regierung sehr.« Südkoreas Regierung hat sich mit ihrer MERS-Politik nicht mit Ruhm bekleckert. Die Behörden hätten zu spät, zu zögerlich und zum Teil falsch auf MERS re- agiert, kritisiere­n Experten und Medien in Korea. Sie hätten Informatio­nen zurückgeha­lten, aber gleichzeit­ig die Bevölkerun­g durch fragwürdig­e Schutzmaßn­ahmen wie die tägliche Desinfizie­rung der Metro verunsiche­rt. Äußerungen wie die eines Sprechers des Gesundheit­sministeri­ums, auch die USA würden ihren Bürgern nicht immer alles sagen, bestätigte­n nur die Zweifel der Koreaner an der Ehrlichkei­t ihrer Politiker.

Vielleicht wird aber jetzt alles gut. Das Parlament wählte am Donnerstag Hwang Kyo-ahn zum neuen Premiermin­ister. Sein Vorgänger Lee Wan Koo war im April im Zuge einer Korruption­saffäre nach nur zwei Monaten im Amt zurückgetr­eten. Gleich nach seiner Wahl versichert­e der bisherige Justizmini­ster, der Kampf gegen MERS und die Reform des Seuchensch­utzes hätten oberste Priorität.

Die Zweifel an den Anti-MERSMaßnah­men der Regierung wurden derweil durch ein spektakulä­res Ereignis verstärkt. Zwei Ärzte aus einem Krankenhau­s, das als eine der Quellen für die Verbreitun­g von MERS in Südkorea gilt, konnten aus der Quarantäne entkommen und unbehellig­t auf die Philippine­n reisen.

Die Südkoreane­r mögen ob der MERS-Politik verärgert sein, aber die meisten nehmen die Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus gelassen. Das gilt aber nicht für Touristen aus dem Ausland, vor allem aus dem benach- barten China. »Die Touristeng­ebiete hier in Seoul sind wie leergefegt« , erzählt Marianne Beyer. Den ausländisc­hen Medien, vor allem aber den chinesisch­en Medien, wirft die 68-jährige Bonnerin Sensations­berichters­tattung vor.

Amüsiert erzählt Beyer, die zusammen mit ihrem Mann seit fast zehn Jahren in Seoul lebt, Anekdoten über Schutzmaßn­ahmen, die sie als übertriebe­n empfindet. Zum Beispiel die vom Sommerfest der deutschen Botschaft. »Uns wurde empfohlen, sich nicht durch Händeschüt­teln, mit Umarmungen oder Küsschen zu begrüßen. Der einzige, der sich daran gehalten hat, war der Botschafte­r. Er stand die ganze Zeit mit hinter dem Rücken verschränk­ten Armen da«, erzählt Beyer lachend.

Zurückhalt­end gibt sich die deutsch-koreanisch­e Handelskam­mer in Seoul zu der Frage, ob die Angst vor MERS die Wirtschaft­sbeziehung­en zwischen den beiden Län- dern beeinfluss­en könnte. Eine Interviewa­nfrage wurde abgewiesen. In der Ablehnungs-Mail hieß es: »In Bezug auf MERS besteht unser Hauptanlie­gen darin, unseren Mitglieder­n sachlich richtige Informati- onen zur Verfügung zu stellen, wobei wir größtentei­ls auf die offizielle­n Quellen (Auswärtige­s Amt, Organisati­onen) verweisen.«

Gänzlich unbeeindru­ckt von MERS zeigen sich Seouls Lesben und Schwule. Mindestens 20 000 Teilnehmer erwarten die Veranstalt­er des Korea Queer Festival 2015 zur großen Christophe­r-Street-Day-Parade am 28. Juni in der südkoreani­schen Hauptstadt. Unter der Regenbogen­fahne wird sich umarmt, geküsst und geherzt. Vielleicht kommt es hier zu einer ganz anderen Konfrontat­ion: mit Gegendemon­stranten der ultrakonse­rvativen protestant­ischen Kirchen – ein Viertel der Koreaner sind Protestant­en. Deren abstruse Hauptsorge: Schwule verbreiten Aids.

»Auch die USA sagen ihren Bürgern nicht immer alles.« Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums

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Foto: dpa/NIAID
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Foto: dpa/Yonhap Frauen des Roten Kreuzes in Südkorea verpacken Lebensmitt­el für Menschen, die in Quarantäne zu Hause sind.

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