Keine Angst vor MERS
Südkoreaner misstrauen beim Virus ihrer Regierung.
Die Regierung warnt vor dem Verzehr von Kamelfleisch, desinfiziert die U-Bahn und rät zu Schutzmaßnahmen. Nur wenige nehmen die Hinweise ernst.
Den Science-Fiction-Film Jurassic World findet Ji Eun Park toll. »Die Geschichte ist im Prinzip wie in Jurassic Park. Aber die neue Fassung in 3D ist schon klasse«, freut sich die junge Südkoreanerin. Den Film hat die 35Jährige vor einigen Tagen zusammen mit Freunden in einem Kino in Seoul gesehen. Trotz der Warnungen der Behörden, wegen MERS größere Menschenansammlungen zu meiden. »MERS macht mir keine Angst. Das Kino war gut besucht und in der Stadt sieht man nur wenige Leute mit Schutzmasken«, erzählt die Angestellte einer Baufirma.
Über die Warnungen, Mahnungen und Maßnahmen der südkoreanischen Regierung zum Schutz der Bevölkerung vor der MERS-Gefahr kann Ji Eun Park nur lachen. »Sie raten uns, kein Kamelfleisch zu essen. Dabei gibt es hier überhaupt kein Kamelfleisch«, sagt die junge Frau kopfschüttelnd und fügt hinzu: »Ich misstraue der Regierung sehr.« Südkoreas Regierung hat sich mit ihrer MERS-Politik nicht mit Ruhm bekleckert. Die Behörden hätten zu spät, zu zögerlich und zum Teil falsch auf MERS re- agiert, kritisieren Experten und Medien in Korea. Sie hätten Informationen zurückgehalten, aber gleichzeitig die Bevölkerung durch fragwürdige Schutzmaßnahmen wie die tägliche Desinfizierung der Metro verunsichert. Äußerungen wie die eines Sprechers des Gesundheitsministeriums, auch die USA würden ihren Bürgern nicht immer alles sagen, bestätigten nur die Zweifel der Koreaner an der Ehrlichkeit ihrer Politiker.
Vielleicht wird aber jetzt alles gut. Das Parlament wählte am Donnerstag Hwang Kyo-ahn zum neuen Premierminister. Sein Vorgänger Lee Wan Koo war im April im Zuge einer Korruptionsaffäre nach nur zwei Monaten im Amt zurückgetreten. Gleich nach seiner Wahl versicherte der bisherige Justizminister, der Kampf gegen MERS und die Reform des Seuchenschutzes hätten oberste Priorität.
Die Zweifel an den Anti-MERSMaßnahmen der Regierung wurden derweil durch ein spektakuläres Ereignis verstärkt. Zwei Ärzte aus einem Krankenhaus, das als eine der Quellen für die Verbreitung von MERS in Südkorea gilt, konnten aus der Quarantäne entkommen und unbehelligt auf die Philippinen reisen.
Die Südkoreaner mögen ob der MERS-Politik verärgert sein, aber die meisten nehmen die Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus gelassen. Das gilt aber nicht für Touristen aus dem Ausland, vor allem aus dem benach- barten China. »Die Touristengebiete hier in Seoul sind wie leergefegt« , erzählt Marianne Beyer. Den ausländischen Medien, vor allem aber den chinesischen Medien, wirft die 68-jährige Bonnerin Sensationsberichterstattung vor.
Amüsiert erzählt Beyer, die zusammen mit ihrem Mann seit fast zehn Jahren in Seoul lebt, Anekdoten über Schutzmaßnahmen, die sie als übertrieben empfindet. Zum Beispiel die vom Sommerfest der deutschen Botschaft. »Uns wurde empfohlen, sich nicht durch Händeschütteln, mit Umarmungen oder Küsschen zu begrüßen. Der einzige, der sich daran gehalten hat, war der Botschafter. Er stand die ganze Zeit mit hinter dem Rücken verschränkten Armen da«, erzählt Beyer lachend.
Zurückhaltend gibt sich die deutsch-koreanische Handelskammer in Seoul zu der Frage, ob die Angst vor MERS die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Län- dern beeinflussen könnte. Eine Interviewanfrage wurde abgewiesen. In der Ablehnungs-Mail hieß es: »In Bezug auf MERS besteht unser Hauptanliegen darin, unseren Mitgliedern sachlich richtige Informati- onen zur Verfügung zu stellen, wobei wir größtenteils auf die offiziellen Quellen (Auswärtiges Amt, Organisationen) verweisen.«
Gänzlich unbeeindruckt von MERS zeigen sich Seouls Lesben und Schwule. Mindestens 20 000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter des Korea Queer Festival 2015 zur großen Christopher-Street-Day-Parade am 28. Juni in der südkoreanischen Hauptstadt. Unter der Regenbogenfahne wird sich umarmt, geküsst und geherzt. Vielleicht kommt es hier zu einer ganz anderen Konfrontation: mit Gegendemonstranten der ultrakonservativen protestantischen Kirchen – ein Viertel der Koreaner sind Protestanten. Deren abstruse Hauptsorge: Schwule verbreiten Aids.
»Auch die USA sagen ihren Bürgern nicht immer alles.« Sprecher des Gesundheitsministeriums