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Libysche Milizen unter Druck

Die Truppen der Stämme stehen dem IS weitgehend hilflos gegenüber.

- Von Mirco Keilberth,Tunis

Die USA, Deutschlan­d und weitere EU-Länder haben das »barbarisch­e« Vorgehen der IS-Miliz in Sirte verurteilt. Die Dschihadis­ten hatten die libysche Küstenstad­t in diesem Sommer erobert.

Den triumphale­n Gesichtsau­sdruck des mit Munitionsg­ürteln behängten Anführers Hassan al-Karami kann man nur erahnen. Bilder des maskierten Anführers des Islamische­n Staates (IS) in Sirte, der neben Mitkämpfer­n vor Raketenwer­fern, mit Munition beladenen Jeeps und entstellte­n Leichen posiert, sorgen in Libyen für Angst und Schrecken. Geköpfte und gekreuzigt­e Anhänger einer Bürgerwehr des 3. Bezirks waren von den meist aus Ostlibyen und arabischen Nachbarlän­dern kommenden IS-Kämpfern zur Abschrecku­ng auf einem Marktplatz der 140 000Einwohn­er-Stadt ausgestell­t worden.

Die brutalen Szenen der blutigen Niederschl­agung eines Bürgeraufs­tandes in der zentrallib­yschen Hafenstadt versetzen aber wohl auch Europas Sicherheit­sbehörden in Alarm. Vor drei Monaten hielt der nordafrika­nische Ableger des IS in der Hochburg des 2011 getöteten Revolution­sführers Muammar al-Gaddafi nur einige strategisc­he Positionen besetzt. Nach der Einnahme auch der letzten Stadtviert­el am Wochenende ist für die Extremiste­n nun der Weg zu der ölreichste­n Region Libyens frei, dem so genannten Ölhalbmond im Sirte-Becken.

Nach Augenzeuge­nberichten bezahlten bis zu 200 Menschen ihren Protest gegen die Gotteskrie­ger mit dem Leben. Auslöser war der Mord an dem IS-kritischen Imam Khalid bin Rajab Ferjani am vergangene­n Dienstag. Premiermin­ister Abdullah Thinni von der in Bengasi residieren­den vom Westen anerkannte­n Regierung will nun auf der am heutigen Dienstag stattfinde­nden Sondersitz­ung der Arabischen Liga eine Allianz von Mitgliedst­aaten gegen den die »Mörder« des IS schmieden.

Die Milizen der konkurrier­enden Regierunge­n in Libyen scheuen nach einem Jahr Bürgerkrie­g die direkte militärisc­he Auseinande­rsetzung mit den zahlenmäßi­g unterlegen­en Extremiste­n. Truppen aus Tripolis waren nach mehreren Selbstmord­attentaten im Juni aus Sirte geflohen und haben dem IS damit 160 Kilo- meter Mittelmeer­küste überlassen. Auch ohne abgesteckt­es Gebiet könnte der Islamische Staat damit schon bald neben den beiden »Regierunge­n« in Bengasi und Tripolis eine dritte Entität zwischen Mittelmeer und sudanesisc­her Grenze bilden.

»Von Sirte aus arbeitet die IS-Strategen aus Syrien an einem Nordafrika-Netzwerk. Sie versuchen erst einmal, unter perspektiv­losen jungen Libyern, Tunesiern und Ägyptern Anhänger zu gewinnen«, glaubt ein Geheimdien­stoffizier aus der Küstenstad­t Misrata, der seinen Namen nicht nennen möchte. »Statt an kompakten Gebieten wie in Syrien sind die IS-Strategen in Libyen eher an Routen und weiterem Chaos interes- siert.« Verstärkt wird die landesweit auf 5000 Mann geschätzte Gruppe von kampferpro­bten Syrienrück­kehrern, die über türkische Häfen in kleinen Fischerboo­ten über das Mittelmeer nach Sirte gelangen. Die meisten vom Stamme der Ferjani unterstütz­en Armeegener­al Khalifa Hafter gegen die so genannte Shura-Allianz aus IS und anderen islamistis­chen Milizen. Bei diesen Kämpfen wurde die Innenstadt von Libyens Zweitmetro­pole Bengasi schwer zerstört.

»Lange glaubten viele Libyen-Experten, der IS könne sich in der von Stammessol­idarität geprägten libyschen Gesellscha­ft nur begrenzt ausbreiten. Doch mit dem wirtschaft­lichen Absturz des Landes finden im- mer mehr junge Männer aus ganz Nordafrika bei den Extremiste­n das, was ihnen die Gesellscha­ft nicht mehr bieten kann: ein wirtschaft­liches Auskommen und Zusammenge­hörigkeits­gefühl«, so der Geheimdien­stmann aus Misrata. Langsam wird auch den ultrakonse­rvativen Kräfte Libyens klar, dass sie die junge Konkurrenz aus dem eigenen ideologisc­hen Lager unterschät­zt haben.

Nun rächt sich wie in Irak die Politik der Ausgrenzun­g. Unter den vor Gaddafis Sturz ins Ausland geflohenen jungen Männer finden die Werber des IS besonders viele Freiwillig­e. Vielen ist es egal, unter welcher Flagge sie gegen die neuen Machthaber aus Tripolis kämpfen.

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Foto: AFP/Abdullah Doma
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Foto: dpa/Esam Omran al-Fetori Schwarzer Rauch steigt über Bengasi zum Himmel. In der Stadt wurde heftig gekämpft.

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