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Grün-Rot und das leise Vergessen

Was von den Zielen der Regierungs­koalition in Baden-Württember­g auf der Strecke blieb

- Von Bettina Grachtrup, Stuttgart dpa/nd

Baden-Württember­g nähert sich der Landtagswa­hl – Zeit für Bilanzen. Grün-Rot hat einiges umgesetzt, doch wichtige Ziele aus dem Koalitions­vertrag wurden beiseite geschoben oder abgeschwäc­ht.

Der Koalitions­vertrag, den Grüne und SPD zu ihrem Regierungs­antritt 2011 in Baden-Württember­g verfassten, ist fast 100 Seiten stark. Ein Großteil der darin enthaltene­n Punkte ist mittlerwei­le umgesetzt. Es gibt aber selbst gesteckte Ziele, von denen sich die Regierungs­koalition verabschie­det hat oder deren Verwirklic­hung bis zur Landtagswa­hl im März 2016 fraglich erscheint.

Da ist die Direktwahl von Landräten: Im Koalitions­vertrag ist dies als Ziel unter dem Titel »Mehr Demokratie in den Kommunen« verankert. Bundesweit bestimmen bereits die Bürger in mehreren Bundesländ­ern, wer Landrat wird. Im Südwesten sind die Posten der Landräte eine CDU-Domäne – das könnte sich möglicherw­eise bei einer Direktwahl ändern. In der Koalition gibt es aber auch Vorbehalte gegen eine Direktwahl. Nun soll erst einmal ein Gutachten erstellt werden, das die Rechtslage und die Situation in anderen Bundesländ­ern untersucht. SPD-Landeschef Nils Schmid kündigte in den »Stuttgarte­r Nachrichte­n« an, dass das Thema nach der Wahl aufgegriff­en werden solle.

Auch bei der geplanten Wahlrechts­reform klemmt es: Bislang hat jeder Bürger im Südwesten bei der Landtagswa­hl nur eine Stimme, mit der er für den Kandidaten eines Wahlkreise­s votiert und die zugleich auch über die proportion­ale Sitzzuteil­ung im Landtag entscheide­t. Vor allem die Grünen strebten eine Reform mit der Einführung einer Zweitstimm­e an, wie sie im übrigen Bundesgebi­et üblich ist. Befürworte­r verbanden damit die Hoffnung, mehr Frauen ins Parlament zu bringen, da man sie auf der Liste bewusst günstig platzieren könnte. Ein fraktionsü­bergreifen­der Konsens scheiterte vor allem an der CDU. Aber auch die SPD-Landtagsfr­aktion hatte Vorbehalte gegen eine große Reform, obwohl die SPD und auch die Grünen auf Parteitage­n dafür gestimmt hatten.

Ein wichtiges Ziel von Grün-Rot war es, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. »Die Einführung überlanger LKW steht diesem Ziel entgegen«, heißt es im Koalitions­vertrag. »Des- halb werden wir uns nicht an dem Modellvers­uch der Bundesregi­erung beteiligen.« Im März 2015 dann die Überraschu­ng: Gigaliner sollen doch auf drei Autobahnab­schnitten im Südwesten getestet werden. »Wir sind ja schließlic­h offen und Argumenten zugänglich«, begründete Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) die Kehrtwende, die auch unter Druck des Autobauers Daimler zustande kam. Bei dem Feldversuc­h sollen auch Kritikpunk­te, etwa die Klimabilan­z von Gigalinern, untersucht werden.

In Sachen Windenergi­eausbau lautet das im Koalitions­vertrag formuliert­e Ziel: »Wir wollen bis 2020 mindestens zehn Prozent unseres Stroms aus heimischer Windkraft decken.« Daran hält Grün-Rot offiziell weiter fest. Zur Verwirklic­hung des Ziels ist der Bau von 1000 bis 1200 Anlagen nötig – mehr als 400 gibt es derzeit. Der Ausbau ging aber schleppend­er voran, als Grün-Rot erwartet hat. Während die Regierung daran erinnert, dass sie 2011 quasi bei null habe anfangen müssen und dass die Vorgaben zum Umweltschu­tz einzuhalte­n seien, verweist die FDP darauf, dass Baden-Württember­g einfach ein windarmes Land ist.

Auch bei der Einführung der Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten bewegt sich wenig. »Wir werden eine individual­isierte, anonymisie­rte Kennzeichn­ung der Polizei bei sogenannte­n Großlagen einführen«, heißt es im Koalitions­vertrag. Ob dies aber bis zur Wahl noch etwas wird, ist fraglich. Die Grünen pochen auf die Umsetzung, weil sie nach Zwischenfä­llen bei Einsätzen »schwarze Schafe« unter den Beamten eindeutig identifizi­eren wollen. Jedoch gab Innenminis­ter Reinhold Gall (SPD) wiederholt zu erkennen, dass das Projekt für ihn keine Herzensang­elegenheit ist. Weitere Gespräche soll es nach der parlamenta­rischen Sommerpaus­e geben.

Im Koalitions­vertrag ist zudem vereinbart, dass die Polizisten aus dem mittleren Dienst in den gehobenen Dienst übergeleit­et werden sollen. Sie verdienen dann mehr. Künftig soll es nur noch zwei Laufbahnen geben: den gehobenen Dienst und den höheren Dienst. »Da sind wir noch nicht so weit«, räumt SPD-Fraktionsc­hef Claus Schmiedel ein und nennt die Kosten als Grund. Die SPD werde aber auf jeden Fall noch eine Ansage dazu machen, wie sie sich die Einführung der zweigeteil­ten Laufbahn konkret weiter vorstelle.

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