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Gift wird abtranspor­tiert

Nach Unglück in Tianjin noch 70 Menschen vermisst

- Von Andreas Landwehr, Tianjin

Tianjin. Nach dem Explosions­unglück im Hafen der chinesisch­en Stadt Tianjin mit mindestens 114 Toten werden die giftigen Chemikalie­n geräumt. Die Bergungsar­beiten im Labyrinth von Containern, die durch die Druckwelle herumgewir­belt wurden, sind »sehr komplizier­t und schwierig«, wie Vizebürger­meister He Shushan am Montag sagte. Noch immer wurden 70 Menschen in den Trümmern vermisst, darunter 64 Feuerwehrl­eute.

Behälter mit rund 700 Tonnen der giftigen Chemikalie Natriumcya­nid, die nach offizielle­n Angaben zumeist unbeschädi­gt geblieben sind, sollten nach Angaben des Vizebürger­meisters bis Montagaben­d eingesamme­lt und wegtranspo­rtiert werden. Die Kanister seien weit geschleude­rt worden. Das Trümmerfel­d sei 100 000 Quadratmet­er groß.

»Sich im Explosions­gebiet zurechtzuf­inden, ist wegen brennender Chemikalie­n und verkantete­r Container, die jeden Moment wegbrechen können, extrem gefährlich«, sagte Wang Ke, Chef der Chemiespez­ialisten des Militärs. Am Montag ereignete sich erneut eine kleinere Explosion. Mehr als 3000 Helfer sind im Einsatz. Neue Gefahr droht durch Regen, der für Dienstag angekündig­t ist. Die Chemikalie­n reagieren teils heftig auf Wasser. Giftige Stoffe könnten in einen Fluss gelangen. An drei von 27 Messstatio­nen im Wasser wurden übermäßige Cyanidwert­e gemessen, die zum Teil das 24-Fache des erlaubten Wertes überschrit­ten, wie die Agentur Xinhua berichtete. In dem Gefahrgutl­ager waren auch Kaliumnitr­at und Ammoniumni­trat gelagert, das beides brandförde­rnd ist.

Feuerwehrl­eute räumten ein, dass sie mit Wasser gelöscht hätten, was bei Chemikalie­n explosive Reaktionen auslösen kann. Einer sagte, ihnen habe niemand gesagt, dass dort gefährlich­e Chemikalie­n lagerten, die nicht mit Wasser in Kontakt kommen dürften. In der Bevölkerun­g geht die Angst vor giftigen Stoffen in Luft und Wasser um. Auch wuchs der Ärger vor allem unter Anwohnern, deren Häuser teils schwer beschädigt wurden. Wiederholt kam es zu Protesten von Hausbesitz­ern und Angehörige­n von vermissten Feuerwehrl­euten.

Bei einem Besuch am Unglücksor­t mahnte Chinas Premier Li Keqiang, dass die Ursache der Katastroph­e eingehend untersucht und Verantwort­liche streng bestraft werden müssten. Nach Klagen empörter Familien über Ungleichbe­handlung der vom Hafenbetre­iber angeheuert­en Brandbekäm­pfer und der offizielle­n Feuerwehrl­eute, die in China zum Militär gehören, betonte er, alle hätte die gleiche Ehre verdient. Auch werde die gleiche Entschädig­ung gezahlt. Anfangs waren die vermissten freien Löschkräft­e nicht einmal mitgezählt worden, was Proteste auslöste.

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