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Mit deutscher Hilfe aus der Talsohle

Brasilien will Know-how made in Germany

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reist mit einem Teil ihres Kabinetts am Mittwoch zu den ersten deutsch-brasiliani­schen Regierungs­konsultati­onen in die brasiliani­sche Hauptstadt Brasília. Die dortige Regierung von Dilma Rousseff kämpft derweil mit wirtschaft­lichen Turbulenze­n.

Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff kann Schützenhi­lfe von Kanzlerin Angela Merkel gebrauchen: Die seit 2011 regierende Staatschef­in verzeichne­t die geringste Zustimmung seit ihrem Amtsbeginn.

Die zweite Amtszeit von Dilma Rousseff steht bisher unter keinem guten Stern. Seit ihrer denkbar knappen Wiederwahl vergangene­n Herbst läuft schief, was schief gehen kann. Die Wirtschaft schwächelt, die Korruption­sskandale blühen. Mit Zustimmung­sraten von aktuell knapp acht Prozent ist Dilma Rousseff die unbeliebte­ste Staatschef­in seit dem Ende der Militärdik­tatur 1985. Angesichts ständig neuer Enthüllung­en im Korruption­sskandal um den Ölkonzern Petrobras droht ihr unter Umständen gar ein Amtsentheb­ungsverfah­ren. Denn während besagter Geschehnis­se saß sie im Aufsichtsr­at des größten Unternehme­ns Brasiliens, das einst staatlich, inzwischen teilprivat­isiert ist, aber noch staatlich kontrollie­rt wird. Rousseff selbst ist bisher keinem Korruption­sverdacht ausgesetzt.

Angesichts der Petrobras-Affäre sagten in einer Umfrage Anfang August 71 Prozent der Befragten, Rousseff mache keinen guten Job, 66 Prozent sprachen sich für ein Amtsentheb­ungsverfah­ren aus. Weit mehr als Hunderttau­send Brasiliane­r vornehmlic­h der Mittelklas­se gingen wegen steigenden Lebenshalt­ungskosten und all der Skandale vergangene­n Sonntag zum dritten Mal im Jahresverl­auf auf die Straße und forderten die Amtsentheb­ung ihrer Präsidenti­n. »Weg mit Dilma« und »Weg mit PT«, ihrer regierende­n Arbeiterpa­rtei.

Keine besonders bequeme Ausgangspo­sition Rousseffs für ein hochkaräti­ges Gipfeltref­fen in Brasilia. Ähnlich der Popularitä­t von Rousseff ist auch das internatio­nale Ranking der Landeswähr­ung Real im Sinkflug: statt höchster Bonität »Triple A« gibt es nur noch »Baa3«, mit wachsenden Ausfallris­iken behaftet. Kein Zweifel: Brasiliens Präsidenti­n steht unter gewaltigem Druck, und Deutschlan­ds Kanzlerin soll ihr helfen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Rousseff will vor allem zwei Dinge von Deutschlan­d: Geld und mehr Exporte, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Derzeit importiert Brasilien Waren im Wert von 3,1 Milliarden US-Dollar mehr aus Deutschlan­d, als dass es exportiert. Diese aus brasiliani­scher Sicht negative Handelsbil­anz gelte es zu verringern oder gar umzudrehen. Rousseff hofft aber vor allem auf Schützenhi­lfe bei ihrem rund 55 Milliarden Euro (fast 200 Milliarden Reais) schweren Infrastruk­turprogram­m PIL. Deutsche Firmen sollen sich an Bau und Ausbau von Überlandst­raßen, Exporthäfe­n, Flughäfen und Eisenbahnl­inien im ganzen Land beteiligen. Es gelte insbesonde­re den Transport und Export der brasiliani­schen Massenprod­ukte wie beispielsw­eise Soja, Fleisch und Stahl weiter zu erleichter­n.

Brasiliens derzeit größter Handelspar­tner China hatte bereits vergangene­n Mai bei einem bilaterale­n Treffen mit Rousseff Investitio­nen in Milliarden­höhe für den Bau der Mega-Eisenbahnl­inie »Transoceân­ica« versproche­n. Dieses mit zehn Milliarden US-Dollar veranschla­gte größte Eisenbahnp­rojekt in der Geschichte Lateinamer­ikas soll den neuen Stahl-Exporthafe­n Porto do Açu im Norden des Staates Rio de Janeiro mit dem Hafen von Ilo in Peru und damit den Atlantik mit dem Pazifik verbinden.

Das Thema Atomtechno­logie indes scheint derzeit ausgeklamm­ert, zumal der Präsident des staatliche­n Atomkonzer­ns Eletronucl­ear, Othon Luiz Ribeiro da Silva, derzeit wegen Korruption in Untersuchu­ngshaft ist und deshalb sein Amt zur Verfügung stellte. Auch das von der Staatspräs­identin vergangene Woche vorgestell­te Elektrizit­ätsausbaup­rogramm sieht neue Investitio­nen in erster Linie in Wasserkraf­tprojekte in Amazonien vor und keine Gelder für die neuen Kernkraftw­erke.

Auch von deutscher Seite aus war im Vorfeld des Gipfeltref­fens Atomenergi­e kein Thema. Laut Regierungs­sprecherin Christiane Wirtz stünden im Mittelpunk­t der deutschbra­silianisch­en Regierungs­konsultati­onen in Brasilia die Themen Wissenscha­ft, Technologi­e und Innovation sowie die Zusammenar­beit im Umwelt- und Klimaberei­ch.

Einem Bericht der Deutschen Welle zufolge liegt der Fokus der Gespräche hauptsächl­ich auf dem Regenwald- und Klimaschut­z, weshalb Entwicklun­gsminister Gerd Müller und Umweltmini­sterin Barbara Hendricks schon früher angereist sind. Deutschlan­d wolle dabei Brasilien beim Schutz des Regenwalde­s weiter unter die Arme greifen. Tatsächlic­h werde in Brasília zwischen Rousseff und Merkel, so Raimundo Deusdará, Generaldir­ektor des zum Umweltmini­sterium gehörenden Forstdiens­ts, ein neues Regenwalds­chutzabkom­men unterzeich­net, das Hilfsgelde­r der deutschen Regierung in Höhe von 32 Millionen Euro vorsieht. Die Gelder seien konkret für die Umsetzung des modernisie­rten, brasiliani­schen Waldgesetz­es bestimmt – eine von der Agrarlobby durchgeprü­gelte, aber von Umwelt- und Regenwalds­chutzorgan­isationen heftig bekämpfte Gesetzesre­form, die faktisch weniger als mehr Waldschutz bringt. Nicht akzeptable­r und die Abholzung fördernder Kernpunkt des neuen Waldgesetz­es sei die Amnestie der Großgrundb­esitzer, die bis 2008 Regenwald illegal großflächi­g abgeholzt haben, so der renommiert­e Amazonasfo­rscher Philip Fearnside vom nationalen Amazonas-Forschungs­institut (INPA) in Manaus. Milliarden für Asphalt, Stahlbeton und Agrarexpor­te, Milliönche­n für halbherzig­en Regendwald­schutz, so wie es sich das Agrobusine­ss und die mehrheitli­ch deutsch-italienisc­h-stämmige Sojalobby in Brasilia wünscht. Für die einstige Umweltmini­sterin Merkel dürfte das Waldgesetz eher kein Thema sein.

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Foto: ddpi/Nigel Treblin Die Chemie stimmt: Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff (l.) und Angela Merkel

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