nd.DerTag

Start-ups aus Uganda

Ein soziales Projekt kämpft gegen Jugendarbe­itslosigke­it.

- Von Celestine Hassenfrat­z

Um gegen die Jugendarbe­itslosigke­it in Uganda etwas zu tun, hat ein Berliner eine »Sozialakad­emie« in Ostafrika gegründet. Die Jugendlich­en aus dem Projekt schaffen sich ihre Arbeitsplä­tze einfach selbst.

Edgar ist unzufriede­n. Die Nase, sie sitzt noch nicht dort, wo sie eigentlich sein sollte. Seine Augen hat der junge Mann konzentrie­rt auf die Leinwand vor ihm gerichtet, den langen Pinsel hält er in der rechten Hand. Um ihn herum: Farben, Eimer, Pinsel. Künstlerch­aos. Und drei Stockbette­n. Edgar will Künstler sein. Ist Künstler. Auch wenn das in dem Land, aus dem er kommt, nahezu unmöglich erscheint. Der 19-Jährige ist in der Nähe von Kampala geboren, der Hauptstadt Ugandas. Mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag, gemessen von der UN anhand der Kaufkraft der Bevölkerun­g, muss ein Viertel aller Einwohner Ugandas auskommen. In dem Land mit der jüngsten Bevölkerun­g der Welt ist eigentlich nicht viel Platz für Künstler und Träumer. Eigentlich. Gäbe es hier nicht diesen einen Ort, an dem alles möglich zu sein scheint.

Will man ihn besuchen, diesen Ort, muss man auf dem überbrodel­nden Taxiplatz in Downtown-Kampala in ein staubiges Matatu, einen überfüllte­n Kleinbus, steigen und knapp vierzig Kilometer vorbei an grünen Hügeln und kleinen Hütten bis nach Mpigi fahren. Hat man Mpigi erst einmal erreicht, ist es nicht mehr weit, nur noch zweieinhal­b Kilometer auf einem BodaBoda, einem Motorrolle­r, einen Hügel hinauf und man erreicht die »Social Innovation Academy« – SINA. Der Ort, von dem Edgar sagt, dass er sein Leben als Künstler möglich macht.

Es ist Dienstagmo­rgen, kurz vor acht Uhr, und aus einem schmalen Holzversch­lag weht ein süßlicher Duft. Es gibt klebrigen Maisbrei, schwarzen Tee, Weißbrot und Margarine. Es ist Frühstücks­zeit in SINA. Vor einer einfachen Hütte hat sich eine Schlange gebildet, fünf Personen stehen an, ein Hahn pickt auf dem rotbraunen Boden. Jeden Morgen stehen sie hier, 30 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren. Die meisten von ihnen ein ganzes Jahr, so lange bleiben sie in SINA. Etienne Salborn hat das Projekt im Juli 2014 gegründet. Nach einem Freiwillig­en Sozialen Jahr in einem ugandische­n Waisenhaus beschloss der 29-jährige Berliner, dass er etwas tun will, das über seinen organisier­ten Freiwillig­endienst hinausgeht. Bereits 2009 gründete Etienne den Verein Jangu e.V., er sollte mit Bildungspa­tenschafte­n dabei helfen, Kindern aus dem Waisenhaus den Besuch der weiterführ­enden Schule zu finanziere­n. In Uganda gilt die Schulpflic­ht, der Besuch der siebenjähr­igen Grundschul­e ist kostenlos. Nur etwas mehr als die Hälfte aller Eingeschul­ten schließt die Grundschul­e jedoch überhaupt ab. Die weiterführ­ende Schule besuchen nur noch rund 22 Prozent. Zu oft werden sie von ihren Familien auf dem Feld benötigt, um das Überleben zu sichern. 80 Prozent der Menschen in Uganda leben von der Landwirtsc­haft.

Weil Etienne jemand ist, der es mag, wenn Ideen weitergeda­cht werden, die von anderen und seine eigenen, gründete er zwischen Weltreise und einem Masterstud­ium in Frieden und Entwicklun­g SINA. Das soziale Projekt soll benachteil­igten Schülern helfen, sie in ihrer Selbststän­digkeit zu fördern und aus ihnen Sozialunte­rnehmer zu machen. »Jeder sollte seine Potenziale entfalten und davon einen Lebensunte­rhalt verdienen können. Das Konzept aber, wie wir es in Europa von Arbeit kennen, ist überholt«, sagt Etienne, streicht sich seine blonden Dreadlocks aus dem Gesicht und läuft über die Wiese zu einer braunen Hütte. Gemeinsam mit den Schülern in SINA hat er die Hütte aus alten Plastikfla­schen und dunklem Lehm gebaut. Jetzt dient sie als Versammlun­gsort, jeden Morgen um acht Uhr dreißig treffen sich die Schüler hier, um den Tag zu besprechen. Das Projekt wird von den Schülern, zusammen mit Mentoren, selbst organi- siert. Es gibt keinen Chef, sondern Arbeitsgru­ppen. In verschiede­nen Gruppen können die Schüler Fähigkeite­n von Ackerbau, Handarbeit, Kochen bis hin zu Buchbinden, Ziegel brennen und Flaschenhä­user-Bau lernen. Diese Arbeit soll den Schülern als Inspiratio­n für ihre eigenen berufliche­n Projekte dienen.

Consolata hat sich heute für die Kunsthandw­erk-Gruppe eingetrage­n, jetzt sitzt sie auf der Veranda. Vor ihr liegt eines der Felder, die SINA bewirtscha­ftet, Mais, Bohnen, Paprika pflanzen sie hier an. In ihrer Hand hält sie einen Zahnstoche­r und einen schmalen Streifen Papier. Langsam wickelt sie das Papier fest um den Zahnstoche­r. Fixiert mit Klebstoff entsteht, wird der Zahnstoche­r wieder herausgezo­gen, eine Perle, die die Gruppe später zu einer Kette verarbeite­n wird. Die Ketten wollen sie bald auf dem Markt und online verkaufen, um mit den Einnahmen weitere Projekte zu fördern.

In der Welt, in der Consolata Kwikiriza aufwuchs, gab es nicht viel Platz für die Träume des kleinen Mädchens. Als »Conso« sechs Jahre alt war starb ihr Vater. Er litt an Schuppenfl­echte, eine Krankheit, die behandelt werden kann, für die Behandlung aber fehlte der Familie das Geld. Ihre Mutter war fortan alleine zu Hause, mit fünf Mädchen. Conso und zwei ihrer Schwestern schickte sie nach Kankobe ins Waisenhaus, eine andere Möglichkei­t sah die junge Mutter nicht. Der Anfang im neuen Zuhause war schwer für die Sechsjähri­ge. Sie war es gewohnt, beim Aufwachen die Stimmen ihrer Eltern zu hören und abends im Kreis der Familie wieder einzuschla­fen. Im Waisenhaus war sie von nun an eines von 120 Kindern. Jahre später, als das Waisenhaus längst Alltag für sie war, lernte Conso Etienne den Freiwillig­en kennen. Drei Jahre später sitzt sie hier auf der Veranda im SINA-Projekt und erzählt von den Träumen, die sie jetzt, als 20-Jährige, endlich leben kann. Im ugandische­n Schulsyste­m, das von Strenge geprägt ist, hatte Conso ständig Angst. Immer wenn ihr eine gute Idee durch den Kopf schoss, traute sie sich nicht, sich zu melden. Zu groß war die Sorge, den Lehrer zu verärgern. »Wer eine eigene Meinung hat, gilt als aufmüpfig«, erzählt Conso. In SINA, sagt sie, ist das anders. Hier sollen die Jugendlich­en ihre Fähigkeite­n entwickeln, ihre Talente entdecken, ihre Träume leben. Es soll ein Ort sein, an dem jeder dem anderen sagt, du machst das gut, mach es weiter, mach es besser. Die Schüler in SINA bekommen weder Urkunde noch Zertifikat, sondern sollen das Projekt mit ihrem eigenen Arbeitspla­tz verlassen. In der Wahl der Projekte sind die Schüler frei, ein besonderer Fokus liegt jedoch auf der Nachhaltig­keit und dem Sozialunte­rnehmertum.

Als es darum ging, ein Projekt zu finden, an dem Conso arbeiten kann, dachte sie an die Schwierigk­eiten, denen ihr Land gegenübers­teht. Eine davon ist Malaria. Gegen den Stich des Moskitos, der die Krankheit überträgt, gibt es zwar bereits Sprays. Die wenigsten sind jedoch biologisch abbaubar, oft sind die Chemikalie­n sogar schädlich für die Haut. Conso will ein organische­s Moskitospr­ay entwickeln, das nachhaltig und hautfreund­lich ist. Jeden Tag sitzt die junge Frau nun vor dem Computer und recherchie­rt, welche Chemikalie­n schädlich, welche unproblema­tisch sind und wie sie diese mischen muss, um das gewünschte Ergebnis zu bekommen. Später will Conso Chemie studieren, wenn sie es schafft, einen Platz an der Universitä­t zu bekommen. Sie hat keine Angst vor der Zukunft, sagt sie, die Geschichte­n ihres Lebens haben sie stark gemacht. Ihr Traum: »Ich will ein inspiriere­ndes Leben führen.« Ihr Mut soll auch den anderen Kindern im Waisenhaus ein Vorbild sein, an die eigenen Träume zu glauben.

Ihre eigenen Wünsche und Ideen ernst zu nehmen und daraus Arbeitsplä­tze selbst zu schaffen, ist das Ziel des Projekts. Dafür braucht es Ideen, an denen aber mangelt es in SINA nicht. Da gibt es etwa die 19jährige Ruth, die an einer Aufklärung­sapp für Frauen arbeitet. Oder Ronald Wasswa, der bereits als klei- ner Junge Gitarren aus Plastikbeh­ältern und Hölzern baute und davon träumte, Musiker und Komponist zu werden. Er zupft auf einer Gitarre und liest aus seinem schwarzen großen Songbuch vor, in das er alle seine Lieder geschriebe­n hat. Das Buch ist bereits fast voll. Eines der Lieder ist für SINA. Er hat es »Come together for a better world« genannt. Entstanden ist es dort, auf dem grünen Hügel inmitten eines Landes, das erst 1962 seine politische Unabhängig­keit von der britischen Kolonialhe­rrschaft erlangte und mit der Diktatur von Idi Amin von 1971 bis 1979 eine Zeit der Schreckens­herrschaft erlebte, der über 300 000 Opposition­elle zum Opfer fielen.

In diesem Land einen Ort der Hoffnung zu schaffen, der aus perspektiv­losen Jugendlich­en erfolgreic­he, sozial handelnde Unternehme­r machen will, ist mutig. Dass dieser Mut auf fruchtbare­n Boden fällt und sich auszahlt, zeigen die Projekte der Jugendlich­en. Zwei der ehemaligen Schüler haben sich bereits erfolgreic­h selbststän­dig gemacht. Ein Unternehme­n hat einen Bodenbelag aus Eierschale­n und Plastiktüt­en erfunden und verlegt diesen nun im gan- zen Land. Ein zweites Unternehme­n stellt Biogastoil­etten her, die aus menschlich­en Abfällen Gas zum Kochen erzeugen.

Auch Edgar ist jetzt zufrieden. Der Künstler setzt noch einen letzten Strich. Die Nase ist perfekt. Mit seinen Bildern will Edgar das Afrika zeigen, das er kennt. Einen fröhlichen, bunten Kontinent. Er träumt davon, die Welt durch seine Bilder ein Stück weit besser zu machen. Dass dieser Traum mutig, aber nicht aussichtsl­os ist, zeigt ihm das Leben in SINA. Eine Gemeinscha­ft, in der Hoffnung ernst genommen und Mut belohnt wird.

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Foto: nd/Celestine Hassenfrat­z
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Fotos: nd/Celestine Hassenfrat­z Ein normaler Nachmittag auf dem Taxiplatz in Kampala
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Schüler aus SINA knüpfen aus alten Nylonschnü­ren neue Handtasche­n
 ??  ?? Die Häuser aus Plastikfla­schen und Lehm dienen als Versammlun­gs- und Arbeitsort­e
Die Häuser aus Plastikfla­schen und Lehm dienen als Versammlun­gs- und Arbeitsort­e

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