Bürokratie lässt Geflüchtete im Stich
Der Fall der behinderten Marhaba aus Afghanistan wirft ein Schlaglicht auf die Kaltschnäuzigkeit der Behörden
Im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) werden Entscheidungen getroffen, die für Asylsuchende unter Umständen lebensbedrohlich sein können.
Marhaba ist vier Jahre alt. Aufgrund einer Infektion kann sie nicht richtig laufen, hat Probleme beim Schlucken. Die Eltern müssen stets auf ihre Körperhaltung achten. Dafür braucht sie Geräte, wie einen speziellen Kindersitzstuhl zum Essen oder eine behindertengerechte Badewanne zum Waschen. Die Eltern sind aus Afghanistan geflohen. Der Vater war Lehrer an einer Mädchenschule, bis die Taliban ihm verboten zu arbeiten und ihn fortjagten. Bei der Einreise der Eltern nach Deutschland wurde die Kostenübernahme der für Marhaba lebensnotwendigen Möbel vom LAGeSo abgelehnt. Mehrmals musste das kleine Mädchen in der Folge ins Krankenhaus eingeliefert werden, da sie sich immer verschluckte.
Zuständig für diesen und andere Fälle dieser Art ist die Zentrale Medizinische Gutachtenstelle (ZMGA) des LAGeSo. In den Büros in der Turmstraße entscheiden täglich Mediziner über Anträge und das damit verbundene Schicksal der Patienten, ohne diese jemals in Augenschein genommen zu haben. Dabei sind die durch solche Fehlentscheidungen bedingten Kosten der Folgeerkrankungen oftmals gravierend höher, obwohl sie in den meisten Fällen hätten verhindert werden können, wie der Fall der kleinen Marhaba zeigt. Das LAGeSo wollte sich zu dem konkreten Fall am Montag noch nicht äußern. Generell wird nach Aktenlage entschieden, »nur in schwierigen Fällen wird vorgeladen«, sagte Pressesprecherin Silvia Kostner dem »nd«.
Doch der Fall des Mädchens aus Afghanistan ist wohl kein Einzelfall. So hat Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat im Oktober vergangenen Jahres in einer Stellungsnahme zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung Fälle verweigerter und verschleppter Hilfe bei Krankheit auf- gelistet. Konkret heißt es in dem Text: »Das Verständnis der Krankenhilfe nach Paragraf 4 und 6 AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz, Anm. d. R.) bei Sozialbehörden und Gerichten zeigt strukturelle Mängel auf.« »Dass das LAGeSo mit der momentanen Lage überfordert ist, ist kein Geheimnis«, sagt Martina Mauer vom Flüchtlingsrat. Zwar haben alle Asylsuchenden ein Recht auf medizinische Hilfe, benötigen dafür aber einen Papierkrankenschein, der beim LAGeSo ausgegeben wird. »Das Problem sind die langen Wartezeiten«, sagt Mauer. »Für das Stück Papier müssen die Menschen oft mehrere Stunden warten.« Hinzu kommt, dass die Krankenscheine nur ein Quartal gültig sind. Auch müssten spezielle Leistungen, wie beispielsweise stationäre Behandlungen, Hilfen für Behinderte und Reha vom LAGeSo gesondert genehmigt werden. »Uns sind Fälle bekannt, in denen behinderte Kinder monatelang auf ihren Rollstuhl warten, oder Fälle, in denen bereits vereinbarte OP-Termine abgesagt werden müssen, weil die ZMGA eine Kostenübernahme noch nicht bestätigt hat«, sagt Mauer.
Abhilfe soll nun eine Krankenversicherten-Chipkarte nach Bremer Vorbild schaffen. In Bremen erhalten Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seit 2005 eine Chipkarte. Die Versicherung erbringt hier auf Grundlage eines Vertrags mit der Sozialbehörde die Leistungen, für die vorher noch das Amt zuständig war. In Berlin soll laut Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ein ähnliches Modell übernommen werden. Insbesondere für Mediziner soll die neue Karte eine Erleichterung in der Abrechnung mit sich bringen. Auch werden Asylbewerber gesetzlich Versicherten weitgehend gleichgestellt, Personal kann eingespart werden und Stigmatisierung Praxen und Krankenhäusern könnte umgangen werden. Das zumindest zeigen laut Flüchtlingsrat Erfahrungen aus Bremen und Hamburg.