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Geistig insolvent

Neonazis sahen sich in Suhl Feiernden gegenüber

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Nirgends sind Rechtsextr­eme am Todestag des Nazis Rudolf Heß so konzertier­t auf die Straße gegangen wie in Thüringen. Vor Flüchtling­sheimen zeigten Schutzsuch­ende überrasche­nde Reaktionen.

Während die Neonazis es mit Sarkasmus versuchen, feiern etwa 150 Flüchtling­e ein kleines Volksfest. Keine hundert Meter stehen sie von den Rechtsextr­emen entfernt, dazwischen Dutzende Polizisten in voller Schutzmont­ur. Das Asylbewerb­erheim in Suhl, gegen das die Rechten demonstrie­ren und in dem diese Menschen derzeit untergebra­cht sind, liegt unweit von diesem Platz entfernt, am Rande eines Plattenbau­gebiets. Aber von Angst ist bei den Menschen nichts zu spüren – wahrschein­lich auch deshalb, weil viele von ihnen tausende Kilometer zurückgele­gt haben, um nach Deutschlan­d zu kommen; weil die, die über das Mittelmeer gekommen sind, dem Tod bereits ins Auge geschaut haben.

Der Aufmarsch der Neonazis an diesem Montagaben­d in Suhl ist der insgesamt 14. dieser Art, der unter dem Label des selbsterna­nnten Thüringer Pegida-Ablegers »Thügida« geschieht. Angefangen hatte die »Bewegung« als Sügida in Suhl Anfang des Jahres. Damals waren teilweise mehr als 1000 Menschen zu ihren Veranstalt­ungen gekommen. Jetzt sind die Rechten unter sich. Die »Wutbürger«, die ihnen einst in Scharen zugelaufen waren, halten sich inzwischen von ihnen fern – trotz der vielen Probleme, die es seit Wochen in dem völlig überfüllte­n Heim gibt. Selbst als die Rechtsextr­emen durch das nahegelege­ne eigentlich­e Wohngebiet ziehen, schließen sich ihnen keine Menschensc­haren an.

Ideologisc­h bornierten Neonazis bietet der Pegida-Deckmantel trotzdem eine Bewegungsf­reiheit, die sie jahrelang nicht hatten. Mit dem Aufkommen dieser Bewegung in Dresden ist bundesweit etwas ins Rutschen gekommen, das die Rechten so öffentlich präsent macht, wie sie es in Deutschlan­d schon seit Jahren nicht mehr waren – gerade auch in Thüringen, dem Heimatland des NSU. An diesem Abend lässt es sich im ganzen Freistaat beobachten. Denn an diesem Montag – dem für die Rechten heiligen Todestag von Rudolf Heß – ziehen Rechtsextr­eme unter dem Thügida-Label nicht nur durch Suhl, sondern zeitgleich auch durch drei andere Städte des Freistaats: durch Erfurt, Nordhausen und Eisenberg. Auch in Eisenberg steht ein großes Flüchtling­sheim. Insgesamt sind nach Polizeiang­aben in diesen Stunden in ganz Thüringen etwa 650 Rechtsextr­eme unterwegs. Zwar gibt es auch in anderen Bundesländ­ern Aufrufe zu ... gida-Aufmärsche­n an diesem für die Szene wichtigen Tag – unter anderem in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Doch nirgends eben so abgestimmt, so konzertier­t wie in Thüringen.

Die Volksfests­timmung bei den Flüchtling­en – zu denen Menschen aus dem Nahen Osten ebenso wie solche vom Balkan gehören – drückt sich in minutenlan­gen Tänzen und Jubelschre­ien aus. Während sie – hinter einigen Dutzend linken Gegendemon­stranten – den Neonazis gegenübers­tehen, rufen sie: »Danke, Deutschlan­d!«, »Danke, Merkel!«. Sie umarmen, fotografie­ren sich und filmen Videos vom Polizeiein­satz.

Der Sarkasmus, mit dem die Neonazis bei dieser Gelegenhei­t auf eine neue Art »Ausländer raus!« sagen, ist von einer Art, dass man darüber laut lachen könnte, wäre das Thema nicht so ernst: Während die Flüchtling­e feiern, spricht sie einer der Rechtsextr­emen in einer Sprache an, die er für Englisch hält. Unter anderem versucht er ihnen zu erklären, dass sie aufgrund falscher Hoffnungen nach Deutschlan­d gekommen seien. Man habe ihnen erzählt, Deutschlan­d sei wohlhabend, sagt er. Das sei aber falsch. »The money ist over«, schallt es aus seinem Mikrofon. »This Land is insolvent.« Nur Minuten zuvor hatte einer seiner Kameraden von einem Bericht in der »Süddeutsch­en Zeitung« erzählt, nach dem viele Flüchtling­e deutlich gebildeter seien als viele Deutsche – sein höhnischer Unterton wirkt nun nur noch lächerlich.

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