Rousseff in Bedrängnis
Der deutsche Multi konnte in Brasilien dank seiner Marktmacht bisher alle Korruptionsstrafen aussetzen lassen, ohne freigesprochen zu werden
Krise, Proteste – jetzt kommt auch noch die Kanzlerin nach Brasilien.
Mehrfach wurde Siemens brasilianische Tochter wegen Korruption für fünf Jahre von allen Staatsaufträgen ausgeschlossen. Immer wieder zieht der Multi mit Sitz in München seinen Hals aus der Schlinge.
Wieder einmal hat der brasilianische Bundesrichter Olindo Menezes ein umstrittenes Urteil gefällt. Wie Anfang August bekannt wurde, hob der Richter das Urteil vom Juni dieses Jahres auf, das Siemens Brasilien für die Dauer von fünf Jahren von allen Staatsaufträgen ausschloss. Es ging bei dem Bann um den Vorwurf der Korruption durch Siemens-Mitarbeiter bei Ausschreibungen der brasilianischen Post und Telekom zwischen 1999 und 2005. Dieser Ausschluss galt seit 2009 bereits mehrmals. Jedes Mal wurde dem Widerspruch von Siemens stattgegeben. So auch diesmal. Olindo Menezes argumentierte, der durch den Ausschluss drohende Schaden sei gegebenenfalls zu hoch, sodass er den Richterentscheid vorerst aufhebe, bis der Oberste Gerichtshof sich des Falles annehme.
Alle bisherigen Richterentscheide führten als Argument an, es gehe darum, »vom öffentlichen Gesundheitswesen (Brasiliens) Schaden abzuwenden«. Denn Siemens hat im Bereich bildführender Geräte in der Medizintechnik in Brasilien einen sehr hohen Marktanteil: Nach Angaben des Unternehmens stammen 30 Prozent aller Geräte wie Computer- und Magnetresonanztomografie in Brasilien von Siemens. Siemens selbst hatte in seiner Berufung vor Gericht eine Reihe von Krankenhäusern in den Bundesstaaten Amazonas, Bahia, Ceará sowie das Nationale Krebsinstitut namentlich erwähnt, deren Medizintechnik dringender Reparaturen durch Siemens bedürfe – und dies »ausschließlich nur durch Siemens«, wie der Konzern in seiner Stellungnahme wörtlich betonte.
»Der Schaden für Siemens und für das öffentliche Interesse im Gesundheitsbereich wird offensichtlich, vergegenwärtigt man sich angesichts der Siemens derzeit auferlegten Strafe die Unterversorgung bei Ausstattung und Instandhaltung öffentlicher Krankenhäuser, die vor allem große Teile der brasilianischen Bevölkerung in Mitleidenschaft zieht«, argumentierte Siemens vor Gericht. Es war also wieder die Marktmacht von Siemens in einem anderen Wirtschaftssektor, dem Gesundheitswesen, die die Richter davor zurückschrecken ließ, Siemens gleich ganz von öffentlichen Aufträgen abzuschneiden. Erneut erfolgte kein Freispruch von den Bestechungsvorwürfen an sich.
Bemerkenswert war zudem, dass Siemens in seiner Rechtseingabe erstmals auch von seiner Marktmacht im Energiesektor sprach: So brauche das Atomkraftwerk Angra 2 dringend »Ingenieurdienstleistungen zur Aktualisierung der Überwachung der zentralen Transformatoren des Kraftwerks, die nur durch Siemens ausgeführt werden« könnten. Hinzu komme, so Siemens, dass 50 Prozent des in Brasilien hergestellten und übers Netz verteilten Stroms durch Siemens-Equipment erfolge. Die Bedeutung von Siemens auch im Bereich der Infrastruktur für Brasilien sei daher »unleugbar«. Keine Erwähnung fand, dass Siemens über sein Joint-Venture mit dem Heidenheimer Unternehmen Voith, VoithHydro, die Turbinen für den Staudamm Belo Monte am Xingu-Fluss in Amazonien liefert.
Dem Bundesrichter Olindo Menezes, der nun Siemens erneut freigesprochen hat, ist dies ohnehin gut bekannt. Menezes war der erste Bundesrichter, der einen gegen Belo Monte verhängten Baustopp im März 2011 aufgehoben hatte. Der Baustopp war verhängt worden, weil die am Stau- dammbau beteiligten Firmen die Umweltauflagen nicht eingehalten hatten. Richter Menezes begründete seine damalige Entscheidung damit, dass er keine Notwendigkeit für die Einhaltung aller Auflagen sehe.
Derweil ist das ganze Ungemach in Brasilien für die Münchener noch nicht ausgestanden. Denn die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats von São Paulo hat wegen des U-Bahn-Kartells Entschädigungen in Millionenhöhe sowie die Auflösung von zehn Firmen, darunter Siemens Brasilien, gefordert. Seit Dezember 2014 ist dieser Prozess vor den brasilianischen Gerichten anhängig, Ergebnis offen.
Und die Verstrickungen von Siemens in die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985) bereiten dem Konzern weiteres Ungemach. Denn der Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission erwähnte Siemens als einen der multinationalen Konzerne, die auch das Folterzentrum Oban in São Paulo in den Bleiernen Jahren mitfinanziert hätten. Die diesbezüglichen Untersuchungen halten noch an.
Nach Angaben des Unternehmens stammen 30 Prozent aller Geräte wie Computer- und Magnetresonanztomografie in Brasilien von Siemens.