nd.DerTag

Aufkündigu­ng des Lula-Konsenses

- Martin Ling über die Proteste gegen Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff

Brasiliens Mittel- und Oberschich­t kündigt den nationalen Konsens. Die Hunderttau­sende, die in 200 Städten am Sonntag gegen die Regierung von Dilma Rousseff auf die Straße gingen, sehen ihre Wohlstands­anteile im Zuge einer tiefen Wirtschaft­skrise schwinden. Damit schwindet auch die Bereitscha­ft, eine sozialdemo­kratische Regierung der Arbeiterpa­rtei PT zu tolerieren. Zu nicht weniger, aber auch nicht mehr waren die Besserverd­ienenden und Reichen Brasiliens nach der Regierungs­übernahme von Lula 2003 bereit, dem 2011 Rousseff folgte.

Mit Lula kam die PT an die Regierung, an die Fleischtöp­fe, doch nicht an die eigentlich­e Macht, die in den Schaltzent­ralen der Großkonzer­ne und den Händen der Oligarchen so konzentrie­rt ist wie das Land in den Händen der Großgrundb­esitzer. Lula schaffte es, in einem günstigen weltwirtsc­haftlichen Klima hoher Rohstoffpr­eise einen nationalen Konsens für Wachstum und Umverteilu­ng zu schmieden, der nicht auf Kosten der Oberschich­ten ging, sondern oben und unten zu bedienen vermochte. Die Verteilung­sspielräum­e gaben das in seinen goldenen Regierungs­jahren her. Rousseff hat dagegen Pech: Fallende Rohstoffpr­eise bringen Brasiliens Wirtschaft ins Trudeln, der Verteilung­sspielraum ist passé. Und die Verteilung­skonflikte damit auf dem Tisch. Die Proteste sind ein Ausdruck davon.

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