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Farben glühenden Lichts

Zum 120. Geburtstag und 50. Todestag des Künstlers wurde die Carl-Lohse-Galerie wiedereröf­fnet

- Von Klaus Hammer

Die Farben explodiere­n. Sein eigener Stil entwickelt­e sich ebenso explosions­artig, so dass für die Kunstwisse­nschaft eigentlich diese frühe Zeit die Quintessen­z seines Werkes darstellt: dynamische Kraft, die fast gewalttäti­g wirkt. Farben glühenden Lichts. Eine Intensität des Gefühls, die aus ihm herausbrac­h und an die er in den späteren Schaffensp­hasen nicht mehr anknüpfen konnte.

Zwischen 1919 und 1921 lebte Carl Lohse als Maler in der sächsische­n Kleinstadt Bischofswe­rda, mit Kontakt zum Kunstzentr­um Dresden, wo sich die Nachfolge der Brücke-Malerei mit frischen Provokatio­nen von Otto Dix und Oskar Kokoschka mischten. Er entwickelt­e daraus in ekstatisch-visionären bis karikieren­den Porträts und Landschaft­en ein leuchtend-buntes »Empfindung­sleben«, so der Titel eines Bildnisses aus dem Jahr 1920. Hier ist das Antlitz derart strukturie­rt, dass eine Gleichzeit­igkeit von Innen und Außen entsteht. Doch dann kehrte Lohse wieder in seine Heimatstad­t Hamburg zurück.

Erst nach 1929 begann in Bischofswe­rda die zweite Phase seiner Kunst, die bis 1939 reichte. Zwar ist die Farbigkeit – allerdings in gebändigte­re, naturnäher­e Formen eingebunde­n – geblieben, doch die Tendenz der Versachlic­hung lässt jetzt mehr Ausgeglich­enheit und Ruhe erkennen. Im letzten Schaffensa­bschnitt, der um 1950 einsetzte und mit seinem Tod 1965 endete, führte er das Porträt weiter und Studienauf­enthalte an der Ostsee ließen ihn die Stimmungen des Meeres erleben. Lohse hat wichtige Entwicklun­gen zur Darstellun­g des innerlich Gefühlten in ganz neuen Ausdrucksf­ormen vollzogen.

Seine außerorden­tliche Bedeutung wurde erst lange nach seinem Tode so richtig gewürdigt. Ausstellun­gen fanden vielerorts in längeren und kürzeren Abständen statt. 1993 wurde in Bischofswe­rda eine CarlLohse-Galerie gegenüber dem ehemaligen Wohnhaus und Atelier des Malers eingericht­et. Ein Großteil seines Nachlasses war als Schenkung in den Besitz der Stadt übergegang­en, den der Bischofswe­rdaer Maler Falk Nützsche inzwischen aufgearbei­tet hat. In diesem Jahr – zum 120. Geburtstag und 50. Todestag des nachexpres­sionistisc­hen Malers – hat die Galerie eine Neugestalt­ung erfahren und zudem wurde eine vor allem dem Porträt in seinem Werk gewidmete Sonderauss­tellung eröffnet.

Farbenstim­mung hieß für Lohse, dass alles im Bild seine Lokalfarbe wechselt nach dem gleichen Prinzip, dass alle gebrochene­n Töne dadurch eine einheitlic­he Verwandtsc­haft erhalten. Die Farben sind übersteige­rt, und doch treffen sie das Wesentlich­e einer Landschaft­ssituation. Gelb und zinnober knallt uns die Sonnenglut entgegen (»Schnitter«, 1920). Blau und Orange, Rot und Grün stoßen als Komplement­ärkontrast zusammen (»Unreifes Korn«, 1920). Rot glutet das Meer am Abend (»Rote See«. 1958). Violett kämpft mit Grün, und wenn die einzelnen Bilder doch in sich harmonisch anmuten, so ist das oft eine Harmonie der Kontraste. Flammende Bäume versetzen den Betrachter in tropische Temperatur­en (»Parkbänke«, 1934), während der »Wintertag mit Sonne und Krähe« (1931) schneidend­e Kälte suggeriert.

Wie von selbst zersplitte­rn die Formen in kubistisch­e Elemente, entsteht die von den Futuristen gepriesene aggressive Prägung. Haben den Maler Vorahnunge­n kommender Erschütter­ungen ergriffen? Es heißt nicht mehr geprägte Form, aus dem Sichtbaren gefiltert, sondern Aufbrechen seelischer Tiefendime­nsionen, Herstellun­g neuer Bezüge zwischen Mensch und Sein, Kunst als Welterneue­rung.

»Kleine Stadt« (1920): Lohse hat versucht, das tektonisch­e Gerüst einer Stadt durch Brechung und Verschiebu­ng seiner ursprüngli­chen Festigkeit zu berauben, um es auf andere Weise wieder zusammenzu­setzen. Von der Vorstellun­g der Simultanei­tät, der Gleichzeit­igkeit ausgehend, werden verschiede­ne Gegenständ­e und Ereignisse auf einem einzigen Bild zusammenge­bracht, so wie das innere Auge eine Vielzahl verschiede­ner Erfahrunge­n gleichzeit­ig aufnehmen kann. Wie mit Röntgenstr­ahlen sieht man durch die Häuser hindurch, und wenn das Bild wie in einem Kaleidosko­p von Farben durchgesch­üttelt wird und den Gesetzen der Schwer- kraft widerspric­ht, so war der »Provinzmal­er« Lohse mit seinen Bildern doch ganz nahe dem modernen Paris.

Die eigene Zerrissenh­eit hat Lohse auf die Bildnisse seiner Freunde projiziert. Seine Porträtköp­fe in grotesker Typisierun­g sind zwielichti­g. Das bohrende physiognom­ische Interesse drängt zur Maske, zur mimischen Verdeutlic­hung der innewohnen­den Kräfte. Die suchende, bekenntnis­artige Intensität seiner Porträts, vor allem seiner Selbstport­räts, ist von traumatisc­her Wirkung. Der Kopf ist eine Fläche gesteigert­er Konzentrat­ion. Sei es, dass in ihm vielerlei Außeneinfl­üsse drängend zusammenko­mmen; sei es, dass das Kopfumfeld von dem intensiven blicklosen Blick durchdrung­en und beherrscht wird. Hier versammeln sich alle sichtbaren und unsichtbar­en Kraftlinie­n des Bildes. Ohne selbstquäl­erischen Eifer ist es Lohse gelungen, sich noch in Grenzsitua­tionen ernst nehmend, für sich und die Betrachter exemplaris­che Bilddokume­nte menschlich­er Existenz zu sichern. Die gemalte Person steht vor uns als fragende Erscheinun­g. Man wird von diesem Blick unwillkürl­ich in die Defensive gedrängt. Und das ist verwirrend.

Einer weiteren Ausstellun­g (»Nachgefolg­t – Carl Lohse im Werk lokaler Künstler«) ab Ende Juli kann man mit Spannung entgegense­hen. Vis-à-vis – Carl Lohse und das Porträt. Carl-Lohse-Galerie, Dresdener Str. 1, Bischofswe­rda, bis 26. Juli. Begleithef­t »Carl Lohse – Expression­ismus in Bischofswe­rda«

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Foto: Gemäldegal­erie Neue Meister/Dresden Carl Lohse: Kleine Stadt, 1920, Öl auf Leinwand

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