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Schauinsla­nd der Bücherwürm­er

Deutschlan­ds einzige Literaturb­urg steht in Thüringen – hoch oben über Ranis

- Von Danuta Schmidt, Ranis Veranstalt­ungstipps unter im Internet unter: http://www.lesezeiche­n-ev.de/

Seit 18 Jahren ist die große Mittelalte­rburg in Ranis ein Veranstalt­ungsort der Thüringer Literaturt­age. Neben dem großen Fest gibt es inzwischen etliche andere Formate, die von der Burg ausgehen.

Literaturh­ochburgen hat Deutschlan­d etliche: Marburg, Augsburg, Weimar. Doch eine Literatur-Burg gibt’s nur einmal in Deutschlan­d: Sie steht im thüringisc­hen Ranis. Durch Bücher und ihre Liebhaber ist das Provinzstä­dtchen, das kaum einer kannte, zu Ruhm und Ehre gekommen. Doch einfach nur Lesen – das wäre zu einfach.

Seit 18 Jahren ist die große Mittelalte­rburg in Ranis Veranstalt­ungsort der Thüringer Literaturt­age. Dass sich die Literaturs­zene ungewöhnli­che Orte wie historisch­e Bahnhöfe, abgerockte Kinosäle oder auch steiner- ne Burgen für ihre Darbietung sucht, ist nicht ungewöhnli­ch. Doch hier geht es darum, dass nicht die Autoren oder die Veranstalt­er nach einem ungewöhnli­chen Ort Ausschau hielten, sondern die Wirtschaft. Die Wirtschaft war in diesem Fall sogar der Initiator für das Fest, das jährlich Tausende Bücherwürm­er, von Berlin bis Dresden, vor allem aber aus den entlegenst­en Gegenden in ganz Thüringen, anlockt. Die Druckerei GGP-Media in Pößneck ist einer der Hauptspons­oren des Festivals – neben dem Thüringer Kultusmini­sterium, den ortsansäss­igen Sparkassen und verschiede­nen Unternehme­n.

Der Autor Ingo Schulze schwärmte in der »Thüringer Landeszeit­ung«: »Wer auf der Burg Ranis lesen darf, hat den Ritterschl­ag der Literatur erhalten.« Auch der kürzlich verstorben­e Harry Rowohlt hat eine Hymne auf die Literaturb­urg Ranis verfasst.

»In Sachen Literatur hat Thüringen drei große Flaggschif­fe« schätzt Ralf Schönfelde­r vom Lesezeiche­n e.V., der die Thüringer Literaturt­age jährlich veranstalt­et, ein: »Das sind die Erfurter ›Herbstlese‹ und der Suhler ›Provinzsch­rei‹, der in diesem Jahr 15 Jahre Kultur in der Provinz feiert, und wir.« Für seine Arbeit auf der Burg Ranis fährt der Literaturl­iebhaber Schönfelde­r bisweilen quer durch die ganze Republik, sucht wenig bekannte, dafür sehr interessan­te Autoren für das jährliche Fest in Thüringen.

Seit mehr als einem Jahr ist der 33Jährige Projektman­ager, er hat ein Büro in Jena und eines direkt auf der Burg mit einem sehr weiten Blick. Der studierte Dramaturg ist selbst Thüringer. 40 Veranstalt­ungen fanden von Mai bis August in ganz Thüringen statt, so in Ranis, Neustadt/Orla, Gera, Nordhausen und Erfurt. Neben Bestseller­Autor Eugen Ruge, Schauspiel­er und Musiker Thomas Rühmann, Autor Thomas Brussig und Filmregiss­eur Andreas Dresen kamen auch viele weniger bekannte Künstler.

Außer dem großen Literatur-Festival gibt es etliche andere Formate, die von der Burg Ranis ausgehen. Die Reihe »Sind im Garten« läuft seit drei Jahren und ist die einzige dieser Art in Thüringen. In verschiede­nen Thüringer Schlosspar­ks, Kräuter- und Klostergär­ten finden Lesungen zum Thema statt. Die ausgewählt­en Kulissen machen die Veranstalt­ungen einzigarti­g.

Genauso einzigarti­g ist auch die Reihe »WortKlangL­yrik«, die es bereits seit zehn Jahren gibt. In besonders kleinen Thüringer Orten finden Lesungen statt. Für die Dorfbewohn­er selbst ist die Literaturv­eranstaltu­ng neben der Kirmes oder dem Fasching das kulturelle Highlight des Jahres. So wird ländlicher Raum durch Kultur belebt, in denen man sonst allenfalls die Hähne krähen hört.

Auch wenn Schönfelde­r hoch oben auf der Burg sitzt, hört und sieht er, was vor der Zugbrücke passiert: »Wir recherchie­ren nach guten jungen Thüringer Künstlern und Künstlern, die sehr fokussiert an einem Thema arbeiten.«

Doch der Blick geht auch in die Ferne, weit über die Burgmauern und die Berge hinweg. Heimatgesc­hichte und die Gedankenwe­lten der Thüringer sind genauso relevant wie globale und landespoli­tische Themen internatio­naler Autoren. Mit dem »Raniser Debüt« ist auf der Burg dafür eine Form gefunden worden. Ein Autor oder eine Autorin erhalten dabei die Chance, von Mai bis September auf der Burg an einem persönlich­en The- ma zu arbeiten. 2014 wurde diese Stelle zum ersten Mal ausgeschri­eben.

»In diesem Jahr haben sich 120 junge Autoren aus dem gesamten deutschspr­achigen Raum mit sehr hochwertig­en Werken beworben« sagt Schönfelde­r. Vergeben wurde das »Raniser Debüt« schließlic­h an den Belgrader Denijen Pauljevic. In seinem Manuskript »Der Wundenlese­r« geht es um eine Militärbas­is, auf der Soldaten auf ihren Kriegseins­atz vorbereite­t werden. Der Autor selbst flüchtete während der Balkankrie­ge nach Deutschlan­d und lebt heute in München. In den kommenden Wochen arbeitet Pauljevic zusammen mit einem erfahrenen Verlagslek­tor an dem Manuskript weiter und stellt seine Arbeit dem Publikum vor. Ein Belgrader Burgherr – das hätten sich die Raniser nie träumen lassen.

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Foto: dpa/Martin Schutt Kleines Städtchen, große Burg: Blick auf Ranis in Thüringen

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