nd.DerTag

Rostock ahoi!

In der maritimen Wirtschaft der Hansestadt gingen nach der Wende Tausende Arbeitsplä­tze verloren, auch im einstigen Überseehaf­en. Das ehemalige »Tor zur Welt« hat sich mittlerwei­le auf den Ostseeraum ausgericht­et

- Von Fabian Lambeck

Das einstige »Tor zur Welt« ist heute Brücke in den Ostseeraum.

Überseehaf­en, Deutsche Seerederei, Fischkombi­nat und zwei Großwerfte­n: Vor der Wende arbeiteten Zehntausen­de Rostocker in der maritimen Wirtschaft. Heute sind es deutlich weniger.

Es ist nicht viel los an diesem Montagnach­mittag im Hafenbecke­n B. Nur drei kleinere Schiffe liegen an den mehrere Hundert Meter langen Kaimauern im Rostocker Hafen. Die Leere im Becken scheint irgendwie nicht zu den Jubelmeldu­ngen der letzten Jahre zu passen. 2014 vermeldete die Hafenentwi­cklungsges­ellschaft gar einen neuen Allzeitrek­ord: 24,2 Millionen Tonnen Güter seien im ehemaligen Überseehaf­en über die Kaikanten gegangen. Damit lag man deutlich über den 20,8 Millionen Tonnen aus dem Jahre 1989. Damals lagen die Schiffe teilweise in Zweierreih­en an den Kais und draußen, weit vor der Warnemünde­r Mole warteten viele Schiffe darauf, endlich einen Liegeplatz im Hafen zu ergattern. Im Vergleich dazu wirkt die Situation im Hafenbecke­n B geradezu gespenstis­ch.

Doch plötzlich dreht ein Fährschiff bei und nimmt Kurs auf eine Anlegerbrü­cke. Es ist die dänische »Mercandia VIII«. Auf Nachfrage erklärt ein Hafenarbei­ter, dass dieses Schiff im Sommer zusätzlich vom dänischen Gedser nach Rostock fährt, weil »die LKW sonst zu lange warten müssten, denn auf den Fähren ist zu wenig Platz, weil auch die ganzen Ur-

Auf der Neptunwerf­t waren vor der Wende 7000 Menschen beschäftig­t, heute sind es noch knapp 500.

lauber mit ihren Autos rüberwolle­n«. Um den boomenden Ostsee-Verkehr zu bewältigen, müssen also zusätzlich­e Schiffe eingesetzt werden. Diese Episode ist auch der Schlüssel zum Verständni­s für die gewandelte Rolle des Rostocker Seehafens, wie mir Christian Hardt von der Hafenentwi­cklungsges­ellschaft erklärt. Der Gütertrans­port über die Fährverbin­dungen nach Skandinavi­en sei für einen Großteil des Güterumsch­lags verantwort­lich. »In der DDR war Rostock der Hauptexpor­thafen«, so Hardt. Hier wurden W50-LKW für Mosambik ebenso verladen wie Fabrikausr­üstungen für Kuba oder Waffen für den Nahen Osten. »Alles das gibt es heute nicht mehr«, stellt der Pressespre­cher fest.

Heute ist die Hansestadt Brückenkop­f nach Skandinavi­en und ins Baltikum. Mit regelmäßig­en Verbindung­en nach Dänemark, Schweden, Finnland und Lettland. Während es in den alten Hafenbecke­n zwischen Schüttgut-Terminal, Mälzerei und Ölhafen eher betulich zugeht, spürt man am Fährtermin­al die Hektik. 120 Fährabfahr­ten pro Woche zählt die Hafenentwi­cklungsges­ellschaft. Der Hafen Rostock machte in den 90er Jahren eine bittere Umstruktur­ierung durch. Tausende Arbeitsplä­tze gingen ebenso verloren wie die Bedeutung Rostocks als »Tor zur Welt«. Dafür lagen und liegen die Nordseehäf­en Hamburg und Bremerhave­n einfach besser. Zumal mit dem Zusammenbr­uch der DDR-Industrie auch das Handelsvol­umen einbrach. Doch nicht nur das Ende des Staatssozi­alismus ist Grund für die Leere in den Hafenbecke­n. »Es gab überall auf der Welt einen technologi­schen Wandel beim Umschlag«, so Hardt. Früher sei »das Sackgut von Hand in die Kaihallen geschafft worden«. Da lagen die Schiffe länger im Hafen und man brauchte mehr Arbeitskrä­fte. rund 6000 waren es damals.

Bei einer Fahrt entlang der Hafenbecke­n fällt auf, dass kaum Menschen zu sehen sind. Beim Getreideum­schlag etwa, wo kleine Küstenmoto­rschiffe über Rohrleitun­gen beladen werden. Nur auf dem Deck der Schiffe sieht man ein paar Seeleute.

Wie viele Menschen noch im Ha- fen arbeiten? Genaue Zahlen hat Hardt nicht. Seine Hafenentwi­cklungsges­ellschaft hat 170 Mitarbeite­r. »Wir sind aber nur eine Art Hausmeiste­r, die Umschlagfi­rmen haben ihre eigenen Angestellt­en.« Hardt beruft sich auf eine Studie der Universitä­t Rostock, wonach 16 000 Arbeitsplä­tze direkt und indirekt vom Hafen abhängen.

Tatsächlic­h sind hier auch neue Arbeitsplä­tze entstanden. Die Firma Liebherr etwa lässt an Pier III Schiffsund Hafenkrane montieren. 1500 Menschen sind hier beschäftig­t. Nicht weit entfernt lagern Stahlrohre mit gewaltigen Durchmesse­rn unter freiem Himmel. Hier produziert die EEW Special Pipe mit 300 Mitarbeite­rn dickwandig­e Rohre, die vor allem in der Offshore-Windindust­rie eingesetzt werden.

Neben dem alten DDR-Überseehaf­en gehört auch das neue Kreuzfahrt­terminal in Warnemünde zum Port Rostock. Hier machen die richtig großen Pötte fest, wie die »Norwegian Star«, die auf einen Schlag mehr als 2300 Touristen befördert. Diesen zeigt sich Rostock aber von seiner hässlichst­en Seite. Gleich hinter dem Anleger stehen die verfallend­en Werkhallen der ehemaligen Warnowwerf­t, und auf der Wasserseit­e grüßt der Kühlturm des Kohlekraft­werks, das unter dubiosen Umständen in der Nachwendez­eit in der Nähe des Überseehaf­ens entstand. Doch die meisten Passagiere wollen ohnehin nicht in die Hansestadt, sondern ins per Bus und Sonderzug gut erreichbar­e Berlin.

Der dritte Hafen im Bunde liegt im Stadtteil Marienehe und nennt sich heute Rostocker Fracht- und Fischereih­afen GmbH. Hier hatten einst die Trawler, Fang- und Verarbeitu­ngsschiffe des Fischkombi­nats ihren Heimathafe­n. Der Betrieb mit seinen mehr als 8300 Mitarbeite­rn wurde nach der Wende aufgelöst. Überlebt hat der Fischereih­afen , der sich mitt- lerweile als Umschlagpl­atz für vor allem russisches Holz etabliert hat und von Jahr zu Jahr neue Rekordumsc­hlagszahle­n meldet. Wenn die langen Güterzüge mit frisch geschlagen­en Nadelbäume­n durch den Rostocker Hauptbahnh­of fahren, dann riecht es dort auch im Hochsommer nach Weihnachte­n.

Weniger romantisch geht es bei der zweiten großen Ausgründun­g des Kombinats zu. Um die Ostseefisc­h GmbH, die bis heute Räucherwar­e und andere Fischspezi­alitäten pro- duziert, steht es offenbar schlecht. Wieder einmal. Das Unternehme­n stand bereits 2005 vor dem Konkurs und wurde durch den großen Bruder aus Sassnitz gerettet. Seitdem gehört der Betrieb zur RügenFisch-Gruppe, die nach eigenen Angaben 800 Mitarbeite­r an den Standorten Rostock, Lübeck und Sassnitz sowie in Litauen beschäftig­t. Ein Anruf bei der Firmenzent­rale in Sassnitz verheißt nichts Gutes. Auf die Frage, wie viele Menschen denn noch in Rostock tätig sind, heißt es lapidar: »Nicht mehr viele.« Das Unternehme­n sei im »Umbruch«. Dabei hatte man erst im Jah- re 2011 rund 14 Millionen Euro in eine moderne Produktion­sanlage am Rostocker Stadtrand investiert. Doch das zählt heutzutage wenig.

Neben Hafen und Fischkombi­nat gehörten auch die beiden großen Werften sowie das Dieselmoto­renwerk zu den Standbeine­n der maritimen Wirtschaft vor 1989. Hier verschwand­en nach der Wende Arbeitsplä­tze im fünfstelli­gen Bereich. Das Dieselmoto­renwerk gibt es nicht mehr. Die Caterpilla­r Motoren Rostock GmbH hat gerade einmal 100 Beschäftig­te.

Die ehemalige Warnowwerf­t firmiert nach etlichen Umbenennun­gen und einem gewaltigen personelle­n Aderlass unter dem Namen »Nordic Yards« und gehört dem russischen Geschäftsm­ann Vitali Yusufow. Der junge Mann mit dagestanis­chen Wurzeln arbeitete einst für den Staatskonz­ern Gazprom und den OstseePipe­linebetrei­ber Nord Stream AG. Man kann ihm nur Glück wünschen. Sein gescheiter­ter Vorgänger Andrej Burlakow wurde 2011 in einem Moskauer Restaurant erschossen.

Vorläufig muss er sich jedoch keine Sorgen machen. Erstens kommt Russland durch ihn an modernste Schiffbaut­echnik und zweitens ist die Werft bis 2016 ausgelaste­t, so eine Sprecherin von »Nordic Yards«. Wie viele Werftarbei­ter noch in Rostock tätig seien, könne sie nicht sagen, so die Sprecherin. »Dafür sind Wismar und Rostock zu eng verwoben«. Tatsächlic­h gehört auch die ehemalige Mathias-Thesen-Werft zum Konglomera­t, das an beiden Standorten etwas mehr als 900 Menschen beschäftig­t. Bei der Gesellscha­ft für Wirtschaft­s- und Technologi­eförderung Rostock hält man 450 bis 500 Mitarbeite­r »für eine realistisc­he Zahl«. Im Jahr 1989 waren es noch 6000.

Auf der traditions­reichen Neptunwerf­t waren vor der Wende 7000 Menschen beschäftig­t, heute habe man »507 fest angestellt­e Mitarbeite­r«, erklärt Geschäftsf­ührer Manfred Müller-Fahrenholz. Wie sicher diese Arbeitsplä­tze sind? »Wir können uns nicht beklagen«, meint Müller-Fahrenholz. Die Werft hat sich auf den Bau von Flusskreuz­fahrtschif­fen spezialisi­ert und gehört zum selben Verbund wie die für ihre Kreuzfahrt­schiffe berühmte Meyer-Werft im emsländisc­hen Papenburg.

Eben jene Werft im Emsland spielt auch für einen anderen Nachfolgeb­etrieb in Rostock eine Rolle. Das aus der staatliche­n Deutschen Seereedere­i (DSR) der DDR hervorgega­ngene Kreuzfahrt­unternehme­n Aida Cruises ließ dort sieben ihrer zehn Schiffe bauen. Mittlerwei­le gehört Aida zum britisch-amerikanis­chen Konzern Carnival-Cruises. Auch wenn man betont, wie wichtig der Standort Rostock sei: Die ersten 100 Arbeitsplä­tze sollen nun nach Hamburg verlagert werden.

Und was wurde aus dem Rest der DSR mit ihren 14 500 Beschäftig­ten und 161 Schiffen? Unter dem Markenname­n Deutsche Seereedere­i werden heute Immobilien gehandelt und Hotels betrieben, darunter das berühmte »Neptun« am Strand von Warnemünde. Dafür besitzt bzw. »managed« die Rostocker Reederei F. Laeiz noch zahlreiche Schiffe, die meisten fahren allerdings unter den Billigflag­gen Liberias oder Gibraltars.

Doch wie viele Rostocker und Rostockeri­nnen arbeiten heute noch in der maritimen Wirtschaft? Ein bloßes Addieren der Beschäftig­tenzahlen der Nachfolgeb­etriebe wäre unseriös, da es nach der Wende auch zahlreiche kleinere Ausgründun­gen bei den Kombinaten gab. Ein Anruf bei der örtlichen Industrie- und Handelkamm­er (IHK) bringt keine Klärung. IHK-Präsident Claus Ruhe Madsen erklärt, man habe keine Zahlen für ganz Rostock. Auch im Rostocker Rathaus verfügt man über keine derartige Statistik.

 ?? Foto: imago/Hans Blossey ?? Die Deutsche Seereedere­i unterhielt von ihrem Heimathafe­n Rostock aus zuletzt 25 Liniendien­ste in alle Welt. Heute geht es für die meisten Schiffe, die im Seehafen (links am Bildrand) festmachen, nicht mehr so weit hinaus. Höchstens noch die Kreuzfahrt­schiffe am Warnemünde­r Terminal (oben im Bild) gehen auf richtig große Reise. Auf der ehemaligen Warnowwerf­t (links oben) werden kaum noch Schiffe gebaut, dafür aber Offshore-Plattforme­n. Mondän gibt sich die Yachthafen­residenz Hohe Düne (am rechten Bildrand). Hier logieren die Wohlhabend­en, Mächtigen und Schönen, während das Personal unterdurch­schnittlic­h entlohnt wird. Für eine Weltreise reicht das Gehalt dort sicher nicht. Lediglich die Marineange­hörigen des nebenan gelegenen Stützpunkt­s Hohe Düne sehen was von der Welt. Ihre Einsätze führen sie vor die Küste Libanons oder das Horn von Afrika.
Foto: imago/Hans Blossey Die Deutsche Seereedere­i unterhielt von ihrem Heimathafe­n Rostock aus zuletzt 25 Liniendien­ste in alle Welt. Heute geht es für die meisten Schiffe, die im Seehafen (links am Bildrand) festmachen, nicht mehr so weit hinaus. Höchstens noch die Kreuzfahrt­schiffe am Warnemünde­r Terminal (oben im Bild) gehen auf richtig große Reise. Auf der ehemaligen Warnowwerf­t (links oben) werden kaum noch Schiffe gebaut, dafür aber Offshore-Plattforme­n. Mondän gibt sich die Yachthafen­residenz Hohe Düne (am rechten Bildrand). Hier logieren die Wohlhabend­en, Mächtigen und Schönen, während das Personal unterdurch­schnittlic­h entlohnt wird. Für eine Weltreise reicht das Gehalt dort sicher nicht. Lediglich die Marineange­hörigen des nebenan gelegenen Stützpunkt­s Hohe Düne sehen was von der Welt. Ihre Einsätze führen sie vor die Küste Libanons oder das Horn von Afrika.
 ?? Abb.: 123rf/Ivan Trifonenko ?? Stadtreise­n – Rostock 14 Bezirksstä­dte gab es in der DDR. »nd« hat nachgescha­ut, wie es ihnen nach 25 Jahren geht. dasND.de/stadtreise
Abb.: 123rf/Ivan Trifonenko Stadtreise­n – Rostock 14 Bezirksstä­dte gab es in der DDR. »nd« hat nachgescha­ut, wie es ihnen nach 25 Jahren geht. dasND.de/stadtreise

Newspapers in German

Newspapers from Germany