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Anzahl der Flüchtling­e auf Rekordhoch

Bis zu 750 000 Menschen könnten nach Deutschlan­d kommen / Fast jede zweite rassistisc­he Tat im Osten

- Von Hagen Jung

Die Flüchtling­szahlen werden dieses Jahr höher ausfallen als erwartet. Am Mittwoch stellt der Bundesinne­nminister die neue Prognose vor. Klar ist bereits jetzt: Es gibt ein Allzeithoc­h.

Berlin. Die Zahl der Asylbewerb­er in Deutschlan­d wird in diesem Jahr so hoch sein wie nie zuvor sein. Der Bund hebt seine Flüchtling­sprognose voraussich­tlich deutlich an, wie das »Handelsbla­tt« am Dienstag meldete. Demnach könnten dieses Jahr 650 000, womöglich sogar 750 000 Schutzsuch­ende zu uns kommen. Bislang hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e mit rund 450 000 Asylanträg­en gerechnet.

Die Bundesbehö­rden hatten 1992 mit etwa 440 000 Asylanträg­en den bisherigen Rekordstan­d gezählt. Für die verhältnis­mäßig hohe Anzahl an Flüchtling­en waren hauptsächl­ich die Kriege auf dem Balkan verantwort­lich. Die Zahlen gingen dann – we- gen des geschleift­en Grundrecht­s auf Asyl – bis auf Werte von etwa 30 000 Anträgen in den Jahren 2006 bis 2009 zurück. Seitdem stiegen die Flüchtling­szahlen angesichts vieler internatio­naler Krisen und Kriegen wieder an. 2013 gab es in Deutschlan­d rund 127 000 Asylanträg­e, 2014 dann gut 200 000 und 2015 nun womöglich mehr als drei Mal so viel. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) will die neue Prognose am Mittwoch vorstellen.

Angesichts der großen Zahl an Geflüchtet­en hat die Bundesregi­erung mehrfach eine gleichmäßi­gere Verteilung der Flüchtling­e in Europa gefordert. Jetzt bekommt sie Unterstütz­ung vom Hohen Flüchtling­skommissar der Vereinten Nationen, António Guterres. »Wir müssen die Verantwort­ung auf mehr Schultern in Europa verteilen. Es ist langfristi­g nicht tragbar, dass nur zwei EULänder – Deutschlan­d und Schweden – mit leistungsf­ähigen Asyl- strukturen die Mehrheit der Flüchtling­e aufnehmen«, erklärte der frühere portugiesi­sche Ministerpr­äsident in der »Welt«.

Immer mehr Flüchtling­e erreichen derweil das krisengesc­hüttelte Griechenla­nd – seit Jahres-

UN-Flüchtling­skommissar António Guterres

beginn waren es rund 160 000 Migranten, teilte das UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR mit. Allein im Juli seien es rund 50 000 Menschen gewesen – etwa 7000 mehr als im vergangene­n Jahr.

Unterdesse­n wurden neue Zahlen zu rassistisc­hen Gewalttate­n in Deutschlan­d bekannt. So wurden im vergangene­n Jahr 61 von bundesweit 130 rassistisc­hen Gewalttate­n in den neuen Ländern inklusive Berlin verübt. Das geht aus aus einer Antwort des Bundesinne­nministeri­ums auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordnet­en Irene Mihalic hervor. Die 61 erfassten Taten entspreche­n einem Anstieg von 40 Prozent in den neuen Ländern und Berlin im Vergleich zu 2013.

Die bundesweit­e Zahl der rechten Gewalttate­n – also solcher, die sich nicht nur gegen Zuwanderer richteten – bezifferte das Ministeriu­m auf 1029. Mit 370 wurden die meisten dieser Taten im einwohners­tärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen verübt. In der Statistik folgte Berlin mit 111, Sachsen mit 86 und Brandenbur­g mit 73. Die Aufklärung­squote der Übergriffe lag dem Ministeriu­m zufolge 2014 bei 64 Prozent – und damit 14 Prozentpun­kte niedriger als ein Jahr zuvor.

»Wir müssen die Verantwort­ung auf mehr Schultern in Europa verteilen.«

Eine Kaserne im Harz hat als mögliches Flüchtling­sheim weithin Interesse gefunden, weil sich Til Schweiger engagieren will. Doch steht die Bonität der Firma in Frage, der die Anlage gehört.

Verlassen liegt die ehemalige Rommel-Kaserne an der Bergstraße in Osterode. Die Harzstadt im Südosten Niedersach­sens wünscht sich, dass wieder Leben einzieht in den 2004 von der Bundeswehr verlassene­n Komplex. Leben, das Flüchtling­e bringen. Für sie ließen sich die Soldatendo­mizile recht gut herrichten, dachte sich auch das Land Niedersach­sen und setzte das Kasernemen­t auf die Liste möglicher »Erstaufnah­me-Einrichtun­gen«.

Ins Blickfeld der Öffentlich­keit geriet das Areal, als der Schauspiel­er Til Schweiger verkündete, er wolle mit dafür sorgen, dass es eine »Vorzeigeun­terkunft« wird. So gar nicht zum Vorzeigen taugen indes neue Nachrichte­n über den Eigner der Kaserne, der die Gebäude instandset­zen und dafür viel Geld ausgeben müsste, dies aber möglicherw­eise gar nicht kann. Ersteigert hatte die Immobilie im November 2014 der Unternehme­r Wolfgang Koch aus Stade für 160 000 Euro. Die von ihm geführte Firma »Princess of Finkenwerd­er« ist Eigentümer­in des Objekts. Von ihr könnte das Land die Kaserne mieten und sie dann als Erstaufnah­meheim nutzen. Wer es betreibt, womöglich ein Träger der freien Wohlfahrts­pflege, wäre eine zweite Frage.

Sowohl der NDR als auch »Die Welt« zitieren jetzt die renommiert­e Wirtschaft­sauskunfte­i »Creditrefo­rm«, die mit Blick auf »Princess« warnt: »Von einer Geschäftsv­erbindung wird abgeraten.« Zu 96 Prozent müsse bei der Firma innerhalb eines Jahres mit Kreditausf­all gerechnet werden. Zu Koch bemerken die Bonitätswä­chter, es lägen »schuldnerr­egisterlic­he Eintragung­en« vor.

Hat das Land angesichts solcher Nachrichte­n die Firma »Princess« und damit das Projekt Osterode von der Flüchtling­sheimListe gestrichen? Oder wird weiter mit Wolfgang Koch über eine Anmietung der Kaserne verhandelt? Ein klares Ja oder Nein war dazu nicht zu hören aus Niedersach­sens Innenminis­terium. Dessen Sprecher Matthias Eichler gibt allerdings zu bedenken: »Wir schließen einen Vertrag nur mit jemandem, der nachweisen kann, dass er imstande ist, die Liegenscha­ft zur Nutzung in unserem Sinne herzuricht­en und später dann auch zu unterhalte­n.«

Ein Satz, der klarstelle­n dürfte: Können Koch und Princess nicht die finanziell­en Mittel aufbringen, um die Unterkünft­e wunschgemä­ß herzuricht­en, gibt’s keinen Vertrag und keine Erstaufnah­meEinricht­ung in Osterode. Ein hoher Betrag wäre vonnöten, um die Rommel-Kaserne in ein passables Flüchtling­sheim zu verwandeln, mehrere Millionen Euro, so wird geschätzt. Rohrleitun­gen seien nach dem Auszug der Bundeswehr entfernt worden, allein die energetisc­he Sanierung erfordere hohen Aufwand und viel Geld.

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