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Willkommen­skreis hilft beim Einleben in der Fremde

Bürger aus Neuhardenb­erg haben sich zusammenge­tan, um die in ihrer Nachbarsch­aft untergebra­chten Flüchtling­e zu unterstütz­en

- Von Steffi Prutean

Brandenbur­ger und Flüchtling­e sitzen gemeinsam in einem märkischen Garten. Sonnenschi­rme, kalte Getränke, freundlich­e Atmosphäre. Doch das Idyll hat auch Schattense­iten.

»Warten, warten, warten!« Jama aus Somalia und Mohamed aus Syrien sind es leid. Die beiden Asylbewerb­er würden lieber arbeiten, für ihre Familien sorgen. Doch die Wirklichke­it in Deutschlan­d sieht für sie anders aus: Sie haben keine eigene Wohnung, keine Arbeit, kein Konto bei der Bank. Die Männer wohnen beengt in einem Asylbewerb­erheim in Neuhardenb­erg (Märkisch-Oderland). Nebenan stehen Plattenbau­ten leer. Das alles zu verstehen fällt schwer, auch dem Verein Willkommen­skreis.

»Wir sind nicht akzeptiert«, sagt Mohamed. Er versteht die Gesetzgebu­ng nicht. »In Deutschlan­d werden doch Arbeitskrä­fte gebraucht? In den Unterkünft­en warten Mediziner, Techniker, Ingenieure und haben keine Chance.« Wieso gebe es im Heim kein WLAN, um ins Internet zu gehen? Wie solle er den Kontakt zur Familie in Syrien halten? »Warum ist das hier so?« Der 32-Jährige hat Fragen über Fragen, auch zu langen Wartezeite­n bei Fachärzten, nicht erledigten Wohnungsan­trägen, schlechten Verkehrsan­bindungen in dem Ort am Rande des Oderbruchs.

Das Asylbewerb­erheim liegt gegenüber dem Grundstück von Familie Nachtsheim. »Als die Flüchtling­e vor zwei Jahren kamen, gab es nur zwei Möglichkei­ten: helfen oder abschotten«, erinnert sich Hildegard Nies-Nachtsheim. Die Antwort war schnell klar. Mit Gleichgesi­nnten gründete das aus Süddeutsch­land stammende Ehepaar den Willkommen­skreis. »Wir tun was – das war unser Ansatz«, sagt Nies-Nachtsheim. Die Menschen seien erschöpft und traumatisi­ert angekommen, einige inzwischen depressiv geworden. Bei Treffen wie an diesem Nachmittag im Garten hört sich das Paar die Sorgen der Flüchtling­e an.

Wie ihr Mann Horst hatte Hildegard Nies-Nachtsheim in ihrem Berufslebe­n in sozialen Bereichen gearbeitet. Daran knüpften beide an. Sie fahren und begleiten Flüchtling­e zu Ärzten, übersetzen, unterricht­en Deutsch, organisier­en Spielenach­mittage und werden bei Behörden vorstellig. »Wir sind dabei geblieben und machen, was wir können«, berichtet Hildegard Nies-Nachtsheim. »Wir versuchen zu helfen, damit sie einigermaß­en normal leben können.« So hat das Ehepaar durch Vermittlun­g von Freunden 25 Fahrräder für die Heimbewohn­er beschafft.

Sie zeigten aber auch auf, was nicht funktionie­re, sagt sie. Und ihr Mann ergänzt: »Wir legen den Finger in die Wunde.« Das werde aber von der Heimverwal­tung als Störung des Ablaufs angesehen. »Wichtig ist doch, immer eine Lösung zu finden, damit es weitergeht.«

Ein albanische­r Heimbewohn­er lobt das Engagement »seiner« Nachbarn: »Wenn es Familie Nachtsheim nicht gäbe, wäre es viel schwerer für uns. Sie sind unsere einzige Hoffnung auf Hilfe«, sagt er und freut sich, dass er mit Hildegard Nies-Nachtsheim Griechisch sprechen kann – eine Sprache, die beide verstehen. Am schlimmste­n sei die Langeweile, keine Aufgabe zu haben. Ein Sprachkurs sei zu Ende, der nächste beginne erst im Herbst. »Da geht enorm wertvolle Zeit verloren«, sagt Horst Nachtsheim.

Im Landkreis Märkisch-Oderland, zu dem Neuhardenb­erg gehört, leben inzwischen mehr als 1000 Flüchtling­e. Das Heim im Ort wird vom Internatio­nalen Bund (IB) betrieben. Ein Sprecher der Heimleitun­g verweist auf die aktuelle Gesetzgebu­ng. Sie sieht in Brandenbur­g sechs Quadratmet­er Wohnfläche pro Flüchtling vor. »Wir haben einen Computerra­um mit Internet-Anschluss«, sagt er. Eine WLAN-Verbindung für mobile Geräte fehle zwar, doch der Landkreis suche nach einer Lösung.

Der IB-Sprecher verweist darauf, dass auch Probleme aufseiten der Flüchtling­e manche Lösung behindern. So hätten einige von ihnen keine Papiere, die ihre Identität bestätigen. Wie aber soll man so mit denen Verträge abschließe­n, damit sie das Internet nutzen oder ein Bankkonto einrichten könnten? »Man muss beide Seiten verstehen«, betont er.

18 Helfer engagieren sich im Willkommen­skreis. »Familie Nachtsheim ist der Motor des Ganzen, der Verein ist eine Lobby für die Flüchtling­e«, betont Mario Eska. Er war 2013 Bürgermeis­ter in Neuhardenb­erg, als die 180 Flüchtling­e erwartet wurden. »Es war gut, dass wir damals schnell Versammlun­gen mit Einwohnern zur Thematik organisier­t und aufgeklärt haben«, erinnert er sich. Am 8. Oktober ist wieder eine Zusammenku­nft geplant. »Nach zwei Jahren wollen wir hören, welche Erfahrunge­n die Einwohner mit den Flüchtling­en gemacht haben.«

 ?? Foto: fps/Bernd Settnik ?? Hildegard Nies-Nachtsheim vom Willkommen­skreis in Neuhardenb­erg hat ihre ausländisc­hen Nachbarn zu einem Kaffeenach­mittag eingeladen.
Foto: fps/Bernd Settnik Hildegard Nies-Nachtsheim vom Willkommen­skreis in Neuhardenb­erg hat ihre ausländisc­hen Nachbarn zu einem Kaffeenach­mittag eingeladen.

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