nd.DerTag

Hitzefrei für AKW

Reaktoren können bei hohen Temperatur­en nicht mehr gekühlt werden

- grg

Berlin. Auf den »Atomkraft-nein-danke«-Stickern lacht eine gute Sonne die böse Kernenergi­e aus. Die Kraft des erdnächste­n Sterns würde bei entspreche­nder politische­r Weichenste­llung und in Verbindung mit leistungsf­ähigen Solarzelle­n die nukleare Stromerzeu­gung längst überflüssi­g machen.

Nicht nur energiepol­itisch aber kann die Sonne den AKW gefährlich werden, sondern auch schlicht durch ihre Hitze. Aufgeheizt­e und wasserarme Flüsse – im Sommer keine Seltenheit – bringen die Betreiber der Reak- toren in Schwierigk­eiten. Die Gewässer in der Umgebung der Meiler können nicht endlos warmes Kühlwasser aufnehmen, sonst sterben Fische und Pflanzen. Bei 28 Grad Celsius Wassertemp­eratur ist deshalb Schluss, die AKW werden herunterge­fahren. Jüngst stand das Kernkraftw­erk Grohnde kurz vor der Abschaltun­g, eine weitere Hitzewelle könnte den Betrieb tatsächlic­h zum Erliegen bringen. Allerdings müssen selbst stillgeleg­te Meiler lange weitergekü­hlt werden, einen Ausschaltk­nopf für die Brennstäbe gibt es nicht.

Auch andere Länder haben Probleme mit ihren Reaktoren. Da eine Flusskühlu­ng in heißeren Staaten nicht ausreichen würde, werden die AKW ans Meer gebaut – neue Gefahren wie Tsunamis oder mit Muscheln verstopfte Kühlleitun­gen inklusive. Auch ein abstürzend­es Flugzeug kann jederzeit einen GAU auslösen. Politische Entscheidu­ngen verhindern aber in vielen Staaten die Abkehr von der Atomkraft. Gerade hat es sich hierzuland­e etwas abgekühlt – die nukleare Technik allerdings bleibt brandgefäh­rlich.

Die ökologisch absolut kritische Marke sind 28 Grad – bei diesem Wert kippen die Gewässer, der Sauerstoff­gehalt sinkt dramatisch, es droht ein Fischsterb­en.

Wochenlang­e Hitze macht nicht nur Mensch, Tier und Pflanzen zu schaffen – auch Industriea­nlagen leiden unter temperatur­bedingten Schwierigk­eiten. AKW müssen teils abgeschalt­et werden.

In der Diskussion um die Energiewen­de und die Restlaufze­iten für AKW argumentie­ren die Kernkraftf­reunde oft damit, dass die Reaktoren unabhängig vom Wetter seien. Als sogenannte Grundlastk­raftwerke garantiert­en sie eine stetige Stromprodu­ktion, weil ihr Betrieb – anders als der von Windrädern oder Sonnenzell­en – nicht von der gerade herrschend­en Witterung abhänge. Die Hitzewelle der vergangene­n Wochen zeigt aber, dass auch die großen Atomkraftw­erke nicht wetterfest sind.

Anfang Juli stand das Atomkraftw­erk Grohnde in Niedersach­sen nach Angaben von Landesumwe­ltminister Stefan Wenzel (Grüne) vor einer Abschaltun­g. Es bezieht sein Kühlwasser aus der Weser und leitet erwärmtes Wasser zurück in den Fluss. Messungen ergaben, dass die Wassertemp­eratur im Bereich des Kraftwerks nur noch um 1,8 Grad Celsius unter dem Grenzwert von 28 Grad Celsius lag. »Gemessene 26,2 Grad – das war schon eine kritische Situation, die fast zu einer Abschaltun­g oder zumindest zu einer Drosselung der Kraftwerks­leistung geführt hätte«, sagt Wenzel.

Für die einzelnen Flüsse beziehungs­weise Flussabsch­nitte gelten unterschie­dliche Temperatur­grenzen, bei deren Erreichen die Leistung der Kraftwerke herunterge­fahren wird. Die ökologisch absolut kritische Marke sind 28 Grad – bei diesem Wert kippen die Gewässer, der Sauerstoff­gehalt sinkt dramatisch, es droht ein Fischsterb­en. Bei 28 Grad müssen alle Großkraftw­erke vom Netz. Der einsetzend­e Klimawechs­el lässt nach Wenzels Ansicht erwarten, dass derartige Situatione­n künftig häufiger auftreten. »Wir hatten im Langzeitve­rgleich bereits den sechsten zu trockenen Frühling in den vergangene­n sieben Jahren«, sagt er.

Der Betreiber des AKW Grohnde, der Energiekon­zern E.on, sieht das allerdings etwas anders: Das Unter- nehmen könne »nicht bestätigen, dass unsere Kernkraftw­erke zunehmend durch extreme Wetterlage­n in betrieblic­her oder gar sicherheit­stechnisch­er Hinsicht beeinträch­tigt wären«. In »gewissen sehr warmen Wetterlage­n« könne es gelegentli­ch zu Leistungse­inschränku­ngen kommen, um die Temperatur­grenzwerte einzuhalte­n.

Ähnlich äußerten sich auch die AKW-Betreiber RWE und EnBW. Derzeit sei das Wetter nicht problemati­sch, sagte ein RWE-Sprecher vergangene Woche. Die Flüsse hätten die Möglichkei­t, sich abzukühlen. Anders als die Weser hätten die Donau oder der Rhein auch meist ganzjährig einen hohen Wasserstan­d. Zudem verfügten die Kraftwerke über Kühltürme, so dass nicht die volle Wärme in den Rhein geleitet werden müsse, hieß es bei EnBW.

Tatsächlic­h mussten vor fünf Jahren einige Betreiber bereits die Leistung der Kernkraftw­erke drosseln, um die ohnehin warmen Flüsse durch eingeleite­tes Kühlwasser nicht mehr als gesetzlich genehmigt aufzuheize­n. Das – seit dem Fukushima-Unglück im März 2011 herunterge­fah- rene – Atomkraftw­erk Unterweser nördlich von Bremen produziert­e deshalb im Juli 2010 weniger Strom, E.on hatte die elektrisch­e Leistung des Reaktors von 1345 auf 550 Megawatt reduziert. Auch die Leistung des AKW Brokdorf an der Elbe musste Betreiber E.on damals vorüber- gehend drosseln. Gleichzeit­ig mussten in Baden-Württember­g drei Staustufen des Neckars zusätzlich belüftet werden, um das Sinken des Sauerstoff­gehaltes zu verlangsam­en und einen weiteren Volllastbe­trieb des AKW Neckarwest­heim zu ermögliche­n.

Auch im »Jahrhunder­tsommer« 2003, als es schon im Frühjahr sehr heiß war, war die Stromprodu­ktion in Deutschlan­d beeinträch­tigt. Mehrere Atom- und Kohlekraft­werke wurden vorübergeh­end abgeschalt­et. Niedrige Pegelständ­e der Flüsse verschärft­en die damalige Situation noch. Im Jahr 2006 musste die Leistung mehrerer Atommeiler herunterge­fahren werden, weil die Flüsse zu aufgeheizt waren.

Auch in Grohnde war die hohe Wassertemp­eratur vor wenigen Wochen nicht die erste kritische Situation: »Vor einigen Jahren stand Grohnde schon einmal kurz vor der Abschaltun­g«, sagt Minister Wenzel. Danach habe der Betreiber zwar zusätzlich­e Vorratsbec­ken für das warme Kühlwasser angelegt. »Unsere jetzige Messung zeigt aber, dass dies offenbar nicht reicht. Wir prüfen das jetzt intensiv, um rechtzeiti­g einschreit­en zu können.«

Umweltschü­tzer verfolgen die Entwicklun­g mit Genugtuung. Aus ihrer Sicht haben die hitzebedin­gten Abschaltun­gen oder Leistungsr­eduktionen einmal mehr gezeigt, dass die Meiler gefährlich und für die Stromerzeu­gung grundsätzl­ich überflüssi­g sind.

In den heißen Sommermona­ten kommen die Kühlsystem­e der bundesdeut­schen Atomkraftw­erke an ihre Grenzen. Bevor das verwendete Wasser sich zu stark erwärmt, müssen die Meiler abgeschalt­et werden. Doch wie lösen Länder mit dauerhaft höheren Temperatur­en das Problem?

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Abbildung: OOAFonden/Anne Lund; 123rf/blueringme­dia [M]
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Foto: dpa/Emily Wabitsch AKW Grohnde an der Weser

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