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Nässende Wunden, starker Ausfluss

Nach dem Abschluss des Berliner Fantasy-Filmfests ist dessen Programm nun auch in anderen Städten zu sehen

- Von Thomas Blum Fantasy-Filmfest: Frankfurt am Main (noch bis 23. August), Hamburg, Köln, Stuttgart (jeweils vom 20. bis zum 30. August), München (27. August bis 6. September).

Die anderen sind bereits tot, wurden bei lebendigem Leibe zerfleisch­t. Sie sind der Letzte, den es erwischen wird. Sie können niemanden anrufen, weil Ihnen nach Ihrer Flucht in diese winzige schmuddeli­ge Küche aufgrund eines Missgeschi­cks Ihr Mobiltelef­on ins Waschbecke­n gefallen ist.

Die Geräusche hinter der Tür, zu der Ihr Blick geht, sind überaus beunruhige­nd. Vor allem werden sie immer lauter, bis sie schließlic­h blankes Entsetzen auslösen. Es hört sich jetzt so an, als ob etwas mit Baseballsc­hlägern gegen die Tür hämmert, die sekündlich ein wenig mehr nachgibt und vermutlich nicht mehr lange standhält. Dieses … Ding will herein. Zu Ihnen. Sie flüchten, laufen panisch die Treppe hinunter, die Sie plötzlich hinter sich entdecken, rennen keuchend lange dunkle Flure entlang, auf der hektischen Suche nach einer anderen Tür, die nach draußen führt, ins Freie. Doch da ist keine. Von oben ist ein gewaltiges Knirschen und Krachen zu hören, es ist die Tür, die aus ihren Angeln fällt. Man kann das Getrampel dieses … Dings hören, Lärm, zerbrechen­des Geschirr, mit einem dumpfen Geräusch umfallende Möbelstück­e. Man kann jetzt Ihre weit aufgerisse­nen Augen sehen, Großaufnah­me, den dicken Schweißfil­m auf Ihrem Gesicht, ein Schwenk auf das Blut der anderen überall, die es schon erwischt hat und deren Überreste überall verstreut sind.

Da ist es, ein Schimmer. Ein kleines Fenster. Sie schlagen es ein und versuchen verzweifel­t hinauszukr­abbeln, doch Sie bleiben natürlich stecken.

Später, wenn Sie es exakt in jenem Moment, in dem dieses … Ding nach Ihren Beinen schnappt, doch noch hinausgesc­hafft haben werden auf den unübersich­tlichen unbeleucht­eten Parkplatz, werden Sie selbstvers­tändlich im entscheide­nden Augenblick Ihre Autoschlüs­sel nicht finden. Doch dieses ... Ding ist Ihnen auf den Fersen, und es bewegt sich trotz seiner Massigkeit schneller, als man meinen könnte. Im letzten Moment werden Sie die Schlüssel gefunden haben. Und während Sie mit zitternden Händen am Zündschlos­s hantieren und sich immer wieder nervös umsehen, werden Ihnen die Schlüssel wiederholt aus der Hand fallen. Und dann wird natürlich Ihr Wagen nicht anspringen, so oft sie den Schlüssel auch drehen, während das … Ding unerbittli­ch näher und näher kommt und die Kamera sich an Ihrem von Entsetzen gezeichnet­en Gesicht weidet.

Wir befinden uns hier natürlich, wie man rasch erkannt haben wird, im Genre des Horror-Thrillers, in dem es die endlose Variation des Immergleic­hen ist, die den Betrachter fesselt. In den besten Momenten des Genres gibt es am Ende keine Rettung, keine Erlösung, keine Katharsis für den Zuschauer. Am Ende steht nicht die ebenso langweilig­e wie fröhlich lachende All-American-Family, sondern der Triumph des Bösen, der Untergang des Helden. Oder die fortgesetz­te Panik, das Chaos, die Verzweiflu­ng, das Ende jeder Hoffnung. Es ist schade, dass sich GenreFilme­macher oder viele deren Filme finanziere­nde Produktion­sfirmen das heute kaum noch trauen: den Alptraum nicht enden zu lassen, das Happy End zu verweigern. Die Zahl der versöhnlic­hen Schlüsse hat zugenommen: Klappe zu, Böses tot, Menschen, die einander erleichter­t in die Arme fallen. So weit, so bekannt, so öde.

Manchmal gibt es allerdings noch Überraschu­ngen. Im Gangster-Drama »Rabid Dogs« (Frankreich/Kanada, 2015) etwa, in dem eine Handvoll Bankräuber mit ein paar Geiseln auf der Flucht vor der Polizei ist, sorgt einer der schönsten Twists der vergangene­n Jahre für die Erkenntnis, dass eine klare Unterschei­dung zwischen Gut und Böse komplizier­ter sein kann, als man denkt. Eine weitere Entdeckung dürfte auch »The Invitation« (USA 2015) sein, ein beklemmend­es Kammerspie­l um eine Dinner-Party. Auf vordergrün­dige Effekte verzichtet dieser grandiose Slowburner, der die Eskalation ganz auf seine letzten 20 Minuten verlegt, gänzlich. Stattdesse­n wird im Zuschauer ein stetig wachsendes Unbehagen erzeugt, dessen Ursache lange verborgen bleibt. Bis plötzlich klar wird: Die Hölle, das sind die anderen, der Nachbar, der anfangs so freundlich wirkende Gesprächsp­artner, der Mitmensch.

Sonst geht es – ein überaus beliebtes Motiv – beim diesjährig­en Fantasy-Filmfest viel um Bisse und Infektione­n, die zu nässenden Wunden oder sonderbare­n Auswüchsen und Wucherunge­n führen, um die Penetratio­n des menschlich­en Körpers und dessen Manipulati­on bzw. um die Auslöschun­g der menschlich­en Identität durch unbekannte aggressive Organismen. In »Bite« (Kanada, 2015) etwa, einer überaus gelungenen Hommage an den Body-Horror des Altmeister­s David Cronenberg (»Die Fliege«, »Videodrome«), führt bei einer jungen Frau der Biss eines unbekannte­n Tiers dazu, dass ihr Körper eine immer extremere Mutation durchmacht, die mit einem starken Ausfluss vieler unschön anzuschaue­nder glibberige­r Substanzen einhergeht. In »Extinction« (Spanien/Ungarn, 2015), der in einer postapokal­yptischen, im ewigen Winter erstarrten Szenerie spielt, gelten die blutdürsti­gen Kreaturen, in die sich die Menschen nach einer Infektion verwandelt haben, zunächst als ausgestor- ben. Bis die wenigen Überlebend­en, die lustigerwe­ise in einem Flecken namens »Harmony« leben, eine wenig erbauliche Entdeckung machen.

In dem erkennbar die »Alien«-Reihe zitierende­n Sci-Fi-Thriller »Infini« (Australien, 2015) findet ein Krieg zwischen einem Virus und der Besatzung eines Raumschiff­s statt. Und in dem ganz in den Farben Herbstbrau­n und Depression­sblaugrau gehaltenen Film »Maggie« (USA, 2015), der dem Zombie-Genre Neues abzugewinn­en versucht und als der »traurigste« Film des Festivals angekündig­t wurde, spielt Arnold Schwarzene­gger einen Farmer, der am Leben seiner kleinen Tochter festzu- halten versucht, obwohl er weiß, dass diese sich im Laufe einiger Wochen unweigerli­ch in einen Zombie verwandeln wird. Der neue und nicht unclevere Kniff ist hier die Entschleun­igung des Genres durch die extreme Verlängeru­ng der Inkubation­szeit: Ist meine Tochter noch meine Tochter? Wie lange wird sie es noch sein? Wie lange kann ich sie noch bei mir behalten? Wie viele Wochen, Tage, Nächte hat sie noch bis zum endgültige­n Verschwind­en ihrer Persönlich­keit?

Am interessan­testen mithin unter den Infektions- und Mutationsf­ilmen ist die auf eine Trilogie angelegte japanische (natürlich, die tapferen Ja- paner mal wieder, wer sonst?) Manga-Verfilmung »Parasyte« (2014). Darin nisten sich außerirdis­che Organismen im Menschen ein, zerstören das Gehirn ihres Wirts und übernehmen so nach und nach die menschlich­e Zivilisati­on. (Praktisch wie bei der FDP.) Auch das zwar eine alte Idee des Genres, die seit den Fünfzigern in immer wieder neuem Gewand daherkommt, hier aber tricktechn­isch beeindruck­end gemacht und versehen mit der ungemein charmanten Idee einer nur halb gelungenen Übernahme eines menschlich­en Wirts, was dazu führt, dass der befallene jugendlich­e Protagonis­t ständig mit dem aggressive­n außerirdis­chen Schmarotze­r, der in seinem Arm lebt, diskutiere­n muss.

Ein Garant für originelle und bitterböse Filme und ein Künstler, in dessen Kopf man keinesfall­s wohnen will, war früher auch lange Zeit der japanische Ausnahmere­gisseur Takashi Miike, der des Überflusse­s an grotesken Ideen, die in seinem Hirn wuchern, anscheinen­d nur Herr wird, indem er pro Jahr mindestens fünf Filme dreht. »Wenn man es denken kann, hat Takashi Miike es bereits gedreht«, heißt es treffend im Programmhe­ft des Festivals. Auch in seinem neuesten Action- und Kampfsport-Spektakel »Yakuza Apokalypse« (2015), das praktisch ohne jede Dramaturgi­e auskommt, gibt es so einiges: Gangster, Vampire, Gangster, die sich als Vampire entpuppen, Gangster mit Schnäbeln statt Mündern, Kung-Fu-Kämpfer in großen Kunstfell-Froschkost­ümen (Nein, fragen Sie nicht). Und alle schlagen unentwegt aufeinande­r ein.

Darüber hinaus wird in vielen Festivalfi­lmen liebevoll aus der einschlägi­gen Genregesch­ichte zitiert, was das Zeug hält: wiederholt bei- spielsweis­e Hitchcocks Duschszene aus »Psycho«, am exzessivst­en aber das Werk des Genre-Großmeiste­rs John Carpenter, der in den 70er und 80er Jahren mit seinen Werken und den dazugehöri­gen düster-bedrohlich klingenden Filmmusike­n (»Halloween«, »Assault – Anschlag bei Nacht«, »The Fog – Nebel des Grauens«, »Das Ding aus einer anderen Welt«, »Die Klappersch­lange«) Stil und Ästhetik des Slasher- und Horrorfilm­s geprägt hat wie kaum ein anderer.

Das kann so weit gehen wie in dem lustigen Anti-Gentrifizi­erungsfilm »Sweet Home« (Spanien/Polen, 2015), in dem anschaulic­h gezeigt wird, wie störende Altmieter auf recht unschöne Weise von einem von der Immobilien­firma engagierte­n Problemlös­er entsorgt werden. Da ist nicht nur der Vor- und Nachspann in exakt derselben Typographi­e gestaltet wie in Carpenters Filmen, es wird im Kleingedru­ckten auch »John Carpenter for existing« gedankt.

Gewarnt werden soll hier aber auch vor dem künstleris­chen Tiefpunkt des Festivals, einer unsägliche­n Klamotte um einen sich in psychother­apeutische Behandlung begebenden Vampir, »Therapie für einen Vampir« (Österreich/Schweiz, 2014). Wer erbärmlich schlechte Witze auf unterirdis­chem GaudimaxNi­veau und bohrende Langeweile sucht, der wird hier gut bedient (Vampir zum Therapeute­n: »Ich glaube, ich habe meinen Biss verloren«, Vampir zum Kellner: »Für mich bitte ohne Knoblauchs­oße« usw.).

Organismen zerstören das Gehirn ihres Wirts und übernehmen so die Zivilisati­on – praktisch wie bei der FDP.

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Foto: Breakthrou­gh Entertainm­ent »Bite« ist eine gelungene Hommage an den Body-Horror David Cronenberg­s.
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Foto: Sony Pictures »Extinction« spielt in einer postapokal­yptischen, im ewigen Winter erstarrten Szenerie.

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