Verloren in der Lechts-Rinks-Zone
Eine neue Studie zu »Querfrontmedien« und demokratischer Öffentlichkeit hat ihre Leerstellen
Die Friedensmahnwachen von 2014 haben ein Nachspiel – auch in der Wissenschaft. Und weitere Untersuchungen sollten folgen.
»Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum!« War das Gedicht »lichtung« von Ernst Jandl politisch? Wollte der Wiener damit – wenn ja – in den 1960ern die Große Koalition als Dauerzustand geißeln? Eine Nähe von Links- und Rechtsradikalismus? Eine offene Frage der Jandl-Forschung. Fest steht aber, dass das Lechts-Rinks-Spiel in jüngeren Jahren nicht nur als gefälliges Zitat wieder Konjunktur hat.
Mit Verve wird derzeit vor »populistischen« Tendenzen von Systemopposition gewarnt, deren Gefährlichkeit darin bestehe, dass sie sich jenseits des Rechts-linksSchemas bewegten. Besonders die Szenerie um die »Montagsmahnwachen« von 2014 steht dabei im Fokus. Nach der »Initiative für Protestund Bewegungsforschung« um Dieter Rucht legte nun die Otto-BrennerStiftung eine von Wolfgang Storz verfasste Studie vor.
Während die ältere Untersuchung sich auf Teilnehmer konzen- trierte, nimmt sich Storz das mediale Netz vor, das um die Mahnwachen von 2014 zu verorten sei. Als dessen Knotenpunkte werden vor allem der Kopp-Verlag, das Magazin »Compact« des ex-linken Journalisten Jürgen Elsässer sowie die Plattform »KenFM« identifiziert.
Diese Plattformen agierten für sich, so Storz, seien aber auch als ein »politisch-publizistisches Netzwerk« anzusehen. Dessen Ziel bestehe nicht darin, Anliegen in die Massenmedien zu tragen. Vielmehr sei das Ziel eine Gegenöffentlichkeit, die jenseits der etablierten Medienlandschaft existiere, und in dieser Abgeschlossenheit quasi ungestört auf Rezipienten einzuwirken.
Diese durch die medientechnische Entwicklung ermöglichte Strategie sei schon formal gefährlich: Sie drohe, das zu zerstörten, »was eine funktionierende Demokratie so dringend benötigt: eine gemeinsame Öffentlichkeit«, schreibt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung, bereits im Vorwort. Inhaltlich diagnostiziert Storz eine »politisch-kulturelle Haltung«, die von einem platten »die da oben« lebe, einen »homogenen Nationalstaat« und »tradierte Lebensweisen« schätze und »demokratischliberale Gesellschaftsbilder ablehnt«. Bevorzugt werde eine »Volksdemo- kratie«, die Autoritarismus mit Plebiszit vereine; »Pluralismus und Minderheitenrechte« würden »bestenfalls ignoriert«. Auch fehlten »positive Bekenntnisse zur demokratischrepräsentativen Gesellschaftsordnung«.
Die Studie wird als »erste Annäherung« präsentiert. Und tatsächlich gibt es etliche Leerstellen und Widersprüche, die vor allem die stillschweigend unterstellte Prägung der Mahnwachen durch dieses Mediennetz betreffen. So ist zu Recht von »geschlossenen Deutungswelten« in demselben die Rede. Doch andererseits zitiert Storz zustimmend die Rucht-Gruppe, die unter den Teilnehmern gerade keine »geschlossenen« Denkfiguren fand, sondern ein unvermitteltes Nebeneinander »linker« und »rechter« Elemente. Dies verweist auf ein methodologisches Problem: Nur auf Textanalyse abstellende politologische Klassifikationen stoßen an Grenzen.
Denn dass Selbstverortung nach »Lagern« in der postmodernen Ordnung in den Hintergrund tritt, ist in der Soziologie keine neue Erkenntnis. Nicht zufällig misst denn auch die jüngere kultursoziologische Bewegungsforschung – etwa die Arbeiten von Sven Reichardt zum Faschismus oder dem Alternativmilieu der 1970er – politische Haltung weniger an expliziten Äußerungen denn als körperlich-mentale Praxis. So fiele es schwerer, die Mahnwachen mit ihrer ausgesprochen defensiven Körpersprache etwa in Zusammenhang mit der schroffen Aggression von Pegida zu bringen. Reale Versuche, die Bewegungen zu vereinen, scheiterten ja auch weitgehend.
Angeleuchtet werden müsste jene »gemeinsame Öffentlichkeit«, die in Gefahr gerate. Storz schreibt allgemein, die Korridore des »Erlaubten« verengten sich. Es müsste ausgesprochen werden, dass der zeitweise Erfolg der Mahnwachen direkt mit einer unübersehbar tendenziösen Berichterstattung zum Ukrainekonflikt zu tun hatte.
Und wenn man schon im Archiv wühlt, sollten dabei viele Texte aus der Zeit von etwa 1995 bis 2005 auffallen, in denen gleichfalls vertreten wird, »links« und »rechts« seien überholte Kategorien. Seinerzeit nutzten etablierte Kommentatoren und Feuilletonisten das Argument dazu, Widerspruch gegen die damalige neoliberale Offensive als gestrig zu brandmarken. Die jungen Leute, denen heute an gleicher Stelle politisch-moralischer Orientierungsverlust nachgesagt wird, sind mit diesem Diskurs aufgewachsen.