Gift wird abtransportiert
Nach Unglück in Tianjin noch 70 Menschen vermisst
Tianjin. Nach dem Explosionsunglück im Hafen der chinesischen Stadt Tianjin mit mindestens 114 Toten werden die giftigen Chemikalien geräumt. Die Bergungsarbeiten im Labyrinth von Containern, die durch die Druckwelle herumgewirbelt wurden, sind »sehr kompliziert und schwierig«, wie Vizebürgermeister He Shushan am Montag sagte. Noch immer wurden 70 Menschen in den Trümmern vermisst, darunter 64 Feuerwehrleute.
Behälter mit rund 700 Tonnen der giftigen Chemikalie Natriumcyanid, die nach offiziellen Angaben zumeist unbeschädigt geblieben sind, sollten nach Angaben des Vizebürgermeisters bis Montagabend eingesammelt und wegtransportiert werden. Die Kanister seien weit geschleudert worden. Das Trümmerfeld sei 100 000 Quadratmeter groß.
»Sich im Explosionsgebiet zurechtzufinden, ist wegen brennender Chemikalien und verkanteter Container, die jeden Moment wegbrechen können, extrem gefährlich«, sagte Wang Ke, Chef der Chemiespezialisten des Militärs. Am Montag ereignete sich erneut eine kleinere Explosion. Mehr als 3000 Helfer sind im Einsatz. Neue Gefahr droht durch Regen, der für Dienstag angekündigt ist. Die Chemikalien reagieren teils heftig auf Wasser. Giftige Stoffe könnten in einen Fluss gelangen. An drei von 27 Messstationen im Wasser wurden übermäßige Cyanidwerte gemessen, die zum Teil das 24-Fache des erlaubten Wertes überschritten, wie die Agentur Xinhua berichtete. In dem Gefahrgutlager waren auch Kaliumnitrat und Ammoniumnitrat gelagert, das beides brandfördernd ist.
Feuerwehrleute räumten ein, dass sie mit Wasser gelöscht hätten, was bei Chemikalien explosive Reaktionen auslösen kann. Einer sagte, ihnen habe niemand gesagt, dass dort gefährliche Chemikalien lagerten, die nicht mit Wasser in Kontakt kommen dürften. In der Bevölkerung geht die Angst vor giftigen Stoffen in Luft und Wasser um. Auch wuchs der Ärger vor allem unter Anwohnern, deren Häuser teils schwer beschädigt wurden. Wiederholt kam es zu Protesten von Hausbesitzern und Angehörigen von vermissten Feuerwehrleuten.
Bei einem Besuch am Unglücksort mahnte Chinas Premier Li Keqiang, dass die Ursache der Katastrophe eingehend untersucht und Verantwortliche streng bestraft werden müssten. Nach Klagen empörter Familien über Ungleichbehandlung der vom Hafenbetreiber angeheuerten Brandbekämpfer und der offiziellen Feuerwehrleute, die in China zum Militär gehören, betonte er, alle hätte die gleiche Ehre verdient. Auch werde die gleiche Entschädigung gezahlt. Anfangs waren die vermissten freien Löschkräfte nicht einmal mitgezählt worden, was Proteste auslöste.