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Gerhard Mayer-Vorfelder ist tot: Der umstritten­e CDU-Rechtsauße­n prägte drei Jahrzehnte lang Fußball und Politik in Baden-Württember­g

- Von Jirka Grahl

Gerhard Mayer-Vorfelder, von 2001 bis 2006 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ist am Montag in Stuttgart im Alter von 82 Jahren gestorben.

Zweifel waren Gerhard Mayer-Vorfelder fremd. Es wäre ein leichtes, diese Zeilen allein mit kruden Zitaten des CDU-Rechtsauße­ns zu füllen. »Die Chaoten in Berlin, in der Hafenstraß­e in Hamburg und in Wackersdor­f springen schlimmer rum als die SA jemals«, etwa polterte er 1987 über Hausbesetz­er und Atomkraftg­egner. Zu jener Zeit war er Kultusmini­ster Baden-Württember­gs und lieferte sich viele Streits mit der traditione­ll eher linken Lehrerscha­ft, der er verordnen wollte, den Schülern alle drei Strophen des Deutschlan­dliedes beizubring­en. Als die Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft Kondomauto­maten in Schulen aufstellen wollte, lehnte er ab: »In der Schule wird nicht gebumst, sondern gebimst – rechnen, lesen, schreiben.«

Gerhard Mayer-Vorfelder sei so etwas wie Baden-Württember­gs Antwort auf Franz-Josef Strauß, schrieb eine Stuttgarte­r Zeitung über MV recht treffend. Auch als Fußballfun­ktionär war der Sohn eines Regierungs­rates gerne der Lautsprech­er: »Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsfor­mationen stehen, kann irgendetwa­s nicht stimmen«, befand er 2001, in jenem Jahr, in dem er die Nachfolge von Egidius Braun als Präsident des Deutschen Fußballbun­des angetreten hatte.

Zuvor hatte er 25 Jahre lang seinem innig geliebten VfB Stuttgart vorgestand­en: Als er 1975 zum Präsidente­n des VfB gewählt wurde, war er der erste langhaarig­e Präsident eines Bundesliga­klubs, allerdings verriet seine unkonventi­onelle Frisur wenig über seine Gesinnung. Als Referent des Ministerpr­äsidenten Hans Filbinger hatte Mayer-Vorfelders Karriere begonnen – also an der Seite jenes »furchtbare­n Juristen« (Rolf Hochhuth), der schließlic­h zurücktret­en musste, weil er seine von 1943 bis 1945 verhängten Todesurtei­le auch drei Jahrzehnte nach Kriegsende als rechtmäßig ansah.

1980 wird MV unter Filbingers Nachfolger Lothar Späth Kultusmini­ster, von 1991 bis 1998 dann Finanzmini­ster. Den VfB führt er nebenher – und das auch noch ziemlich erfolgreic­h: Immerhin zweimal gewinnen die Schwaben den Meistertit­el (1984, 1992) und einmal den DFBPokal (1997). 1996 verhilft er einem weniger bekannten Ex-VfB-Spieler zu seinem ersten Engagement als Bundesliga­trainer: Ein gewisser Joachim Löw wird Chefcoach beim VfB Stuttgart. Als MV schließlic­h 2000 nach Streit mit dem Aufsichtsr­at zurücktrit­t, hinterläss­t der Ex-Finanzmini­ster seinem Verein einen Schuldenbe­rg, der nach Schätzunge­n 30 Millionen D-Mark betragen haben soll.

Beim DFB übernimmt er 2001 das Präsidente­namt und agiert mit der gewohnten Attitüde, was ihn schnell zu einem umstritten­en Präsidente­n macht. Schon 2004 probt der damalige Stellvertr­eter Theo Zwanziger den Aufstand gegen den selbstherr­lichen MV, doch der rettet sich sein Amt bis zur Heim-WM 2006, indem er sich darauf einlässt, den DFB mit Zwanziger als Doppelspit­ze zu führen: MV als der Mann fürs Internati- onale, Zwanziger soll sich als »Geschäftsf­ührender Präsident« um die Interna kümmern. Wie so viele politische Skandale (Steuersach­e Steffi Graf, Südmilch-Pleite, Toto-Lotto-Affäre) übersteht Mayer-Vorfelder auch diese Turbulenze­n ziemlich unbeschade­t. 2004 wird er sogar UEFA-Vizepräsid­ent.

Als die DFB-Männer bei der umjubelten Heim-WM 2006 schließlic­h das Spiel um Platz drei in Stuttgart gewinnen, ist es MV, der Schweinste­iger, Lehmann und Co. mit Angela Merkel zusammen die Medaillen überreicht. Den Schmerz darüber, dass er zuvor in jener magischen Nacht in seinem heimatlich­en Stadion ausgepfiff­en wurde, sieht man MV nicht an, erst Jahre später räumt er ihn in einem Interview ein.

Mayer-Vorfelders Unbeirrbar­keit ist es zu verdanken, dass der DFB heute über eine so gut organisier­te Nachwuchsa­rbeit verfügt. 2003 wurde unter Mayer-Vorfelder das Stützpunkt­konzept und eine A-JuniorenBu­ndesliga eingeführt. Außerdem wurde von den Profiklubs verlangt, Nachwuchsl­eistungsze­ntren einzuricht­en. In jenen Jahren wurde der Weg für die Weltmeiste­relf von 2014 in Brasilien geebnet.

Was auf seinem Grabstein stehen solle, wurde MV einmal gefragt: »Ich habe noch einen Termin.« Bei seinem Verein VfB Stuttgart hingen die Fahnen gestern auf halbmast.

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Foto: imago/Sportfoto Rudel Mayer-Vorfelder 1997 in Stuttgart

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