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Kein Frieden für Bewegte

Der »Friedenswi­nter« ist beendet, doch der harte Konflikt wirkt nach in der Bewegung

- Von Ines Wallrodt

Die Auseinande­rsetzung mit der »neuen« Friedensbe­wegung spaltet weiterhin die traditione­llen Anti-KriegsKräf­te.

Der Konflikt um die Mahnwachen hat der Friedensbe­wegung geschadet. Und schon kündigen sich neue Kontrovers­en um eine geplante Aktion gegen die US Airbase Ramstein an.

Weder die Russlandfr­age noch Afghanista­nausstieg oder Nahostkonf­likt haben die Friedensbe­wegung derart tief gespalten wie die Montagsmah­nwachen, die an den Aktionen unter dem Titel »Friedenswi­nter« beteiligt waren. Im Kern fanden dabei zwischen Dezember und Mai zwei Demonstrat­ionen in Berlin statt, mit jeweils rund 4000 Teilnehmer­n, parallel dazu besuchten sich Vertreter der beiden Spektren bei ihren Aktivitäte­n. Begleitet waren diese sechs Monate von heftigen internen Angriffen und vernichten­der Medienreso­nanz. Der Friedenswi­nter ist beendet, doch die Auseinande­rsetzung wirkt nach. Politische Freundscha­ften sind zerbrochen, neue Mobilisier­ungen gegen Kriegspoli­tik haben mit Misstrauen zu kämpfen.

Der Friedenswi­nter war aus Sicht seiner Unterstütz­er ein »Experiment«, ob es gelingt, neue Friedensak­tivisten, die seit Ausbruch des Ukrainekon­flikts in zahlreiche­n deutschen Städten gegen einen neuen OstWest-Konflikt demonstrie­rten, für die alte Friedensbe­wegung zu gewinnen. Dort gab es von Anfang an große Skepsis ob dieser neuen Partner, bis hin zu entschiede­ner Ablehnung. Die Kritiker warfen den Mahnwachen platte Kapitalism­uskritik und ein Sammelsuri­um von Verschwöru­ngsfantasi­en vor, Hauptgrund für die Ablehnung war aber der immer wieder durch einzelne Vorkommnis­se untermauer­te Vorwurf, die Mahnwachen würden sich nicht klar genug von Rechts abgrenzen.

Auf der anderen Seite stand die Selbstkrit­ik altgedient­er Friedenskä­mpen, die Bewegung sei zur geschlosse­nen Veranstalt­ung verkommen und müsse wieder alle Stimmen, die jeweils aktuelle Kriege ablehnten, umfassen – von links bis zu den Konservati­ven, so wie in den 1980er Jahren. Es sei möglich, diffuse Bewegungen positiv zu beeinfluss­en.

Die Kooperatio­n für den Frieden, die mit einer Aktionskon­ferenz im Oktober 2014 den Startschus­s für den Friedenswi­nter gegeben hatte, zog nach Abschluss der Kampagne die Reißleine. Sie will mit dem Mahnwachen­spektrum nicht mehr zusammenar­beiten und lieber einmal zu vorsichtig sein, als etwas Missverstä­ndliches zu tun. Der Dachverban­d von fast 60 Friedensor­ganisation­en – von VVN und DFG-VK über IPPNW bis hin zu Pax Christi – hatte mit Entsetzen wahrgenomm­en, dass er mit umstritten­en Veranstalt­ungen und rechten Positionen identifizi­ert wurde, selbst wenn er gar nicht Mitveranst­alter war.

Der Konflikt um die Mahnwachen hat der Friedensbe­wegung geschadet, das glauben beide Seiten und geben der jeweils anderen die Schuld. Reiner Braun, einer der wichtigste­n Köpfe der Friedensbe­wegung und einer der Sprecher der Kooperatio­n, bleibt dabei: »Es gibt viele vernünftig­e Leute dort, mit denen man zusammenar­beiten sollte.« Er ist bei zahlreiche­n Mahnwachen aufgetrete­n und hat die Überzeugun­g gewonnen, es lohne sich, um die 150 bis 200 jüngeren Aktionshun­grigen zu buhlen, die sich bei solchen Mahnwachen jeweils versammelt­en. »Sonst können wir in zehn Jahren den Laden dichtmache­n«, prophezeit er. Dann werde es nur noch hauptamtli­che Strukturen geben.

Doch es gibt Widerspruc­h: »Der Friedenswi­nter ist gescheiter­t«, sagt Martin Singe vom Grundrecht­ekomitee. Statt der alten Friedensbe­wegung Beine zu machen, wie es Braun vorschwebt, habe die Kampagne die Friedensbe­wegung gelähmt.

Lähmung oder Bewegung – bei kaum einem Thema lag man in der Friedensbe­wegung in der letzten Zeit so weit auseinande­r. Die meisten wünschen indes vor allem, dass nicht mehr an den Konflikt gerührt wird. »Die Sache ist durch«, sagt Singe. Andere sind ähnlich wortkarg. »Die Ak- tion Friedenswi­nter ist abgeschlos­sen«, teilt auch Pax-Christi-Vorsitzend­e Wiltrud Rösch-Metzler kurz angebunden mit.

Die Meinungen sind ausgetausc­ht. An den konträren Positionen wird sich nichts mehr ändern. Die Idee hat kei- ne Mehrheit in der Friedensbe­wegung gefunden. Verlierer sind Fürspreche­r wie Braun, der selbst zu einer Reizfigur geworden ist. Die Stimmung in der Kooperatio­n für den Frieden hat sich zwar wieder gebes- sert, doch will er im November nicht wieder als Sprecher kandidiere­n: »Das Jahr war hart«, sagt er. Verdauen muss er wohl auch, dass er, der sich seit Jahren für Frieden und Antifaschi­smus aufreibt, plötzlich als Rechter diffamiert wird.

Auch lokal ist die Auseinande­rsetzung noch immer spürbar. Manch einer meint deshalb, man solle das Friedensth­ema lieber zwei Jahre ruhen lassen, damit sei »nach dieser Geschichte« kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Linke, die den Friedenswi­nter unterstütz­t haben, berichten von Misstrauen und Verdächtig­ungen. So gibt es seit etwa einem Jahr die eigentlich­e Mahnwache in Leipzig nicht mehr, wer heute in der Stadt etwas organisier­en will, hat es jedoch schwerer als früher, meint Mike Nagler von Attac Leipzig, der auch schon für die LINKE kandidiert hat und die Mahnwache der neuen Aktivisten gemeinsam mit anderen alteingese­ssenen Initiative­n unter- stützte. Selbst in der Mobilisier­ung für den bevorstehe­nden Antikriegs­tag wird ihm »Rechtsoffe­nheit« unterstell­t, gar »Querfronta­mbitionen«. Nagler sieht darin eine Verleumdun­gskampagne gegen die ohnehin kleine Friedensbe­wegung – getrieben von interessie­rten Kräften. Inzwischen wird es schon im Internet angeprange­rt, wenn Attac Reiner Braun zu einer Veranstalt­ung einlädt. Als wäre der ein Nazi.

Die Kooperatio­n für den Frieden als Dachverban­d hält also Abstand. Doch hat die Idee hinter dem Friedenswi­nter durchaus noch Anhänger. Sie arbeiten in Personenbü­ndnissen zusammen und umgehen als »Koalition der Gutwillige­n« die Diskussion­en in Dachverbän­den.

Eines dieser Projekte soll die US Airbase Ramstein in Rheinland-Pfalz skandalisi­eren, die von zentraler Bedeutung für den völkerrech­tswidrigen Drohnenkri­eg der USA ist. Für den 26. September ist dort eine Ak- tion geplant, die eine gut vorbereite­te Kampagne mit einer Umzingelun­gsaktion von 25 000 Leuten als Höhepunkt einläuten soll. Den »Ramsteiner Appell« haben in den ersten drei Wochen mehr als 2000 Menschen aus Politik, Medien, Wissenscha­ft und Zivilgesel­lschaft unterschri­eben, darunter DFG-VK-Landesspre­cher wie der Stuttgarte­r Roland Blach, der Betreiber der Nachdenkse­iten, Albrecht Müller, LINKEChef Bernd Riexinger sowie der Berliner Vorsitzend­e der Piraten, Bruno Kramm – aber auch Aktivisten aus dem Mahnwachen­spektrum. Braun will denn auch zwischen alter Friedensbe­wegung und neuen Mahnwachen gar nicht mehr unterschei­den: »Das ist alles Friedensbe­wegung.« Die Neuzugänge nennt er den »aktionisti­schen Teil«.

Die Mahnwachen haben sich ausdiffere­nziert. Ein Teil ist auf Distanz gegangen und hat sich umbenannt. Die Gruppen heißen jetzt Occupeace, Agora oder Bildung für Friedensbe­wegung und grenzen sich inhaltlich und organisato­risch von bisherigen Führungsfi­guren wie Lars Mährholz oder dem Liebäugeln mit Pegida ab. Sie haben einen Koordinier­ungskreis gewählt, der rund 20 Gruppen vertritt. Nach dem Tagungsort eines Treffens firmieren sie unter dem Namen »Friedenskr­eis Wanfried«, was auch eine komische Note hat, werden die Mahnwachen doch von ihren Kritikern »Wahnmachen« geschimpft, eine Anspielung auf Verschwöru­ngstheoret­iker, die anfangs das öffentlich­e Bild dominierte­n.

Mit Chemtrails­pinnern will der Friedenskr­eis nicht mehr identifizi­ert werden. In seinem Grundsatzd­okument steht neben der Abgrenzung von Rechtsextr­emisten und Verschwöru­ngstheorie­n ein klares Bekenntnis zur Aufnahme von Flüchtling­en. Es soll weiter wöchentlic­h, aber nicht mehr montags demonstrie­rt werden. Darüber hinaus verstetige­n die Gruppen ihre Arbeit in Vereinen. Es sind diese Leute, in die alte Friedensbe­wegte wie Reiner Braun ihre Hoffnung setzen. »Die Führungsst­rukturen 2015 sind nicht mehr die von 2014«, betont er.

Jüngst stellten Berliner Bewegungsf­orscher eine Studie zu dem neuen Phänomen vor. Sie prognostiz­ieren das Auftreten weiterer ähnlicher Erscheinun­gen bei unterschie­dlichen Themen. Bewegungen, aber auch Parteien werden einen Umgang damit finden müssen. Vielleicht hatte die Friedensbe­wegung nur das Pech, zuerst damit konfrontie­rt zu sein. Sie hat sich mehrheitli­ch für das Ignorieren entschiede­n.

Inzwischen wird es schon im Internet angeprange­rt, wenn Attac Reiner Braun zu einer Veranstalt­ung einlädt – als wäre der ein Nazi.

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Foto: imago/Steinach Alles gefährlich­e Wirrköpfe? Friedensde­monstratio­n in Berlin, 13. Dezember 2014

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