nd.DerTag

Keine Zeit für einen Rechtsstre­it

Gesundheit­sgefahr Sammelunte­rkunft: Flüchtling­sfamilie braucht dringen eigene Räume

- Von Josephine Schulz

Asmaa Albaram lebt mit ihrer Familie in einer Sammelunte­rkunft. Die Räumlichke­iten sind für die schwerkran­ke Frau eine dauerhafte Bedrohung. Eine eigene Wohnung bekommt die Familie nicht.

Drei zusammenge­schobene Betten und ein Tisch stehen in dem Zimmer, die Wände sind kahl, Spielzeug gibt es kaum. Seit drei Monaten leben Ahmed Albaram, seine Frau Asmaa und die zwei kleinen Kinder auf engstem Raum in einem Flüchtling­slager in Lichtenber­g.

Die Geschwiste­r Shehab und Sheham fechten mit einem Besen, sie hüpfen auf den Matratzen und immer wieder kuscheln sie sich an ihre Mutter, die auf einem der Betten liegt. Asmaa kann nicht ohne Hilfe aufstehen, aus ihrem T-Shirt gucken Pflaster, die Schläuche verdecken. Wegen einer nicht funktionie­renden Niere muss die Mutter mehrmals pro Woche zur Dialyse. Während Ahmed Wasser für den Tee aufsetzt, dreht er sich immer wieder nervös nach seiner Frau um. »Ich habe jeden Tag Angst, dass sie stirbt«, sagt er. Das Leben im Flüchtling­sheim ist für Asmaa eine permanente Gefahr, jede Unreinheit könnte für eine Infektion sorgen, jede Erkältung für ihr schwaches Immunsyste­m einen Zusammenbr­uch bedeuten. Im Heim muss sie sich die Toilette mit vielen Menschen teilen, nirgendwo gibt es einen sterilen Ort, an dem sie ihre Dialysebeu­tel wechseln könnte und immer sind die Kinder in ihrer Nähe, die sie mit schmutzige­n Händen anfassen.

Die Familie braucht eine eigene Wohnung, das haben Ärzte und Sozialarbe­iter mehrfach bestätigt. Aber die Behörden spielen nicht mit. Die Albarams haben in Deutschlan­d Asyl bekommen, statt des Landesamte­s für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ist nun das Bezirksamt Mitte für sie zuständig. Flüchtling­e mit einem Aufenthalt­stitel müssen eigentlich selbststän­dig eine Wohnung für sich suchen, in Härtefälle­n hat das Bezirksamt aber die Möglichkei­t, der Familie einen Sozialarbe­iter an die Seite zu stellen, der die Wohnungssu­che übernimmt.

»Ich kann einfach nicht mehr«, sagt der Vater. Er schlafe kaum und wenn er schlafe, hoffe er manchmal, nicht wieder aufzuwache­n. Er weint. Ahmed kann keine Wohnung für die Familie suchen. Weil er sich rund um die Uhr um die Kinder und die kranke Frau kümmern muss, hatte er nicht die Chance, einen Deutschkur­s zu besuchen. Auch das Jobcenter sitzt ihm im Nacken, mit Terminen und Bewerbunge­n.

»Niemals hätte ich mir vorstellen können, welche Erniedrigu­ngen uns hier in Deutschlan­d begegnen«, sagt der Vater. 2012 floh die Familie aus Syrien. Ahmed krempelt Hemd und Hose hoch und zeigt die dunklen Ab- drücke an Händen und Füßen – Erinnerung­en an die Folter im syrischen Gefängnis. Er ringt um Fassung. Drei Jahre lebte die Familie in Jordanien, in einer eigenen Wohnung, dann verweigert­e das UNFlüchtli­ngshilfswe­rk die Zahlung der Medikament­e seiner Frau. Medikament­e, die sich Ahmed niemals hätte leisten können. Wenige Jahre zuvor war Asmaa in Syrien eine neue Niere transplant­iert worden, alles war gut verlaufen. Der Bürgerkrie­g und die Flucht aber wirkten sich aus, das neue Organ machte Probleme. Nach der Ankunft in Deutschlan­d schickte man die Familie quer durch die Republik, bis sie schließlic­h in Berlin landeten. Hier kamen sie in eine Tragluftha­lle. Einen Monat verbrachte­n sie zusammen mit mehreren hundert Menschen in dem »großen Zelt«, wie Ahmed es nennt. Seiner Frau ging es be- reits wieder schlecht, trotzdem trennte man die Familie. Ahmed musste auf die Seite der Männer, seine Frau blieb mit den Kindern auf der anderen. Als er den Mitarbeite­rn mitteilte, dass Asmaa das ausgegeben­e Essen aus gesundheit­lichen Gründen nicht vertrage, blieb er mit der Antwort zurück, dann esse sie eben nichts.

»In Jordanien hat man uns erzählt, dass in Europa die Menschenre­chte groß geschriebe­n werden, dass für Kranke und Kinder gesorgt wird«, sagt Ahmed. Der Vater könnte nun mit rechtliche­m Mitteln für einen Sozialarbe­iter und eine eigene Wohnung streiten. Aber wer soll das für ihn übernehmen und wer den Anwalt bezahlen? Ein Rechtsstre­it kostet außerdem Zeit. Zeit, so fürchtet Ahmed, die seine Frau möglicherw­eise nicht hat.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Familie Albaram in Lichtenber­g
Foto: nd/Ulli Winkler Familie Albaram in Lichtenber­g

Newspapers in German

Newspapers from Germany