Bei Hitze ist es am besten am Strand
Atomkraftwerke in wärmeren Ländern werden vorzugsweise am Meer gebaut, um Kühlprobleme zu vermeiden. Die Standortwahl birgt allerdings zusätzliche Risiken
Was hierzulande Extremtemperaturen sind, ist anderswo normal. Doch die AKW in Indien oder China laufen weiter. Der Trick: Sie kühlen meist mit Meerwasser.
In unseren Breiten sieht man von einem Großkraftwerk meist zuerst seine Kühltürme mit ihren Dampfwolken. Das gilt für Atom- ebenso wie für Kohlekraftwerke. Denn beide brauchen als Wärmekraftwerke aus technischen Gründen eine Kühlung. Der entscheidende Unterschied ist nur, dass ein Atomkraftwerk auch dann noch Kühlung benötigt, wenn der Reaktor heruntergefahren ist.
Alle Wärmekraftwerke produzieren ihren Strom mit Hilfe von Dampfturbinen. Deren Wirkungsgrad hängt wesentlich von der Temperatur- und Druckdifferenz zwischen dem eintretenden Heißdampf und dem Kondensator (siehe Grafik) ab. Letzterer heißt so, weil hier (meist mit Hilfe von Wasser) der aus der Turbine kommende Dampf soweit abgekühlt wird, dass er wieder zu Wasser kondensiert. Prinzipbedingt landet also ein Großteil der Ausgangswärme im Kühlwasser. So muss bei einem Reaktorblock mit 1000 Megawatt elektrischer Leistung eine Abwärme von bis zu 2000 Megawatt abgeführt werden.
Dabei kommen für die Kühlung verschiedene Systeme zum Einsatz. Die einfachste ist die direkte Kühlung mit Fluss- oder Meerwasser. In diesem Falle landet die gesamte Abwärme im Fluss beziehungsweise im Meer. Etwas aufwendiger ist die Nutzung von Kühltürmen. Bei Nasskühltürmen wird das zu kühlende Wasser versprüht und ein Teil der Wärme (und des Kühlwassers) geht durch Verdunstung in die Luft. Das so abgekühlte Restwasser wird mit zusätzlichem Frischwasser in den Kondensator zurückgepumpt.
Der Reaktortyp ist für diesen Teil der Kühlung eher unerheblich. Für die Kühlung des Reaktorkerns gibt es allerdings neben der inzwischen dominierenden Wasserkühlung noch weitere Verfahren. So werden die in Deutschland entwickelten Kugelhaufenreaktoren, für die man in China Interesse zeigt, mit Heliumgas gekühlt. Die Mehrzahl der in Großbritannien gebauten Reaktoren des Typs Magnox und AGR, bei denen auch Graphit als sogenannter Moderator eingesetzt wird, werden ebenfalls gasgekühlt, in diesem Fall jedoch mit Kohlendioxid.
Die einzigen derzeit im kommerziellen Betrieb laufenden sogenannten Brutreaktoren in Russland wiederum werden mit flüssigem Natrium gekühlt. Ein weiterer Sonderfall sind die in Kanada entwickelten und in Indien dominierenden Schwerwasserreaktoren des Typs CANDU. Sie benutzen Schweres Wasser (D2O) nicht nur als Moderator, sondern auch als Kühlmittel im Primärkreislauf. Doch auch bei diesen eher exotischen Konstruktionen wird im nächsten Kühlkreislauf Heißdampf für die Stromproduktion erzeugt und die Abwärme ganz konventionell abgeführt.
Wenn das schon in unseren Breiten in heißen Sommern Schwierig- keiten bringt, wie können dann in Südchina, Brasilien oder Indien Atomkraftwerke betrieben werden? Immerhin ist es dort den großen Teil des Jahres so warm wie bei uns nur im Hochsommer. Die Antwort ist einfach: Die Mehrzahl der Kraftwerke in diesen Ländern steht an der Küste und wird mit Meerwasser gekühlt. Das gilt auch für die Mehrzahl der geplanten Neubauten in China, Indien, Pakistan und Ägypten.
Wenn man sich bei der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) die Übersicht zu den einzelnen AKW ansieht, so erreichen sie übers Jahr ähnliche Betriebszeiten wie die in Europa. Das gilt selbst für die beiden südindischen AKW Kaiga und Madras, die allerdings mit 220 Megawatt elektrischer Leistung eher kleine Reaktoren besitzen. Allerdings konnte die IAEA auf »nd«-Anfrage keine Angaben darüber machen, ob und in welchem Umfang AKW in diesen Ländern wegen zu hoher Kühlwassertemperaturen gedrosselt werden mussten.
Berichte aus Brasilien zeigen zudem, wie störanfällig die Meerwasserkühlung sein kann. So haben die Betreiber der beiden mit deutscher Unterstützung errichteten Reaktorblöcke Angra-1 und Angra-2 immer wieder damit zu kämpfen, dass die Zuleitungen mit Muscheln zuwachsen. Sie werden mit umweltschädlichen Chemikalien beseitigt.
Und die Katastrophe von Fukushima zeigt noch einen weit ernsteren Nachteil eines Küstenstandortes: Zum einen sind die AKW deutlich verletzbarer durch die in jenen Breiten häufigen Tropenstürme, und zum anderen besteht insbesondere an der indischen, chinesischen und japanischen Küste immer das Risiko eines Tsunamis. In Japan und Teilen Chinas kommt dazu noch die Gefahr von Erdbeben.
Ein Standort am Meer macht die AKW besonders verletzbar durch Tropenstürme und Tsunamis.