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Die Klischees wegrenovie­ren

In der Roten Flora möbeln Wandergese­llen das besetzte Haus fürs nächste Vierteljah­rhundert auf

- Von Folke Havekost, Hamburg

Die Rote Flora in Hamburg – lange der Inbegriff linker Renitenz gegen Staat und Gesellscha­ft. Derzeit wird saniert und renoviert – Zeichen der Anpassung? Die Akteure klingen immerhin noch subversiv.

Seit gut drei Wochen werkeln Wandergese­llen aus dem ganzen Land an der seit einem Vierteljah­rhundert besetzten Rote Flora. Die Gerüste, auf denen sie arbeiten, sind verhüllt; die 700 Quadratmet­er große Plane davor zeigt die Flora-Fassade, wie sie vor hundert Jahren aussah, als drinnen

»Was ist denn eigentlich bürgerlich­e Öffentlich­keit? Wir sind auch kritische bürgerlich­e Öffentlich­keit.«

Klaus von der Pressegrup­pe noch Varietéthe­ater stattfand. Das lässt sich auch als Botschaft verstehen: Selbst, wenn sie sich herausputz­t, wird in (und an) der Flora immer noch im Verborgene­n gearbeitet. Nicht, dass da noch ein falscher Eindruck aufkommt.

Denn zuletzt wunderte sich Hamburgs Lokalpress­e über eine Offenheit, die ihr in den letzten 25 Jahren nicht begegnet zu sein scheint. Das »Hamburger Abendblatt« staunte über die feinen Mosaikkach­eln an den Toilettenw­änden, mit denen unter anderem des 2014 tödlich verunglück­ten Graffitikü­nstlers Oz gedacht wird. Eine Einzelkabi­ne ist mit dem Schriftzug »Gefahrenge­biet« versehen. »Wir machen ein breites Spektrum an Sachen und haben schon deshalb kein Problem mit der Öffentlich­keit«, sagt Klaus aus der Flora-Pressegrup­pe: »Überhaupt ist das ein komisches Etikett: Was ist denn eigentlich bürgerlich­e Öffentlich­keit? Wir sind auch kritische bürgerlich­e Öffentlich­keit.«

Dass die »Hamburger Morgenpost« gleich eine Fotoreport­age im Selfie- Stil veröffentl­ichte, ist bei den Floristen allerdings nicht besonders gut angekommen. Der Umbau soll weniger die Presse beeindruck­en als vielmehr – im fast wörtlichen Sinn – den Grundstein für ein zweites Vierteljah­rhundert Rote Flora legen. »Die Maßnahmen sind wichtig für die Substanz des Gebäudes«, erklärt Klaus aus der Flora: »Aber es geht hier nicht um einen Haufen Steine, sondern darum, antagonist­ische Ideen zu entwickeln. Wer den neuen Gruppenrau­m benutzen wird, wird dort wohl auch eine Arbeit machen, die es in die Berichters­tattung schaffen wird.«

Mit den geschätzt 300 000 Euro Materialko­sten sollen »die Möglichkei­ten vervielfac­ht werden, die wir mit dem Gebäude haben«. Sandstrahl­en, restaurier­en, verputzen: Außer dem Gruppenrau­m entsteht auch ein neues Café, von dem noch nicht klar ist, ob es dann noch »Volxküche« heißen wird. Die linke Wahrnehmun­g des Volksbegri­ffs ist heute ein anderer als im Herbst 1989, als die Gründergen­eration das alte Varietéthe­ater für besetzt erklärte – kurz, bevor in Berlin die Mauer fiel. »Wir öffnen neue Räume, aber für eine Nutzung, die jetzt schon stattfinde­t«, betont Annika aus der Pressegrup­pe: »Schließlic­h sind wir mit unserem bisherigen Nutzungsko­nzept gut gefahren. Es gelten nach wie vor dieselben Flora-Prinzipien wie in den letzten 25 Jahren.«

Das heißt im Zweifel auch, Hochkultur subversiv anzugehen. Am 15. August soll die Plane fallen, dann will der Konzeptkün­stler Christoph Faulhaber in und am frisch geputzten Haus »Das Phantom der Oper« aufführen, einen der Hamburger Musical-Hits, für den 1988 eigentlich die Rote Flora umgebaut werden sollte – ehe die Kritik und spätere Besetzung des Gebäudes eben dies verhindert­e. Die Aufführung mit Studenten der Hochschule für Kunst und Musik dürfte eine vollkommen andere Inszenieru­ng werden als das Original von Andrew Lloyd Webber, das ab 1990 – und derzeit wieder – an der extra dafür errichtete­n Neuen Flora gespielt wird. »Im Augenblick kommen viele Touristen wegen der abgenutzte­n Fassade ins Schanzenvi­ertel«, sagt Annika, »und die entspricht vielleicht eher dem Klischee von uns, aber sie hat ja nichts mit unseren Ideen zu tun.«

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Foto: Volker Stahl Rote Flora vermummt

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