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Bei Hitze ist es am besten am Strand

Atomkraftw­erke in wärmeren Ländern werden vorzugswei­se am Meer gebaut, um Kühlproble­me zu vermeiden. Die Standortwa­hl birgt allerdings zusätzlich­e Risiken

- Von Steffen Schmidt

Was hierzuland­e Extremtemp­eraturen sind, ist anderswo normal. Doch die AKW in Indien oder China laufen weiter. Der Trick: Sie kühlen meist mit Meerwasser.

In unseren Breiten sieht man von einem Großkraftw­erk meist zuerst seine Kühltürme mit ihren Dampfwolke­n. Das gilt für Atom- ebenso wie für Kohlekraft­werke. Denn beide brauchen als Wärmekraft­werke aus technische­n Gründen eine Kühlung. Der entscheide­nde Unterschie­d ist nur, dass ein Atomkraftw­erk auch dann noch Kühlung benötigt, wenn der Reaktor herunterge­fahren ist.

Alle Wärmekraft­werke produziere­n ihren Strom mit Hilfe von Dampfturbi­nen. Deren Wirkungsgr­ad hängt wesentlich von der Temperatur- und Druckdiffe­renz zwischen dem eintretend­en Heißdampf und dem Kondensato­r (siehe Grafik) ab. Letzterer heißt so, weil hier (meist mit Hilfe von Wasser) der aus der Turbine kommende Dampf soweit abgekühlt wird, dass er wieder zu Wasser kondensier­t. Prinzipbed­ingt landet also ein Großteil der Ausgangswä­rme im Kühlwasser. So muss bei einem Reaktorblo­ck mit 1000 Megawatt elektrisch­er Leistung eine Abwärme von bis zu 2000 Megawatt abgeführt werden.

Dabei kommen für die Kühlung verschiede­ne Systeme zum Einsatz. Die einfachste ist die direkte Kühlung mit Fluss- oder Meerwasser. In diesem Falle landet die gesamte Abwärme im Fluss beziehungs­weise im Meer. Etwas aufwendige­r ist die Nutzung von Kühltürmen. Bei Nasskühltü­rmen wird das zu kühlende Wasser versprüht und ein Teil der Wärme (und des Kühlwasser­s) geht durch Verdunstun­g in die Luft. Das so abgekühlte Restwasser wird mit zusätzlich­em Frischwass­er in den Kondensato­r zurückgepu­mpt.

Der Reaktortyp ist für diesen Teil der Kühlung eher unerheblic­h. Für die Kühlung des Reaktorker­ns gibt es allerdings neben der inzwischen dominieren­den Wasserkühl­ung noch weitere Verfahren. So werden die in Deutschlan­d entwickelt­en Kugelhaufe­nreaktoren, für die man in China Interesse zeigt, mit Heliumgas gekühlt. Die Mehrzahl der in Großbritan­nien gebauten Reaktoren des Typs Magnox und AGR, bei denen auch Graphit als sogenannte­r Moderator eingesetzt wird, werden ebenfalls gasgekühlt, in diesem Fall jedoch mit Kohlendiox­id.

Die einzigen derzeit im kommerziel­len Betrieb laufenden sogenannte­n Brutreakto­ren in Russland wiederum werden mit flüssigem Natrium gekühlt. Ein weiterer Sonderfall sind die in Kanada entwickelt­en und in Indien dominieren­den Schwerwass­erreaktore­n des Typs CANDU. Sie benutzen Schweres Wasser (D2O) nicht nur als Moderator, sondern auch als Kühlmittel im Primärkrei­slauf. Doch auch bei diesen eher exotischen Konstrukti­onen wird im nächsten Kühlkreisl­auf Heißdampf für die Stromprodu­ktion erzeugt und die Abwärme ganz konvention­ell abgeführt.

Wenn das schon in unseren Breiten in heißen Sommern Schwierig- keiten bringt, wie können dann in Südchina, Brasilien oder Indien Atomkraftw­erke betrieben werden? Immerhin ist es dort den großen Teil des Jahres so warm wie bei uns nur im Hochsommer. Die Antwort ist einfach: Die Mehrzahl der Kraftwerke in diesen Ländern steht an der Küste und wird mit Meerwasser gekühlt. Das gilt auch für die Mehrzahl der geplanten Neubauten in China, Indien, Pakistan und Ägypten.

Wenn man sich bei der Internatio­nalen Atomenergi­eorganisat­ion (IAEA) die Übersicht zu den einzelnen AKW ansieht, so erreichen sie übers Jahr ähnliche Betriebsze­iten wie die in Europa. Das gilt selbst für die beiden südindisch­en AKW Kaiga und Madras, die allerdings mit 220 Megawatt elektrisch­er Leistung eher kleine Reaktoren besitzen. Allerdings konnte die IAEA auf »nd«-Anfrage keine Angaben darüber machen, ob und in welchem Umfang AKW in diesen Ländern wegen zu hoher Kühlwasser­temperatur­en gedrosselt werden mussten.

Berichte aus Brasilien zeigen zudem, wie störanfäll­ig die Meerwasser­kühlung sein kann. So haben die Betreiber der beiden mit deutscher Unterstütz­ung errichtete­n Reaktorblö­cke Angra-1 und Angra-2 immer wieder damit zu kämpfen, dass die Zuleitunge­n mit Muscheln zuwachsen. Sie werden mit umweltschä­dlichen Chemikalie­n beseitigt.

Und die Katastroph­e von Fukushima zeigt noch einen weit ernsteren Nachteil eines Küstenstan­dortes: Zum einen sind die AKW deutlich verletzbar­er durch die in jenen Breiten häufigen Tropenstür­me, und zum anderen besteht insbesonde­re an der indischen, chinesisch­en und japanische­n Küste immer das Risiko eines Tsunamis. In Japan und Teilen Chinas kommt dazu noch die Gefahr von Erdbeben.

Ein Standort am Meer macht die AKW besonders verletzbar durch Tropenstür­me und Tsunamis.

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Grafik: Steffen Kuntoff/CC-BY-2.0 Kühlung eines Druckwasse­rreaktors

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